Person der Woche Frau Lambrecht, machen Sie den Scharping!
03.01.2023, 10:11 Uhr
Wirre Amtsführung und groteske Auftritte der Bundesverteidigungsministerin sind nicht bloß peinlich. Ausgerechnet in Kriegszeiten beschädigt sie damit die Bundeswehr und das Ansehen Deutschlands. Lambrecht sollte zurücktreten wie weiland Rudolf Scharping nach seinen Mallorca-Pool-Fotos.
Christine Lambrecht hat das peinlichste Video des vergangenen Jahres produziert. Die Verteidigungsministerin stellt sich in die Silvesterböller Berlins, um der Welt zu verkünden, dass sie mitten im Krieg "ganz viele besondere Eindrücke gewinnen konnte" und "viele, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen" hatte. Kein Wort vom Leid der Ukraine, keine Silbe zum Angriffskrieg Putins, stattdessen peinliche Sätze vor krachenden Neujahrsraketen - angesichts des Kriegs in der Ukraine eine schmerzliche Assoziation. Das Ganze ist so peinlich unprofessionell und geschmacklos wie der Rücktrittsauftritt der Bundesfamilienministerin Anne Spiegel vor wenigen Monaten. Das Video demaskiert eine Politikerin in ihrer Eitelkeit und Inkompetenz derart grotesk, dass nicht nur die politische und mediale Klasse in Berlin fassungslos ist.

Das Silvester-Video ist nur die letzte Peinlichkeit in einer langen Reihe der Unzulänglichkeiten von Ministerin Lambrecht.
(Foto: dpa)
Über Lambrecht bricht ein regelrechter Sturm des Entsetzens herein. Als peinlich und würdelos empfinden den Auftritt selbst treue Genossen. Zugleich wächst sich der abermalige Fehltritt zum hochgradigen Politikum aus. Dass Deutschland mitten in einem europäischen Krieg von einer seriell peinlichen, inkompetenten Verteidigungsministerin vertreten wird, empfinden viele Bundestagsabgeordnete und auch die Truppe als Zumutung. Aus der Union hagelt es Rücktrittsforderungen.
Selbst besonnenen Gemütern wie der Verteidigungspolitikerin Serap Güler platzt der Kragen. "Die Rede über den Krieg mit Silversterböllern im Hintergrund setzt ihrer Serie von Peinlichkeiten nur noch die Krone auf. Jede weitere Minute, in der der Bundeskanzler an dieser Ministerin noch festhält und damit das Ansehen unseres Landes weiter beschädigt, geht auf sein Konto." Und sogar Armin Laschet, der inzwischen über den politischen Niederungen schwebt, schreibt entsetzt: "Ist dem Bundeskanzler eigentlich die Wirkung Deutschlands in Europa und der Welt völlig egal?"
Fremdschämen wie bei Scharpings Planschereien im Pool
Der Auftritt Lambrechts wirkt nicht nur wie eine groteske Persiflage auf eine entrückte Politikerin. Schlimmer noch ist die Wirkung dieser Realsatire auf die Bundeswehr, auf ihre Soldaten und auf die Weltöffentlichkeit. Die instinktlose Naivität und Selbstgefälligkeit des Videos droht in der Ukraine und bei den Verbündeten als Dokumentation der ebensolchen Verteidigungspolitik Berlins angesehen zu werden. Deutschland steht wegen seiner Zögerlichkeit in der Unterstützung der Ukraine, wegen seiner brüchig wirkenden Bündnistreue, wegen seiner miserablen militärischen Fähigkeiten und dem Verweigern von Rüstungszusagen ohnedies in der Kritik unserer Partner. Die Kombination aus hochtrabend moralischer Selbstgefälligkeit und realpolitischer Inkompetenz prägt das Deutschlandbild auf zusehends gefährliche Art und Weise. Dieses Video untermalt daher die schlimmsten Vorurteile über Deutschlands Niedergang.
Der Skandal erinnert an die Mallorca-Pool-Fotos von Rudolf Scharping. Vor genau 20 Jahren griff der damalige Verteidigungsminister zu einer ähnlich schrägen Selbstinszenierung in Kriegszeiten. Das "Tolle Menschen"-Kriegsvideo vor krachenden Böllern ist genauso zum Fremdschämen wie die Plansch-Schmusereien mit Gräfin Pilati als seinerzeit der Balkankrieg ausbrach. Scharping musste daraufhin zurücktreten - Christine Lambrecht ist dieser Schritt nun auch dringend nahezulegen.
Denn Lambrechts Amtsversagen kulminiert in diesem Video bloß. Seit einem Jahr taumelt sie von einer Blamage zur nächsten. Vom Skandal um den Helikopter-Flug mit ihrem Sohn nach Sylt über ihre 5000-Helme-Aktion bis zum Stöckelschuh-Auftritt bei der Truppe in Mali. Von ihrer irrlichternden Ukraine-Politik bis zum Versagen bei der Munitions- und Waffenbeschaffung. Lambrecht wird im eigenen Ministerium wegen ihrer fachlichen Inkompetenz nur mühsam ertragen, wegen ihres ruppigen Umgangs mit Mitarbeitern sogar verachtet. Vom einfachen Soldaten bis zur Generalität herrscht weitläufig Respektlosigkeit einer Ministerin gegenüber, die im Bundestag nicht einmal weiß, was ein Panzer ist, dafür aber mehr weibliche Generäle einfordert und in der Truppe überall rechtsradikale Umtriebe wähnt.
Lambrechts Absturz im Ansehen der Öffentlichkeit vollzieht sich seit Monaten messbar in den Beliebtheitsrankings der Politik. Doch Beliebtheit ist nur ein Aspekt. In ihrem Fall geht es um Krieg und Frieden, um die Verteidigungsfähigkeit und die Reputation Deutschlands. Bei aller angemessenen Kritik der Union gehört allerdings zur Wahrheit, dass auch die vormalige Regierung unfähige Minister wie den CSU-Politiker Andreas Scheuer gehalten hat, dessen gescheiterte Mautverträge den Steuerzahler im Nachgang mehr als eine halbe Milliarde Euro kosten könnten.
Özdemir reichte Bonusmeilen-Affäre zum Rücktritt
Sollte der Kanzler Lambrecht nicht zum Rücktritt bewegen, dann fällt der Schatten der Würdelosigkeit und Inkompetenz auf seine ganze Regierung. Auch die Integrität der Ampelpolitik steht damit auf dem Spiel. Denn Rücktritte spiegeln immer auch die ethische Qualität einer Regierung, den Status der politischen Kultur im Land wider. "Die SPD beschädigt die informelle Demokratie, wenn das Prinzip Verantwortung nicht mehr gilt", heißt es bereits aus der FDP.
In der Vergangenheit sind Politiker schon bei kleineren Vergehen zurückgetreten. Der Grüne Cem Özdemir trat einmal wegen der privaten Nutzung dienstlicher Bonusmeilen von seinem Amt als innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion zurück - eine Lappalie im Vergleich zu Lambrechts Eskapaden. Es gab auch Rücktritte, weil Politiker honorig die Verantwortung für gar nicht persönlich begangene Fehler übernahmen, wie der Bundesinnenminister Rudolf Seiters oder der Verteidigungsminister Franz-Josef Jung - beide von der CDU - nach Fehlern bei Sicherheitseinsätzen. Und die liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger entschied sich 1995 zu diesem Schritt, weil sie den großen Lauschangriff ablehnte.
"Ich habe Fehler gemacht, die aber eigentlich nicht zu einem Rücktritt gereicht hätten. Dennoch habe ich mich für diesen Schritt entschlossen, weil das zu meinem politischen Selbstverständnis gehört, dass man für seine eigenen Fehler die politische Verantwortung übernimmt." Dieses hohe Ethos von Verantwortung zeigte die Grünen-Politikerin Andrea Fischer 2001, als sie den Posten der Bundesgesundheitsministerin zur Verfügung stellte, nachdem ihr Missmanagement in der BSE-Krise vorgeworfen worden war.
Wie sieht es heute mit Verantwortung und Würde des Amtes aus? Der Fall Lambrecht wird zum Charaktertest der Ampel, die sich ja gerne hohe Werte auf die Fahnen schreibt.
Quelle: ntv.de