Abwrackprämie gegen Krisenkater? Autobranche erlebt "einmalige" Situation
03.04.2020, 09:47 Uhr
Deutschlandweit haben viele Fabriken die Produktion eingestellt und die Nachfrage ist in vielen Märkten eingebrochen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Bewältigung der Corona-Krise ist in der Autobranche im Moment allumfassendes Thema und Ziel. Ob die Umsetzung der C02-Ziele bis 2030 dabei noch relevant ist, war lange unklar. Dazu und zur Schaffung einer möglichen neuen Abwrackprämie äußern sich nun Brancheninsider.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sieht die Branche infolge der Corona-Krise schwer unter Druck. "Wir stehen vor einer Herausforderung in bisher nie gekanntem Ausmaß", sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. "In dieser einmaligen Ausnahmesituation ist Krisenmanagement gefragt, nicht das Führen von politischen Debatten."
Mit Blick auf mögliche strengere CO2-Grenzwerte auf EU-Ebene nach 2030 sagte Müller, weitere und zusätzliche Belastungen verstärkten in einer solchen Zeit die Herausforderungen und kosteten Zukunft. "Wir müssen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise daher erst seriös bewerten, bevor wir über mögliche zusätzliche Belastungen sprechen."
Die "Süddeutsche Zeitung" hatte berichtete, Verbände und Konzerne forderten von der Europäischen Kommission infolge der Corona-Pandemie, Pläne für härtere Grenzwerte zu kippen. Die Industrie habe bei einem Krisengespräch mit Kanzlerin Angela Merkel, Bundesministern und führenden Branchen- und Gewerkschaftsvertretern Rückendeckung der Regierung gefordert. Müller machte deutlich, die Autoindustrie versuche nicht, aktuelle EU-Ziele bei CO2-Grenzwerten aufzulockern oder deren Umsetzung zu verschieben. "Die deutsche Automobilindustrie teilt die Vision eines klimaneutralen Verkehrs bis 2050."
Bewältigung der Corona-Krise hat Priorität
Die von der EU erst 2018 verabschiedeten strengen CO2 Ziele für 2021 und 2030 würden gelten und von der Automobilindustrie ausdrücklich unterstützt. Anderslautende Behauptungen stellten falsche Zusammenhänge her. Hintergrund sind die Pläne der EU-Kommission, in einem "Green Deal" bis 2050 der erste "klimaneutrale" Kontinent der Erde zu werden. Im Zuge dessen könnten Klima-Vorgaben für die Autoindustrie noch einmal verschärft werden.
Das Thema stehe nicht auf der Tagesordnung, sagte Müller. Forschung und Entwicklungsinvestitionen, die nötig seien, damit die geltenden und sehr herausfordernden CO2-Vorgaben der EU eingehalten werden könnten, würden auch in Zeiten der Krise so weit wie möglich vorangetrieben. Im Fokus der Automobilindustrie stehe aber die Bewältigung der Corona-Krise. "Es geht darum, den Schutz der Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewährleisten, die Lieferketten zu stabilisieren und den Betrieb in Zeiten von Corona so weit wie möglich zu sichern."
Die Branche legt heute aktuelle Absatzzahlen vor. Wegen der Corona-Krise produzieren viele Fabriken nicht mehr, viele Händler mussten ihre Geschäfte schließen, die Nachfrage in vielen Märkten ist eingebrochen. Die Autoindustrie befindet sich ohnehin in einem schwierigen Umbruch hin zu alternativen Antrieben, dazu kommt der digitale Wandel.
"Solche Fehler dürfen sich nicht wiederholen"
So fordert auch der Betriebsratschef des Autobauers Daimler, Michael Brecht, Konjunkturimpulse für die Autobranche nach der Corona-Krise. Die Politik solle sich Gedanken darüber machen, welche Kaufstimulationen sie für die Zeit nach der Krise an den Start bringen könnte, sagte Brecht der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". "Denkbar wäre hier eine Art Abwrackprämie für Fahrzeuge mit Schadstoffklassen, die nicht mehr zeitgemäß sind."
Zu den CO2-Vorgaben der Europäischen Union müssen die Autohersteller seiner Meinung nach stehen: "Der Autoindustrie wird regelmäßig vorgeworfen, dass sie immer wieder versucht, unangenehme Zielvorgaben durch Lobbyarbeit zu verhindern. Diesen Fehler sollten wir nun nicht begehen", sagte Brecht den Zeitungen weiter. Auch Daimler-Chef Ola Källenius vertrete die Ansicht, "dass man die Krise nicht nutzen sollte, um an den CO2-Zielen zu rütteln".
Der Umweltverband BUND warnte die Autobranche davor, die Coronakrise auszunutzen, um beschlossene Fortschritte für den Klimaschutz wieder zurückzunehmen. Verkehrsexperte Jens Hilgenberg sagte, zudem müsse sich die Bundesregierung in jedem Falle verkneifen, große, schwere Autos mit Verbrennungsmotoren zu fördern. Schon die Abwrackprämie im Zuge der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren habe nicht die sparsamsten und umweltfreundlichsten Autos gefördert. "Solche Fehler dürfen sich nicht wiederholen."
Quelle: ntv.de, jru/dpa/AFP