Neue Kriegszone in der Ukraine? So schnell trocknet der Kachowka-Stausee aus
21.06.2023, 13:35 Uhr Artikel anhören
Gut 230 Kilometer lang und bis zu 20 Kilometer breit: Blick auf den entstandenen Frontabschnitt am einstigen Kachowka-Stausee.
(Foto: © Sentinel Hub / ESA, Sentinel-2)
Zwei Wochen nach dem Dammbruch in der Ukraine verzeichnen Satelliten dramatische Veränderungen am Boden: Das Wasser aus dem Kachowka-Reservoir ist weitgehend verschwunden. Mitten im Kriegsgebiet werden nicht nur riesige offene Flächen sichtbar.
Im Süden der Ukraine entsteht an der Stelle des früheren Kachowka-Stausees neues Land: Aktuelle Aufnahmen der europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-2 zeigen mittlerweile weitere ausgedehnte, trocken gefallene Flächen. Dort, wo bisher das größte Binnengewässer der Ukraine einen rund 200 Kilometer langen Abschnitt der Frontlinie deckte, taucht binnen weniger Tage neues Gelände auf.
Zwei Wochen nach dem Dammbruch ist ein Großteil der aufgestauten Wassermengen verschwunden. Durch das neu entstandene Gebiet zieht sich der verbliebene Flusslauf des Dnipro mit zahlreichen Windungen. Dazwischen liegen schlammige Sumpfzonen, verschüttete Altarme und das alte Flussbett, das knapp sieben Jahrzehnte lang unter Wasser lag.
Im direkten Vergleich der Vorher-Nachher-Bilder sind die dramatischen Veränderungen am Kachowka-Stausee gut zu erkennen. Das linke Foto zeigt die Region in einer Aufnahme vom 5. Juni 2023. Zu sehen ist die Situation am Tag vor dem katastrophalen Dammbruch.
Der Damm selbst ist aus dieser Höhe nur bei näherem Hinsehen neben der Stadt Nowa Kachowka in der linken unteren Ecke zu erkennen. Die Talsperre zieht sich von Nordwesten nach Südosten quer über die hier gut 2,4 Kilometer breite Flussniederung. In den Tagen nach dem Dammbruch vom 6. Juni haben sich im Vorfeld des Bauwerks breite Schlamm- und Kiesbänke aus den ablaufenden Fluten gehoben.
Das Bild rechts wurde am 20. Juni, also zwei Wochen nach der Zerstörung der Staumauern, aufgenommen. Das von der Frischwasserzufuhr abgeschnittene Kernkraftwerk Saporischschja befindet sich auf diesen Bildern in der oberen Hälfte knapp rechts der Mitte. Der rund dreieinhalb Kilometer breite Kühlteich des Kraftwerks ist dank seiner charakteristischen Ringstruktur auf beiden Bildern leicht zu finden.
Im Nordosten am oberen Ende des Stauseegebiets fließt der Dnipro nah am rechten Ufer. Von der Wasserfläche des Sees ist hier auf einem Areal von rund 400 Quadratkilometern nur ein Geflecht von Sickerbächen und Tümpeln geblieben. Am linken Ufer, also auf der südöstlichen Seite bei Kamianske (Karte) ist ein breiter Uferstreifen entstanden. In diesem Gebiet bildete der Stausee als natürliches Geländehindernis die westliche Begrenzung der Kampfzone entlang der Saporischschja-Front.
Weiter flussabwärts bei Babyne (Karte) knickt der Dnipro nach Süden ab. Der Stausee verengte sich hier von einer Breite von zehn bis 15 Kilometern deutlich: Von dort bis Nowa Kachowka liegen die beiden Uferseiten nur noch gut vier Kilometer auseinander. Nach dem Dammbruch haben sich jedoch auch hier breite Sandbänke gebildet. An mehreren Stellen scheint die freie Ukraine vom russisch besetzten Gebiet nur noch durch eine gut 300 Meter breite offene Wasserfläche getrennt.
Verheerende Dammbruch-Folgen
Noch unklar ist, wie genau sich die Verhältnisse am Boden darstellen. Wird der Boden des Sees bald befahrbar sein? Oder lässt sich der Dnipro unterhalb des Knicks bei Babyne vielleicht mit einer Ponton-Brücke überqueren? Von den Antworten auf diese Fragen hängt für beide Seiten viel ab: Der leere Stausee könnte sich aus militärischer Sicht schnell zu einer offenen Flanke entwickeln.
Bei sommerlichen Witterungsbedingungen, heißt es, könnten sich die Sedimentschichten am Grund des Stausees verfestigen. Allerdings zeigen die Satellitenaufnahmen aus den ersten Tagen nach dem Dammbruch noch ganz andere, nicht weniger dramatische Veränderungen: Binnen zweier Wochen hat sich die aus dem All erkennbare Vegetation südlich des Stausees bereits massiv verfärbt.
Weite Flächen erscheinen mittlerweile dunkelbraun. Der naheliegende Grund: In der Region wird seit Jahrzehnten intensiver Bewässerungsfeldbau betrieben. Durch den Dammbruch sind alle größeren Kanäle ausgetrocknet. Die Wasserversorgung ist unterbrochen, die ausgedehnten Anbauflächen im Süden der Ukraine dörren aus.
Quelle: ntv.de