Politik

Zahl der Unsicherheitsfaktoren wächst Wie Trump die Nato "obsolet" machen könnte

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Demonstration der Stärke an der Ostflanke: Mitglieder der US-Army, die im Rahmen einer Nato-Mission in Polen sind, feiern eine Willkommenszeremonie.

Demonstration der Stärke an der Ostflanke: Mitglieder der US-Army, die im Rahmen einer Nato-Mission in Polen sind, feiern eine Willkommenszeremonie.

(Foto: REUTERS)

Donald Trump weiß nicht einmal, wie viele Mitglieder die Nato hat. Trotzdem ist er entscheidend für die Zukunft des Militärbündnisses. Er fügt der langen Liste an Problemen, die das Bündnis plagen, ein weiteres hinzu.

Hat Donald Trump Recht, wenn er die Nato "obsolet" nennt? Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagt: "Donald Trump könnte sich im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik noch etwas von seinen Beratern briefen lassen. Da scheint er sich noch nicht so gut auszukennen."

Selbst in seinem eigenen Lager teilt man Trumps Einschätzungen zur Nato nicht.

Selbst in seinem eigenen Lager teilt man Trumps Einschätzungen zur Nato nicht.

(Foto: AP)

Der gewählte US-Präsident hat seine Kritik an der Bedeutung des transatlantischen Militärbündnisses in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung und der britischen "Times" unter anderem damit begründet, dass es nichts gegen Terror unternommen habe. "Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. Sie dient der Verteidigung ihrer Mitglieder. Innere Sicherheit ist nicht ihre Aufgabe", sagt Major. Nichtsdestotrotz fügt sie hinzu: "Die Nato ist auch im Kampf gegen den Terrorismus aktiv geworden und bis heute aktiv. Der Afghanistan-Einsatz ist darauf zurückzuführen und die NATO unterstützt nun auch die Anti-IS-Koalition." Das einzige Mal, dass die Nato Artikel 5 ihres Vertrags, die Beistandsklausel, angewendet hat, war ausgerechnet nach dem terroristischen Anschlag auf das World Trade Center 2001 in Form des ISAF-Einsatzes am Hindukusch. Die Mitgliedstaaten kamen den USA zur Hilfe. Zudem gilt: Dass die USA militärisch weltweit so stark auftrumpfen können, hängt auch damit zusammen, dass sie Stützpunkte ihrer Nato-Partner als logistische Drehkreuze nutzen können.

Hört man sich unter Verteidigungsexperten um, zerbröselt Trumps pauschale Kritik an der Bedeutung des Militärbündnisses binnen Sekunden. Der gewählte Präsident kennt nicht mal die Zahl der Mitgliedstaaten, spricht von 22 statt 28. Selbst im eigenen Lager teilt man die Einschätzung Trumps nicht. Trumps designierter Verteidigungsminister James Mattis sagt über die Nato: "Aus meiner Sicht als ehemaliger Oberster Kommandeur der Nato bin ich überzeugt, dass die Nato das erfolgreichste Militärbündnis der Moderne, vielleicht sogar aller Zeiten, ist." Recht hat Trump aber auch in den Augen von Kennern, wenn er dem Bündnis "Probleme" nachsagt. Die Nato befindet sich in einem schwierigen Transformationsprozess. Und der geht weit über die mangelnde Effizienz des Bündnisses und die auch vor Trump oft kritisierte Zurückhaltung einiger Mitglieder hinaus, ihren angemessenen finanziellen Beitrag zu leisten.

Die Nato muss sich für alle Szenarien wappnen

Um was für Probleme es sich handelt, zeigt sich vor allem an Polen und den Balten. Die Länder fürchten, dass sie ein ähnliches Schicksal wie die Ukraine ereilen könnte, die 2014 große Teile ihre Landes im einem hybriden Krieg an Russland und russische Statthalter verloren hat. "Die Annexion der Krim und Russlands Intervention in der Ostukraine waren für die Nato ein schmerzhafter Weckruf", sagt Major. Auch in Deutschland hat man zu spüren bekommen, dass man sich nicht ideal aufgestellt hat. Die Bundeswehr machte sich anfangs des Jahrzehnts fit für Stabilisierungseinstätze und Krisenmanagement. Das Thema Landesverteidigung spielte keine Rolle.

Jetzt, so sagt es Major, gilt es, sich wieder für alle denkbaren Szenarien zu wappnen. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass der kommende Konflikt selten genauso ist wie der letzte."

Die Nato hat sich auf ihrem Gipfel in Wales angesichts dieser Herausforderung darauf geeinigt, nach Jahren der Sparsamkeit wieder mehr Geld für die Verteidigung auszugeben. Das Bündnis hat zudem seine schnelle Eingreiftruppe reformiert und um eine noch schnellere Speerspitze ergänzt. Seither hat das Bündnis auch begonnen, mehr Personal in den östlichen Mitgliedstaaten zu stationieren. Das soll Russland abschrecken.

Die EU-Kommission und insbesondere Deutschland und Frankreich setzen parallel darauf, eine Verteidigungsunion zu schaffen. Die EU soll ein eigenes militärisches Hauptquartier bekommen, die Rüstungspolitik soll harmonisiert werden und über einen Rüstungsfonds Haushaltsmittel effizienter in gemeinsame militärische Projekte fließen. Das soll auch die Nato stärken. Nur genug ist all das bei weitem noch nicht, davon ist Major überzeugt. "Die europäischen Nato-Mitglieder haben sich auf den Weg gemacht, sich auf alle denkbaren Bedrohungsszenarien einzustellen und mehr Geld für das Bündnis auszugeben, aber die Strecke, die sie noch vor sich haben, schafft man nicht über Nacht." Im Worst-Case-Scenario, einer Invasion durch Russland, wäre es wohl noch nicht möglich, alle Mitglieder zu verteidigen. Und wer weiß, was ist, wenn sich das Bündnis einem völlig anderem, überraschenderen Szenario ausgesetzt sieht?

Das Spaltungspotenzial ist groß

Die größte Gefahr für die Bedeutung der Nato sieht Major aber auf politischer Ebene. Sie spricht von "Spaltungspotenzial" in der Türkei, dem Nato-Mitglied mit der zweitgrößten Armee. Es ist unklar, wie sehr der gescheiterte Putschversuch von Teilen des Militärs im vergangenen Sommer die türkischen Streitkräfte getroffen hat. Vor allem aber distanziert Ankara sich zusehends vom Westen und exerziert demonstrativ den Schulterschluss mit Moskau. "Hinzu kommen die Briten mit dem Brexit. Auch Frankreich könnte ein schwieriger Partner werden, wenn der russlandfreundliche François Fillon oder gar die russlandfreundliche Marine Le Pen die Wahlen gewinnen", sagt Major. "Die Nato ist nur handlungsfähig, wenn sich alle 28 Mitglieder auf eine Position einigen können."

Die Nato ist nicht obsolet, aber angesichts der Herausforderungen, vor denen sie steht, besteht die Gefahr, dass sie es wird. Entscheidend, ob es soweit kommt, ist ausgerechnet Trump selbst. Für Major ist klar, dass die Nato ohne die USA nicht voll handlungsfähig ist. Dem Bündnis würden nicht nur Milliarden an Dollar, sondern auch notwendige militärische Fähigkeiten fehlen, die sich bei allem Bemühen nicht kurzfristig aufbauen ließen. "Die USA, der größte Alliierte, scheinen gerade ein Faktor der Unsicherheit zu werden", sagt Major.

Trump setzt auf eine Wiederannäherung an Russland. Unabhängig davon, wie man dazu steht, hat die Nato aber nun mal diverse Beschlüsse gefasst, die eine harte Reaktion auf Moskaus Wirken in der Ukraine darstellen sollen. "Problematisch wäre es, wenn Trump internationale Abkommen ignoriert und an den Beschlüssen der Nato vorbei Deals mit Putin schließt", sagt Major. Würde er dann noch, wie im Wahlkampf angekündigt, den Nato-Staaten, die nicht ihren Anteil an der Finanzierung des Bündnisses tragen, die Beistandsgarantie absprechen, wäre es um die Sicherheit, die das Bündnis seinen Mitgliedern verspricht, wohl geschehen. Die Abschreckung wäre dahin.

Wollen die europäischen Staaten es nicht darauf ankommen lassen, wird ihnen wohl nichts anderes bleiben, als ihre Verteidigungsausgaben wie gefordert weiter zu erhöhen. Wenig erbaulich dürfte für sie sein, dass sich Trump bei aller Kritik an der Nato offenbar selbst noch nicht ganz im Klaren ist, wie er nun zu dem Bündnis stehen soll. In dem Interview mit "Bild" und "Times" sagte er nur Sekunden, nachdem er die Nato für obsolet erklärt hat: "Abgesehen davon ist mir die Nato aber sehr wichtig." Dieser unklare Kurs bewirkt vieles, schafft aber kaum mehr Sicherheit.

Quelle: ntv.de

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