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Putin ärgern für Dummies So läuft Russlands Lauschangriff ins Leere

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Hat "keine Lust", über Putins Stöckchen zu springen: Verteidigungsminister Pistorius heute auf dem Weg nach Skandinavien.

Hat "keine Lust", über Putins Stöckchen zu springen: Verteidigungsminister Pistorius heute auf dem Weg nach Skandinavien.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Taurus-Leak bietet wenig Erkenntnis für die Russen, aber viel Sprengstoff gegen den Zusammenhalt in Deutschland. Ob Putin damit Erfolg hat, haben wir selbst in der Hand. Und die belauschte Luftwaffen-Schalte - eignet sich zum Joggen.

Spionagetätigkeiten - egal von welchem Nachrichtendienst für welche Nation ausgeführt - haben in der Regel ein gemeinsames Merkmal: Sie finden im Geheimen statt. Es geht darum, Dinge vom Gegner zu wissen, die man nicht wissen soll, ohne dass der Gegner weiß, dass man sie weiß. So funktioniert's. Nicht so der Taurus-Lauschangriff von Wladimir Putin. Der russische Präsident ließ die Beute nach wenigen Tagen öffentlich präsentieren: ein vertrauliches Gespräch zwischen dem deutschen Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz und drei Offizieren.

Was daraus folgt: Wenn Boris Pistorius heute in Berlin bilanziert, was "an Geheimhaltung dort erörtert worden ist, ist nach meiner Wahrnehmung überschaubar", trifft er mit dieser Einschätzung wohl ins Schwarze. Darüber hinaus präsentierte der Verteidigungsminister ein Ergebnis der bisherigen Ermittlungen: Nicht die Kommunikationswege der Bundeswehr wurden gehackt, sondern die Einwahlverbindung eines Teilnehmers. Ein Anwendungsfehler machte die Lauschattacke möglich.

Der Taurus-Leak hat mithin weder militärische Geheimnisse der Bundeswehr offengelegt noch eklatante, grundsätzliche Sicherheitslücken. Deshalb muss man noch keinen Haken hinter die Sache machen, aber die Hardware des Leaks muss Deutschland nicht in Alarmstimmung versetzen. Was die eigentliche Sprengkraft der Attacke ausmacht, und was auch der Kreml sich von der Veröffentlichung seiner Beute versprechen wird: eine große Chance, die öffentliche Meinung in Russland und Deutschland zu manipulieren.

Auf das, was sich Putins Sprachrohr, "Russia Today"-Chefin Margarita Simonian und ihre Kollegen vom Staatsfernsehen aus dem Schaltmaterial zurechtschwurbeln, hat Deutschland keinen Einfluss. Wie die Debatte rund um alle Aspekte des Taurus-Leaks aber bei uns weitergeht, das haben die Deutschen selbst in der Hand. Schön wäre doch, wenn man als Gesellschaft möglichst entgegen Putins Erwartungen reagieren würde - ärgerlich für den Kreml und für Deutschland umso gesünder. Dazu ein paar Vorschläge:

1) Breathe in, breathe out - Schnappatmung vermeiden

Minister Pistorius ist "sehr ärgerlich über die Geschichte", O-Ton von heute Vormittag, aber wenn bei den Untersuchungen nichts "Schlimmeres" herauskomme als bisher der Fall, "werde ich niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern". Ebenso klug und kühl wie der Verteidigungsminister könnten eigentlich alle mit der Abhör-Panne umgehen. Deutschland hat, was die eigene Verteidigungsfähigkeit angeht, nämlich mehr als genug Punkte auf der To-Do-Liste. Am besten lässt man sich nicht von Putin diktieren, was wir in welcher Intensität als nächstes diskutieren und in Angriff nehmen sollten.

Aber müssen da nicht "Köpfe rollen", wie sofort verschiedentlich zu lesen war, in der irrigen Annahme, das stehe für besonders konsequentes Handeln? Tatsächlich kann Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz, der in der abgehörten Schalte mit den drei Offizieren ein Briefing für den Minister vorbereiten wollte, eine ganze Reihe beachtlicher Erfolge in seiner Zeit als Inspekteur der Luftwaffe vorweisen: die Entscheidung für F-35 als zukünftiger Bestandteil der Kampfjet-Flotte, eine deutlich bessere Instandhaltungsquote, ein Stopp der vor einigen Jahren grassierenden Kündigungswelle unter Piloten. Einen wie Gerhartz, der unermüdlich umsetzt und anschiebt, über die Klinge springen zu lassen, wäre kurzsichtig und zum Schaden Deutschlands.

2) Let's face it - Putin greift an, bloß ohne Panzer

Die im Grunde sehr richtige Maßgabe der Bundesregierung, sich nicht in den Ukrainekrieg hineinziehen zu lassen, sollte nicht den Blick dafür verschließen, dass die Grauzone unterhalb eines militärischen Konflikts vom Kreml permanent bespielt wird. Moskau manipuliert Soziale Medien, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen - und das nicht nur bei Russland-Fragen, sondern überall, wo der Kreml Chancen sieht, die Gesellschaft zu zersetzen, den Zusammenhalt zu schwächen.

Dazu gibt es Attacken auf Firmen, auf Infrastruktur, auf Kommunikation. Hier muss Deutschland viel aufmerksamer und wehrhafter werden, besonders auf kommunaler Ebene, wo dies erheblichen finanziellen Aufwand bedeutet. Empfehlenswert ist auch, sich regelmäßig mit dem zu beschäftigen, was in Putins Propagandakanälen über Deutschland verbreitet wird. Das zerstört die Illusion, die Ukraine sei eine Art "Spezialthema" Moskaus, ansonsten ließe sich mit Russland womöglich auch weiterhin ganz gut koexistieren. Das hat dort nahezu niemand vor, und darauf sollte man sich einstellen.

3) Und jetzt: Weiter im Text

Als Putin beschloss, seine Spionage-Bombe zu zünden, war Deutschland gerade in einer spannenden Diskussion über das Für und Wider einer Taurus-Lieferung für die Ukraine. Seit dem Leak wird vielfach analysiert, nun sei des Kanzlers Glaubwürdigkeit bei seinem Nein zum Marschflugkörper so beschädigt, dass er das Fass auf keinen Fall wieder aufmachen kann. Eine verfrühte und unangemessene Konsequenz aus dem Lauschangriff wäre das, zumal komplett im Sinne des russischen Aggressors. Putin möchte auf keinen Fall den potenten deutschen Marschflugkörper in den Händen der Ukrainer sehen.

Olaf Scholz steht vor dem Problem, dass die Bundeswehr-Experten in ihrer vertraulichen Schalte seine technische Argumentation nicht stützen. Er schwenkte darum am Montag von der ursprünglichen Begründung (Programmierung nicht möglich ohne deutsche Soldaten) um auf das Problem Reichweite (zu groß die Gefahr, dass russisches Territorium, womöglich sogar Moskau angegriffen würde).

Hier gilt es weiter zu diskutieren. Denn die 500 Kilometer Reichweite übertreffen zwar die Fähigkeiten der Waffen, die westliche Unterstützer der Ukraine bislang zur Verfügung stellen. Doch wer sagt, dass ein Ja zum Taurus bedeuten müsste, den Ukrainern mit einem Schlag alle 100 Exemplare zu schicken, die die Bundeswehr laut Schätzungen entbehren könnte? Auch eine deutlich kleinere Zahl wäre ein guter Anfang, bei dem sich Kiew einmal mehr als wortgetreuer, verlässlicher Partner bewähren könnte. Putin will die Diskussion beenden. Darum: Jetzt erst recht, da ist noch Musik drin.

4) Die belauschte Schalte hat Podcast-Qualität - reinhören!

Während die Schalte zwischen Gerhartz und seinen drei Offizieren in den russischen Medien in aller Ausführlichkeit breitgetreten und bewusst missinterpretiert wird - etwa als Plan der Deutschen, Ziele in Russland oder die Kertsch-Brücke anzugreifen - wird dieses Zeitdokument von der deutschen Öffentlichkeit bislang kaum gewürdigt.

Warum eignen wir uns diese 38 Minuten zwischen dem höchsten Soldaten der deutschen Luftwaffe und drei Experten seiner Wahl nicht an? Wie eine Podcast-Folge der - leider nicht existenten - Reihe "Inside Truppe"? Das Gespräch ist kenntnisreich, konkret und ausgesprochen unterhaltsam. Wenn Deutschen ansonsten oft und meistens zu Recht der Ruf bürokratischer Bremser vorauseilt, verkörpern diese vier Männer das genaue Gegenteil: engagiert, kreativ und bereit, jenseits der bekannten Pfade, out of the box zu denken. Auf der Suche nach Lösungen: jeht nich, jibs nich. Das ist erfrischend und macht zuversichtlich mit Blick auf die vielen Probleme, die jenseits der Frage, "Könnte man die für Taurus erforderlichen Geodaten per Auto nach Polen fahren?" noch vor uns liegen. Und deutsche Jogger, die interessiert, aber gelassen die russische Spionage-Beute auf dem Ohr haben - das kann Wladimir Putin nur sehr schwer gefallen.

Quelle: ntv.de

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