10, 20, sogar 40 Milliarden? "Es wird die teuerste WM aller Zeiten"
14.06.2018, 14:28 Uhr
Gewinnen kann Wladimir Putin den WM-Pokal mit Russland nicht - sich in seinem Glanz sonnen schon.
(Foto: REUTERS)
Fußballerisch droht Russland die ganz große WM-Enttäuschung, schon nach dem Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien (ab 17 Uhr im n-tv.de Liveticker) könnte alles verloren sein. Und auch wirtschaftlich steht das Land vor einer weltmeisterlichen Ernüchterung, prognostiziert der Ökonom Matthias Fett im n-tv.de Interview. Er untersucht in seiner Promotion die Auswirkungen von Fußball-Weltmeisterschaften und warnt: "Zu sagen, eine WM bringt automatisch Wirtschaftswachstum, halte ich aus ökonomischer Sicht für sehr fatal." Seine Berechnungen zeigen: Obwohl Russland nach einer Kostenexplosion das teuerste WM-Turnier aller Zeiten ausrichtet, wird der erhoffte Konjunkturschub ausbleiben. Profiteure des nächsten russischen Milliardenirrsinns gibt es trotzdem.
Die Kosten für die WM in Russland werden offiziell immer noch mit 10 Milliarden Euro beziffert. Wie realistisch sind diese Angaben?
Wenig realistisch. Schon vor fünf Jahren gab es mehr oder weniger offizielle Rechnungen, dass sich die Kosten eher im Rahmen von 16 bis 17 Milliarden Euro bewegen dürften. Und auch das war noch positiv geschätzt.
Was ist - im Juni 2018 - eine realistische Schätzung?

Matthias Fett arbeitet als Ökonom an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Im Rahmen seiner Doktorarbeit untersucht er anhand eines spezialisierten Wachstumsmodells, welche wirtschaftlichen Auswirkungen Fifa-Fußballweltmeisterschaften oder Olympische Spiele auf die Ausrichternationen haben.
(Foto: Matthias Fett)
Es könnten erneut an die 50 Milliarden Dollar werden, wie für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. Das wären dann rund 43 Milliarden Euro. Die offiziellen Angaben werden wohl nach der WM auf 20 Milliarden Euro nach oben korrigiert werden. Offizielle russische Zahlen sind aber oft sehr intransparent und sagen nicht unbedingt aus, was die WM tatsächlich kostet. Für Sotschi hatte erst der Oppositionelle Boris Nemtsov die wahren Kosten aufgedeckt, der später bekanntlich einem Mordanschlag zum Opfer fiel.
Mindestens 20, womöglich mehr als 40 Milliarden Euro - inwiefern fällt die WM 2018 damit im Vergleich zu Vorgängerturnieren aus dem Kostenrahmen?
Es wird mit Abstand die teuerste WM aller Zeiten, noch teurer als Brasilien 2014. Dort hatte man mit 13 Milliarden Dollar geplant und liegt inzwischen mit den Folgekosten eher im Rahmen von 20 Milliarden Dollar. In Russland muss man realistischerweise schon jetzt von dieser Preisdimension ausgehen - bevor das Turnier stattgefunden hat.
Erst der Kostenwahnsinn in Sotschi 2014, jetzt die Rekord-WM: Warum sind sportliche Großereignisse in Russland immer so viel teurer als geplant?
Nun, im Fall der WM haben die 2014 nach der Annexion der Krim verhängten Sanktionen gegen die russische Wirtschaft zu einem starken Preisverfall des Rubels geführt. Das hat das Bauen in Russland generell verteuert, viele Materialien auch für den Stadionbau müssen importiert werden. Das liefert den Russen schon jetzt ein Argument: dass das Ausland sie wirtschaftlich bestraft hat und deswegen die WM-Kosten aus dem Ruder gelaufen sind. Ein anderer offensichtlicher Grund ist die grassierende Korruption. Das ist zwar nicht nur ein russisches Problem, wird aber durch das politische System mit einem allmächtigen Präsidenten Wladimir Putin an der Spitze begünstigt. Aufträge werden nicht ausgeschrieben, wie man das sonst kennt. Sie werden eher über persönliche Beziehungen an Oligarchen vergeben, die Putin wohlgesinnt sind. Die, die ihm nicht wohlgesinnt waren, wurden enteignet und auch zu Haftstrafen verurteilt.
Die Oppositionspartei Jabloko schätzt laut ARD-Recherchen, dass in Russland allein bei den Stadionbauten 1,3 Milliarden Euro versickert sind.
Das erklärt dann auch solche Widersprüche, dass einerseits extrem gespart wird, zum Beispiel durch den Einsatz nordkoreanischer Arbeiter auf den WM-Baustellen. Aber dass die Stadien andererseits trotzdem viel teurer werden - durch Intransparenz, Fehlplanung, falsche Kalkulationen. Die Medien sind zudem so beeinflusst, dass sie anders als beispielsweise in Brasilien über Korruption nicht berichten und kein öffentlicher Druck entstehen kann. Da kann man dann auch einen Badeort wie Sotschi für über 40 Milliarden Euro in einen Ort für Winterspiele umbauen. Im Zweifel springt am Ende der russische Staat als Geldgeber und Garant sehr gerne ein. Damit kalkulieren die Unternehmen natürlich, da Deadlines eingehalten werden müssen. Ein WM-Eröffnungsspiel kann ja - anders als die BER-Einweihung - schlecht verschoben werden.
Von den Ausrichtern und der Fifa werden Weltmeisterschaften gern als Konjunkturprogramm beworben, die Kosten als Investitionen dargestellt. Sie haben im Rahmen Ihrer Promotion ein Modell entwickelt, um WM-Effekte statistisch berechnen zu können und tatsächlich positive Auswirkungen nachgewiesen. Auch bei Russland?
Der Fußball-Weltverband Fifa schätzt, dass die WM in Russland insgesamt bis zu 25 Milliarden Euro einspielen könnte. Wenn das eintreten würde, käme selbst bei Kosten von 20 statt 10 Milliarden Euro noch ein hübsches Plus raus. Die Argumentation von Fifa und Gastgeberländern beruht aber oft nicht auf genauen Berechnungen, sondern auf Schätzungen und Gutachten, die ihre Auftraggeber befriedigen und Ausgaben rechtfertigen sollen. Wenn man die WM-Effekte nicht nur optimistisch schätzt, sondern wissenschaftlich betrachtet und auf ein Modell stützt, das auf statistischen und historischen Daten beruht, dann muss man grundsätzlich feststellen: Eine Fifa-WM kann durchaus die Konjunktur ankurbeln. Aber: Die messbaren positiven Effekte, mit denen die Fifa wirbt, sind erst nach 1990 aufgetreten. Vorher gab es überall deutlich negative Auswirkungen. Und: Bei den positiven Effekten fällt zudem auf, dass vor allem Industrienationen und EU-Länder besonders stark profitiert haben. Für die ist eine WM statistisch gesehen ein Konjunkturschub.
Und für Länder wie Russland nicht?
Schwellenländer, zu denen Russland gehört, verbuchen eher negative Ergebnisse. Das hat man in Südafrika gesehen, das hat man in Brasilien gesehen, wo nicht der versprochene Gewinn erzielt wurde. Im Gegenteil, es gab und gibt noch enorme Folgekosten. Die wird es durch überdimensionierte Stadien auch in Russland geben. Insgesamt ergeben die Hochrechnungen anhand der vorliegenden statistischen Daten, dass sich Russland keinen positiven WM-Effekt erhoffen darf. In den kommenden Jahren ist dort zwar mit einem Wirtschaftswachstum zu rechnen. Der Grund sind aber nicht die vier Wochen Fifa-WM, sondern der gestiegene Ölpreis. Zu sagen, eine WM bringt automatisch Wirtschaftswachstum, halte ich aus ökonomischer Sicht für sehr fatal.
Kann sich Russland diese Rekord-WM überhaupt leisten?
Von der gesamten Wirtschaftsleistung her können sie es schon. Auch mit WM-Kosten zwischen 20 und 43 Milliarden Euro wären das nur zwischen 1,5 und 3,2 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Da könnte man sagen: Gemessen daran ist es nicht sehr viel. Die Frage ist aber, woher das Geld kommt. Das kann noch einmal zu einem Bumerang werden. Das zusätzlich benötigte Geld musste ja beschafft werden, alles musste bis zur WM fertig werden. Dieses Geld wurde nicht nur aus den Exportüberschüssen genommen, die Russland dank seines Ressourcenreichtums durch seine Rohstoffexporte erzielt. Es wurde teils einfach irgendwo abgezwackt, um Finanzierungsengpässe zu überbrücken. Das betrifft dann meist Investitionen in Ressorts wie Umwelt, Soziales oder Bildung, die längerfristig besser sind für das Wirtschaftswachstum als Milliarden für Fußballstadien oder WM-Infrastruktur. Das könnte sich negativ auf das zukünftige Wachstum auswirken.
Fassen wir einmal zusammen: enorm gestiegene Kosten, keine erwartbaren Wirtschaftsimpulse, versickerte Gelder, weiße Elefanten nach dem Turnier. Wer profitiert von der WM in Russland?
Der Fußball-Weltverband. Die Fifa hat natürlich auch Ausgaben für Spielerversicherungen, Ordner, Stadionmiete oder die Millionenprämien bei der WM. Aber am Ende dürfte trotzdem ein Reingewinn von einer Milliarde Dollar rauskommen. Geldtechnisch haben sicherlich auch die russischen Oligarchen profitiert, die gute WM-Geschäfte machen konnten. Auch dem Ansehen von Wladimir Putin in Russland wird die WM trotz der enormen Kosten nicht schaden. Er ist zwar selbst nicht der große Fußballfan, aber er weiß den Sport ganz genau auszunutzen. Fußball ist weltweit die Sportart Nummer eins und auch in Russland eine der beliebtesten Mannschaftssportarten. Wenn man sich im Glanz des WM-Pokals sonnen kann, im Fußball als wichtige Figur rüberkommt und Einfluss zu haben scheint, dann macht das einen positiven Eindruck auf die Wähler. Der Arbeiter in Wladiwostok wird in seinem Portemonnaie aber nicht merken, ob die WM in Russland stattfindet oder in Kanada.
Mit Matthias Fett sprach Christoph Wolf
Quelle: ntv.de