Die fetten Jahre sind vorbei Sagt den Menschen endlich die Wahrheit!


Alles kann so bleiben wie es ist? Nein, kann es nicht.
(Foto: IMAGO/Political-Moments)
Die Zeiten, alle sozialen Risiken mit Milliarden zu verringern, sind vorbei. Umso erstaunlicher ist, dass im Wahlkampf weiterhin alles Mögliche versprochen wird. Was auch mit den Deutschen selbst zu tun hat. Die lieben den Glauben, dass alles bleibt, wie es ist.
Ende vergangenen Jahres protestierten Angehörige des Berliner Kulturbetriebs, der weitgehend von Steuergeldern lebt, gegen die Kürzungspläne der Landesregierung. Motto: Sparen ja - aber nicht bei uns und unseren Anliegen. Der Schuldige für die Rotstift-Aktion war schnell gefunden. Kultursenator Joe Chialo und seine CDU, die "ausgerechnet bei der Diversitätsförderung in der Kultur" streichen wollten, weil ihnen "gebildete Migrant*innen im Theaterfoyer nicht ins Bild passen", schrieb etwa ein Kritiker in der "taz". So einfach kann es sein.
Die Wahrheit sieht so aus: Berlin, das unter den Bundesländern die zweithöchste Zahl an Bürgergeldempfängern hat, lebt seit Jahren über seine Verhältnisse. In den Jahren 2024 und 2025 klaffte in der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung ein Loch von fast vier Milliarden Euro, das zu schließen war. Den Trick, Milliardenkosten für den Klimaschutz in einem als "Sondervermögen" getarnten Schattenhaushalt zu verstecken, stoppte der Landesrechnungshof. Die Hauptstadt musste sparen - über alle Ressorts hinweg. CDU und SPD einigten sich auf unglaubliche drei Milliarden Euro an Kürzungen. Eine gigantische Leistung.
Gestrichen wurde, um nur ein Beispiel zu nennen, das 29-Euro-Ticket, das erst zum 1. Juli wieder eingeführt worden war. "Wir hatten die schwere Entscheidung zwischen Schülerticket für 300.000 Kinder, gebührenfreier Kita- und Hortbetreuung und kostenlosem Schulmittagessen versus 29-Euro-Ticket", begründete Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey die Entscheidung. "In dieser Situation haben wir uns für die Kinder und ihre Familien entschieden und das ist aus meiner Sicht richtig so. So gerne wie ich beides gehabt hätte."
Es geht nicht mehr
Das sah wohl jeder ein. Dass die Sozialdemokratin nicht um den heißen Brei herumredete und sagte, was Phase ist, auch zugab, dass nicht mehr alles geht, was wünschenswert ist, tat gut. Daran sollten sich ihre Kolleginnen und Kollegen in Bund und Ländern ein Beispiel nehmen. Es ist nämlich dringend nötig, den Menschen im Land reinen Wein einzuschenken. Denn jeder spürt und weiß es längst: Die fetten Jahre sind erst einmal vorbei - und es wird nicht besser angesichts laufender und drohender Kriege sowie Krisen überall auf der Welt. Auf Deutschland kommen harte Zeiten zu. Der Kapitalismus zeigt sich von seiner fiesen, seiner darwinistischen Seite. Das Land steckt fest in einer Konjunkturkrise, Besserung ist vorläufig nicht in Sicht.
Es war normal, wie in der Corona-Pandemie jedes Risiko sozialer Verwerfungen mit Milliarden im Ansatz ("Doppel-Wumms" etc.) zu verringern und jedes aufkommende Jammern zu übertönen, oft verbunden mit dem Vorder- oder Hintergedanken, die AfD klein und das Land zusammen zu halten. Aber das Polster ist aufgezehrt. Die Bundesrepublik verliert an Wettbewerbsfähigkeit, wie nicht zuletzt der beängstigende Niedergang der Autoindustrie und seiner Zulieferer zeigt. Beim Kampf ums All werden - wie schon bei digitalen Produkten - die Amerikaner und die Chinesen vorn, Deutschland und der Rest Europas zum Zuschauen verdammt sein.
Heißt: Nicht alles, was gewollt wird, geht noch. Milliardensubventionen hier, höhere Sozialausgaben dort, mehr Rente und haufenweise Geld für Klimaschutz, innere und äußere Sicherheit, Bürgergeld, Straßen- und Brückenbau, Kultur, Bildung inklusive Schulsanierung, Verteidigung der Demokratie, Integration von Millionen Einwanderern - es ist einfach zu viel. Abstriche müssen gemacht werden. Doch noch immer leben viele Deutsche im Glauben, dass wir uns alles leisten können, weil wir wirtschaftlich stark sind und zu den wenigen verbliebenen Ländern gehören, die das AAA, die Topbonitätsrate der drei großen Ratingagenturen, haben.
Die Bürger wollen getäuscht werden
Einschnitte müssen irgendwo gemacht werden, zumal wir die Verteidigungsausgaben drastisch erhöhen müssen, wenn wir Russland davon abhalten wollen, weiter nach Westen auszugreifen. Denn die Amerikaner wollen Europa nicht länger auf Kosten des US-Haushalts beschützen. Die Schuldenbremse wird früher oder später gelockert werden müssen. Aber auch dann eröffnen sich der nächsten Bundesregierung keine unbegrenzten Spielräume - schon gar nicht für soziale Geschenke. Was dabei herauskommt, wenn Regierungen beim Schuldenmachen überziehen, zeigt das inzwischen fast unregierbare und finanziell in schwerer Not befindliche Frankreich, das keinen verfassungsrechtlichen Deckel für die Kreditaufnahme hat.
Umso erstaunlicher ist es, dass im Wahlkampf weiterhin alles Mögliche versprochen wird. Was auch mit den Deutschen selbst zu tun hat. Politiker, die den Mumm haben, vor einer Wahl zu sagen, wie es ist, fallen durchs Raster. Zugesichert werden deshalb noch mehr Sozialausgaben und noch mehr Subventionen für alles Mögliche. Keine Partei bereitet die Bevölkerung auf das Unvermeidbare vor, den Gürtel enger zu schnallen. Von Strukturreformen redet niemand - dafür ist es ohnehin zu spät: Faktisch ist eine radikale Steuerreform mit drastischen Vereinfachungen nicht mehr drin, weil sie in einer Neiddebatte zerredet würde und wegen ihrer Komplexität kaum mehr zu vermitteln wäre.
Mutti Merkel, Onkel Olaf
Der populärste Ansatz ist noch, Milliardäre und andere "Superreiche" sowie Erben üppiger Vermögen härter zu besteuern. Auch das wäre als Folge der Unterscheidung einzelner Rechtsformen von Unternehmen verdammt schwierig, ohne Arbeitsplätze in Gefahr zu bringen und Tore für Umgehungen zu öffnen. Derweil heben die Pflegeversicherung und die Krankenkassen ihre Beiträge immer weiter an. "Mit Sicherheit stabile Renten", heißt es auf Plakaten. Auch das ist ein unhaltbares Versprechen, falls die Sozialabgaben nicht ins Unermessliche und die Wirtschaft weiter abschmieren sollen.
Was wir im Wahlkampf erleben, ist mutlos, schlafwandlerisch und feige. Aber es bedient eben auch exakt die Erwartungshaltung weiter Teile der Bevölkerung. Man kann getrost davon ausgehen, dass die Union mit der nach wie vor überaus populären Angela Merkel als Kanzlerkandidatin 35 Prozent holen würde. Sie hat den Leuten jahrelang weisgemacht, dass alles immer so bleiben wird, wie es ist. Dabei hatte sie die Früchte der Agenda 2010 ihres Vorgängers Gerhard Schröder geerntet, während sie selbst keine tiefgehende Strukturreform wagte. Der Versuch des noch amtierenden Kanzlers, Mutti Merkel durch Onkel Olaf zu ersetzen, scheiterte im Ansatz wegen seiner unkommunikativen Art, die er zu spät abstellte.
Nun bräuchte Deutschland eine Agenda, gegen die das Reformpaket Schröders ein Reförmchen war. Die Chancen dafür sind - auch mit Blick auf eine mögliche neue Dreier-Koalition, die den kleinsten gemeinsamen Nenner findet - miserabel. Schade. Aber letztlich ein selbstgewähltes Schicksal.
Quelle: ntv.de