Brüssel oder Moskau? Wahl in Georgien ist ein Referendum - Opposition erstmals geeint
26.10.2024, 07:17 Uhr Artikel anhören
Die Oppositionsparteien haben sich zu einer pro-europäischen Plattform zusammengeschlossen.
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Die Größe der Entscheidung schweißt sie zusammen: In Georgien rauft sich die Opposition zusammen und tritt als Einheitsfront gegen die Moskau-freundliche Regierung an. Umfragen sehen die Befürworter einer Hinwendung zur EU vorn. Offen ist, ob das Ergebnis anschließend anerkannt wird - oder Unruhen drohen.
Annäherung an Russland oder an die Europäische Union: Diese Entscheidung treffen die Georgier bei der heutigen Parlamentswahl. Ein Bündnis pro-westlicher Parteien hat Umfragen zufolge gute Chancen, die Moskau-nahe derzeitige Regierungspartei Georgischer Traum abzulösen. Erst vor einer Woche hatten Zehntausende Menschen in der Hauptstadt Tiflis für einen pro-europäischen Kurs der ehemaligen Sowjetrepublik demonstriert.
"Georgiens traditionell zersplitterte Oppositionskräfte haben es geschafft, eine beispiellose Einheitsfront gegen den Georgischen Traum zu schmieden", sagt Gela Wasadse vom georgischen Zentrum für strategische Analysen. "Wenn die Regierungspartei jedoch versucht, ungeachtet des Wahlergebnisses an der Macht zu bleiben, besteht die Gefahr von Unruhen nach der Wahl."
Brüssel stoppt Beitrittsprozess
Der Georgische Traum hatte nach Übernahme der Regierung 2012 zunächst einen liberalen, pro-westlichen Kurs verfolgt. In den vergangenen zwei Jahren wandte die Regierung sich jedoch nach Einschätzung von Kritikern verstärkt Moskau zu. Die Partei wird von dem mächtigen Milliardär und ehemaligen Ministerpräsidenten Bidsina Iwanischwili kontrolliert, der offiziell aber nicht Teil der Regierung ist.
Im Mai erließ die Regierung ein umstrittenes Gesetz gegen "ausländische Einflussnahme". Es ähnelt der russischen Gesetzgebung gegen "ausländische Agenten", die der Unterdrückung Oppositioneller dient. Die Georgier gingen in Massen gegen das von ihrer Regierung verabschiedete Gesetz auf die Straße, Brüssel fror den EU-Beitrittsprozess mit Georgien ein und die USA verhängten Sanktionen gegen georgische Beamte wegen "brutaler Unterdrückung" von Demonstranten.

"Wir haben quasi ein Referendum über die Wahl zwischen Europa oder der Rückkehr zu einer unsicheren russischen Vergangenheit", sagt die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili.
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Anfang des Monats sorgte ein weiteres Gesetz, das die Rechte der LGBTQ-Minderheit einschränkt, für weitere Spannungen zwischen Brüssel und Tiflis. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich besorgt über Georgiens "Abgleiten in den Autoritarismus" und bezeichnete die am Samstag anstehende Wahl als "entscheidenden Test für die Demokratie in Georgien und seinen Weg in die Europäische Union".
"Wir haben quasi ein Referendum über die Wahl zwischen Europa oder der Rückkehr zu einer unsicheren russischen Vergangenheit", sagte die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili Anfang des Monats. Die relativ machtlose Staatschefin prangerte die "immer offenere anti-westliche, anti-europäische" Entwicklung der Regierung an. Surabischwili hatte vergeblich versucht, das LGBTQ-Gesetz und jenes gegen "ausländische Einflussnahme" mit ihrem Veto zu verhindern.
Die Regierungspartei will die absolute Mehrheit im Parlament erreichen, um die pro-westliche Opposition per Verfassung verbieten zu können. Im Mittelpunkt ihrer Kampagne stand eine Verschwörungstheorie über eine "globale Kriegspartei", die angeblich westliche Institutionen kontrolliere und versuche, Georgien in den Krieg Russlands gegen die Ukraine hineinzuziehen. Der Kreml beschuldigte seinerseits den Westen der "unverhüllten" Einmischung in die Wahlen im Nachbarland.
"Wir müssen das Land erneut retten"
"Am 26. Oktober müssen wir das Land erneut retten und zwischen Sklaverei und Freiheit, Unterwerfung unter ausländische Mächte und Souveränität, Krieg und Frieden wählen", sagte Iwanischwili bei einem Wahlkampfauftritt in Batumi am Schwarzen Meer. Eine Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Edison Research sieht das Oppositionsbündnis mit 55 Prozent der Stimmen klar in Führung, die Regierungspartei liegt demnach bei 33 Prozent.
Dem Bündnis gehören die wichtigste Oppositionspartei Georgiens an, die UNM des inhaftierten Ex-Präsidenten Micheil Saakaschwili, sowie Achali an, eine kürzlich von ehemaligen UNM-Politikern gegründete Partei. Mit anderen kleineren Parteien haben sie sich zu einer pro-europäischen Plattform zusammengeschlossen, die weitreichende Reformen im Wahlrecht, in der Justiz und der Strafverfolgung plant. Bei einem Sieg will das Bündnis eine Übergangsregierung bilden, die die Reformen umsetzen soll, und dann Neuwahlen ausrufen.
"Am 26. Oktober werden die Georgier das europäische Schicksal des Landes und seine Demokratie verteidigen und den Georgischen Traum loswerden, der überhaupt nicht georgisch, sondern pro-russisch ist", sagte UNM-Chefin Tina Bokuschawa. "Eine Regierungspartei, die damit droht, Oppositionsparteien zu verbieten, ist zum Scheitern verurteilt."
Quelle: ntv.de, jwu/dpa