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Sanktionen gegen Ex-Präsident Will sich Selenskyj an Poroschenko rächen?

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Lang ist's her: Poroschenko und Selenskyj im Wahlkampf 2019.

Lang ist's her: Poroschenko und Selenskyj im Wahlkampf 2019.

(Foto: picture alliance/dpa)

In der Ukraine belegt Präsident Selenksyj seinen Amtsvorgänger Poroschenko mit Sanktionen. Der Schritt ist rechtlich, aber auch politisch umstritten. Geht es um mehr als Rache, um Bodenschätze?

In jeder anderen Situation wäre dies eine Riesennachricht gewesen - in der Ukraine und im Ausland. Nicht jeden Tag beschließt der Sicherheitsrat eines Staates Sanktionen gegen den Vorgänger des amtierenden Präsidenten, der zudem sein politischer Erzrivale ist. Dass sich Wolodymyr Selenskyj und Petro Poroschenko, der fünfte Präsident der Ukraine, gegenseitig hassen, wissen alle. Im Wahlkampf 2019 griff Poroschenkos Team Selenskyj oft genug weit unter der Gürtellinie an und spekulierte etwa über seine angebliche Drogenabhängigkeit. Kurz vor dem russischen Angriffskrieg wurde Poroschenko bei der Rückkehr in die Ukraine am Flughafen beinahe verhaftet.

In den letzten Wochen spekulierten viele in Kiew darüber, ob die Regierung Poroschenko sanktionieren würde. Aber so recht glaubte kaum jemand daran. Selbst regierungsnahe Figuren betonten, dies habe keinen Sinn und nutze lediglich dem Ex-Präsidenten, dessen schwachen Beliebtheitswerte womöglich davon profitieren könnten. Poroschenko und seine Partei Europäische Solidarität haben eine treue, kleine Anhängerschaft, die zum knappen Einzug ins Parlament reichen würde. Doch Wahlen sind wegen des Kriegsrechts nicht in Sicht. Aktuell gibt es in der Ukraine mit Selenskyj und dem beliebten Ex-Armeechef und aktuellen Botschafter in London, Walerij Saluschnyj, nur zwei wirklich relevante politische Figuren. Über Saluschnyjs Präsidentschaftsambitionen ist nichts bekannt. Laut unter Verschluss gehaltenen Umfragen würde er die Stichwahl gegen Selenskyj aktuell klar gewinnen.

Und trotzdem wurden Poroschenko die Sanktionen aufgebrummt - es passierte an jenem Abend des 12. Februar, an dem das Telefonat des US-Präsidenten Donald Trump mit dem russischen Diktator Wladimir Putin die Welt schockierte. Für die umstrittene Entscheidung hätte es wohl keinen besseren Moment gegeben. Ob das wirklich ausschlaggebend war, ist aber unwahrscheinlich. Denn nach allem, was man aus Selenskyjs Umgebung hört, war das Selenskyj-Trump-Telefonat geplant. In Kiew hatte man aber offensichtlich keine Ahnung, dass der US-Präsident im Voraus mit Putin sprechen würde.

Kontakte zu Medwetschuk

Gegen Poroschenko wird schon länger wegen angeblichen "Hochverrats" sowie der "Finanzierung des Terrorismus" ermittelt. Konkret geht es vor allem um den Einkauf von Kohle aus dem von sogenannten prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet in den ersten Jahren des ursprünglichen Donbass-Krieges seit 2014. Organisiert wurde dieser angeblich mit Hilfe eines ukrainischen Putin-Vertrauten, des Politikers und Unternehmers Wiktor Medwedtschuk. Er gehört ebenfalls zu den fünf Personen, gegen die am Mittwoch Sanktionen verhängt wurden. Nach einem Gefangenenaustausch im Herbst 2022 befindet sich Medwedtschuk allerdings in Russland.

Poroschenko stand tatsächlich mit Medwedtschuk in engem Kontakt, allerdings nach eigenen Angaben, um einen Gesprächskanal mit Moskau offen zu halten. So werden die alten Vorwürfe gegen den Ex-Präsidenten eher mit Skepsis gesehen. Noch am Morgen des 12. Februar informierte das Poroschenko-Team, ihm sei die Ausreise zur Münchner Sicherheitskonferenz verweigert worden. Poroschenko muss überdies zwischen dem 14. und dem 27. Februar jeden Tag zu einem Verhör beim staatlichen Ermittlungsbüro, einer Art ukrainischem FBI, erscheinen. Die Sanktionen umfassen unter anderem das Einfrieren von Vermögenswerten, ein Verbot wirtschaftlicher Betätigung sowie die Aberkennung von Dienstgraden und Auszeichnungen. An Wahlen darf Poroschenko aber weiter teilnehmen. Die Sanktionen schränken jedoch die Möglichkeiten seiner politischen Tätigkeit ein, obwohl der Löwenanteil seiner Aktivitäten auf seinen im Ausland lebenden Sohn registriert ist.

"Handel, Kohleneinnahme mit Separatisten, all diese Ströme existieren", sagte Wolodymyr Selenskyj vor Journalisten in der Region Chmelnyzkyj auf dem Weg zur Münchner Konferenz. "Ich bin überrascht, dass das Finanzmonitoring uns dies nicht früher zeigte. Nun führen (der Inlandsgeheimdienst) SBU und andere Behörden uns all das vor Augen. Ich will nicht verurteilen, es gibt Gerichte." Sanktionen bedeuteten nicht, dass man ins Gefängnis müsse, sondern beschränkten lediglich die Verwendung illegal erworbenen Geldes.

Poroschenko attackiert Selenskyj schon seit Längerem

Allerdings sind Sanktionen gegen eigene Staatsbürger rechtlich umstritten. Der Sicherheitsrat habe eine verfassungswidrige, politisch motivierte Entscheidung getroffen, hieß es von Poroschenko selbst: "Dieses Verbrechen hat viele Komplizen: Selenskyjs gesamtes Team, die Regierung, Mitglieder des Sicherheitsrates. Selenskyj hat der inneren Einheit, an der unser Team seit Februar 2022 festhält und die unsere wichtigste Waffe im Kampf gegen den Aggressor ist, einen kolossalen Schlag versetzt."

So ganz stimmt das nicht. Tatsächlich spart das nationalliberale Poroschenko-Lager schon lange nicht mehr mit Kritik an Selenskyj. Der amtierende Präsident wird spätestens seit Herbst 2023 rhetorisch hart angegriffen. Zuvor konzentrierte man sich noch auf die Kritik des mächtigen Kanzleichefs von Selenskyj, Andrij Jermak. Dennoch ist es unklar, warum genau die umstrittene Entscheidung getroffen wurde - es sei denn, an den Vorwürfen ist tatsächlich viel mehr dran als gedacht.

Selbst vergleichsweise präsidentennahe Kommentatoren wie der bekannte Politologe Wolodymyr Fessenko kritisierten diese hart. Mit Blick auf ohnehin ausgesetzte Wahlen ist Poroschenko, obwohl formell auf Rang drei und Oppositionsführer im Parlament, chancenlos. Die Vermutung, dass er seine zwei Nachrichtensender benutzen könnte, um etwa Walerij Saluschnyj zu unterstützen, scheint an den Haaren herbeigezogen.

Andere Großunternehmer ebenfalls betroffen

Gut möglich, dass es sich schlicht um persönliche Rache handelt. Zumal das Schicksal Petro Poroschenkos der neuen republikanischen Administration im Weißen Haus recht egal sein dürfte. Poroschenko arbeitete eng mit Ex-Präsident Joe Biden zusammen, als der noch Vizepräsident unter Barack Obama war. Mit Blick auf die USA und Donald Trump sind allerdings auch drei weitere Namen auf der Sanktionsliste spannend - aus einem anderen Grund. Es handelt sich um den seit 2023 in Untersuchungshaft sitzenden Großunternehmer Ihor Kolomojskyj, der einst Selenskyj offen im Präsidentschaftswahlkampf unterstützte. Dann ist da noch sein Geschäftspartner Hennadij Boholjubow sowie ein weiterer Vertreter der Wirtschaft, Kostjantyn Schewaho. Die beiden Letztgenannten befinden sich außer Landes.

Kolomojskyj und Boholjubow besitzen große Manganerzvorkommen in der Region Dnipro, während Schewahos Unternehmen eines der größten Eisenerzvorkommen im Bezirk Poltawa ausbeuten. Nicht ausgeschlossen ist, dass ihnen nun die entsprechenden Förderlizenzen entzogen werden könnten. Das könnte mit der ursprünglichen Idee Selenskyjs zusammenhängen, ukrainische Bodenschätze gemeinsam mit den US-Amerikanern zu nutzen.

Quelle: ntv.de

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