Politik

Gefahr im Norden nicht gebannt Wie Israel an drei Fronten kämpfen muss

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Soldaten der israelischen Streitkräfte kämpfen in Nordisrael gegen die angreifende Hisbollah.

Soldaten der israelischen Streitkräfte kämpfen in Nordisrael gegen die angreifende Hisbollah.

(Foto: IMAGO/Xinhua)

Während Israel die Hamas in Gaza angreift, öffnen sich neue Schlachtfelder: Die Hisbollah feuert Raketen aus dem Libanon heraus, die Gefahr einer Ausweitung des Krieges ist noch nicht gebannt. Und dann kämpft Israel auch noch an der Front im Cyberspace.

Während die Welt auf das Kriegsgeschehen im Gazastreifen blickt, ist eine andere Bedrohung Israels aus dem Blick geraten. Jederzeit könnte Teheran, das die Vernichtung Israels zum Teil seiner Staatsdoktrin gemacht hat, über weitere Stellvertreter eine zweite Front eröffnen.

"Noch während in Israel die Menschen trauerten, hat die Hisbollah Raketen auf die Ortschaften im Norden gefeuert", sagt Assaf Kedem mit Blick auf den Horror, der am 7. Oktober mit den Massakern der Hamas über Israel kam. Kedem betreibt auf den Golanhöhen nahe der libanesischen Grenze ein Weingut. "Bisher ist es noch ein kleiner Konflikt. Doch die radikal-islamische Terrororganisation aus dem Libanon möchte den Palästinensern und Iranern beweisen, dass sie gegen Israel vorgehen."

Die ungewisse Zukunft macht Angst

Einige seiner Mitarbeiter wurden zum Militärdienst eingezogen. Andere mussten aufgrund der zunehmenden Spannungen in den Süden evakuiert werden. Wie viele aus seiner Branche macht Kedem die ungewisse Zukunft Angst. In ganz Israel befanden sich viele Weingüter mitten in der Ernte, als die Hamas den Waffenstillstand brach und Israel überfiel. "Wein scheint im Moment unbedeutend zu sein", erklärt er. "Um eine neue Realität für unsere Bewohner zu schaffen, sollte Israel seine Abschreckungsbalance gegen die Hisbollah verschärfen."

Mittlerweile finden täglich Kämpfe unweit der israelischen Grenze zum Libanon statt. Die IDF antworten mit schwerer Artillerie auf Hisbollah-Raketen und warnen die Miliz davor, sich der Hamas in Gaza anzuschließen und eine zweite Front zu eröffnen.

"Wenn die Hisbollah Schwäche bei uns erkennt, dann werden sie Appetit bekommen", sagt Tamir Hayman, Ex-Kommandeur des israelischen Militärgeheimdienstes. "Deshalb stellt sich Israel ihr mit all seiner Entschlossenheit und Stärke entgegen. Die Hisbollah ist der wichtigste Partner des Iran, aber es ist schwer vorstellbar, dass Teheran seine Schiitenmiliz für sunnitische Terroristen in Gaza opfert." Wie das iranische Regime ist die Hisbollah schiitisch, die Hamas dagegen sunnitisch.

Trotzdem warnt der Sicherheitsexperte vor der Kriegsgefahr aufgrund von Missverständnissen, wenn etwa eine Aktion von beiden Seiten falsch interpretiert werden könnte. Mit seiner Struktur, Feuerkraft, den Einheiten und Raketen agiere die Hisbollah in einer ganz anderen Größenordnung als die Hamas. Weitere iranische Stellvertreter im Jemen und in Syrien feuerten bereits Raketensalven auf Israel und selbst im Irak stehen Einheiten bereit. "Die IDF können auch an drei Fronten kämpfen", erklärt Hayman. Das Problem sei nicht das Militär, "sondern die Heimatfront. Das Leid und die Widerstandsfähigkeit der israelischen Gesellschaft."

Die dritte Front: Der Krieg um die Köpfe

Seit seiner Gründung war Israel Bedrohungen aus verschiedenen Richtungen ausgesetzt. In den Nahost-Kriegen wurden sie mehrmals von zahlreichen arabischen Armeen im Verbund angegriffen. Doch mittlerweile werden Waffengänge nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgetragen und gewonnen, sondern auch in den Medien. Konfliktparteien nutzen das Fernsehen und längst auch das Internet, um den Krieg um die Herzen und Köpfe zu gewinnen, also um die Meinung der globalen Öffentlichkeit. Dabei werden nicht selten Wahrheit und Fiktion vermischt.

"Im Internet herrscht das reinste Chaos", bilanziert Josef Dar, Mitbegründer des Internetüberwachungsunternehmens Cyabra. "Wir haben seit dem 7. Oktober Millionen Beiträge und Kommentare zum Krieg untersucht, die von unzähligen Konten auf unterschiedlichen sozialen Medien gepostet wurden." Tausende davon seien schon mehr als ein Jahr vor dem Angriff erstellt worden. "Man sieht hauptsächlich die Beteiligung fiktiver Nutzer, die antisemitische und pro-palästinensische Narrative propagieren."

Der Medienexperte schätzt, dass diese gezielte Desinformation über eine halbe Milliarde Konten erreicht. Plattformnutzer teilen demnach sogar Bilder von früheren Konflikten, aus Videospielen oder mit künstlicher Intelligenz hergestellte Motive, die sie als authentische Berichte über den Konflikt posten.

Nicht nur Terrororganisationen sollen hinter dem Cyberkrieg stehen, sondern auch der Iran. "Sie verbreiten die Horrorvideos der Hamas zwar, um die Meinung zu beeinflussen, aber auch um die Abschreckung zu untergraben", sagt Dar. "Sie wollen vermehrt Verschwörungstheorien - wie über den Verräter von innen, der die Hamas unterstützte - verbreiten." Ihr Ziel bestehe darin, eine Spaltung in der Nation zu schaffen und die Moral zu schwächen.

Winzer Assaf Kedem nimmt in Israel eine "Trauerstimmung" wahr. "Familien bleiben zu Hause und verfolgen die Nachrichten. Die meisten Restaurants bleiben geschlossen, ebenso wie die Verkostungsräume vieler Weinkellereien." Obwohl er und sein Team bei Eröffnung einer zweiten Front evakuiert würden, hofft er, irgendwann mit seinen Leuten ein Glas auf diesen Jahrgang zu erheben. "In diesen Zeiten fühlt sich die Herstellung von Wein unbedeutend an", sagt Kedem. "Aber es liegt in unserer Verantwortung, ihn weiterhin herzustellen und ein bisschen Kultur, Freude und Licht in die Welt zu bringen."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen