Wirtschaft

Häuser und Land für einen Euro Beenden fast geschenkte Immobilien die Wohnungsnot?

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Bauland für Centpreise: In Schweden kämpft ein Ort mit einem ungewöhnlichen Angebot gegen die zunehmende Landflucht.

Bauland für Centpreise: In Schweden kämpft ein Ort mit einem ungewöhnlichen Angebot gegen die zunehmende Landflucht.

(Foto: imago images/Shotshop)

Der Druck auf die Städte nimmt zu. Laut der EU-Kommission werden bis 2050 mehr als acht von zehn Menschen in Europa in Städten wohnen. Die Provinz verwaist. In Italien und nun auch Schweden versuchen entvölkerte ländliche Gemeinden mit Häuser- und Grundstücksverkäufen für nahezu lau gegenzusteuern. Begleitet von einer großen Medienkampagne bietet Götene im Südwesten Schwedens Bauland zu Centpreisen an, um Menschen anzulocken - und stößt damit auf eine Resonanz, die die örtlichen Server zusammenbrechen lässt. Der Bürgermeister selbst nennt es eine "verrückte Marketingaktion". Können Schleuderpreise den Bevölkerungsschwund auf dem Land aufhalten? Sollten sich deutsche Gemeinden ein Beispiel daran nehmen? ntv.de fragt den "Wohnwendeökonom" Daniel Fuhrhop, der sich auf alternative Wohnmodelle spezialisiert hat.

ntv.de: Europaweit drohen ganze Landstriche zu veröden. Vor allem junge Leute zieht es vom Land in die Städte. In Schweden und Italien begegnen Orte dieser Abwanderung mit Immobilienangeboten zu Schleuderpreisen. Können sich Schnäppchenjäger auch in Deutschland bald auf solche Kampagnen freuen?

Daniel Fuhrhop: Wir haben extremen Wohnraummangel in unseren Städten. Auf dem Land dagegen gibt es sehr viele Häuser, die nicht wirklich genutzt werden oder schlimmstenfalls leer stehen. Insofern macht es viel Sinn, Menschen dabei zu helfen, in entlegenen Gegenden Wohnraum zu finden …

Aus Ihrer Sicht ist es also sinnvoll, Häuser und Grundstücke auf dem Land zu Spottpreisen zu verkaufen?

Pauschal kann man das so nicht sagen. Das italienische Modell hat seinen Charme. Es sind Häuser, die schon lange auf eine neue Hausherrin oder einen Hausherrn warten. Land zu verscherbeln, wie es in Schweden geschieht, ist für mich jedoch problematisch.

Wieso?

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Stellen Sie sich vor, in unmittelbarer Nähe schöner Altbauten oder Höfe würden plötzlich Neubauten entstehen. Dann wäre es vorbei mit der Idylle. Alte Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft wiederzubeleben, wäre noch schwieriger. Wir haben in Deutschland genügend Äcker als Bauland umgewidmet. Das ist ökologisch schlimm, obendrein kann das auch den Niedergang kriselnder Orte auf dem Land beschleunigen. Grundstücke zu verschenken oder günstig abzugeben, bedeutet also nicht automatisch, dass man eine ländliche Region auch fördert.

Was sollte eine Gemeinde denn aus Ihrer Sicht stattdessen tun?

Sie sollte sich anschauen, was es bei ihr schon gibt: die Häuser und die Menschen, die dort leben. Sie können den Verkauf und den Umbau von alten Häusern unterstützen. Letzten Endes kommt es natürlich darauf an, wem die Häuser gehören und ob eine Gemeinde darauf zugreifen kann.

Welche Modelle gibt es denn in Deutschland, die sich als Vorbild eignen?

Wir haben ganz tolle Modelle, die zeigen, dass man Menschen aufs Land locken kann, ohne das Land zuzubetonieren oder die ländliche Idylle zu zerstören. Nehmen Sie etwa das Programm "Jung kauft Alt". Das Modell wurde in Hiddenhausen bei Herford erfunden und wird inzwischen in über 100 Kommunen in Deutschland angeboten. Der Bund plant das Programm im Sommer über die KfW sogar bundesweit auszurollen!

Hier geht es bewusst nicht um leere Grundstücke, sondern um alte Häuser, die leer stehen und Käufer suchen. Denn wenn wir Immobilien schon haben, müssen wir sie doch nicht neu bauen. Das spart Fläche, außerdem schont es das Klima. Zudem gibt es Programme, die nennen sich "sicheres Vermieten". Das hilft den Vermietern, weil sie eine Garantie bekommen, dass die Miete auch wirklich fließt. Hier wird sozialer Wohnraum gefördert, der auf dem Land komplett fehlt.

Aber viele trauen sich nicht, ein altes Haus zu einem marktüblichen Preis zu kaufen, weil sie nicht einschätzen können, wie viel sie noch sanieren müssen.

Auch dabei hilft das Programm "Jung kauft Alt". Kaufinteressenten bekommen einen Zuschuss für ein Hausgutachten. Wenn sie dann wirklich kaufen und einziehen, erhalten sie über einige Jahre jährlich einen Zuschuss. Wer Kinder hat, bekommt auch ein wenig mehr Geld.

Trotz Ihrer Kritik: Die Dumping-Aktion in Schweden stößt auf riesige Resonanz. Wenn die Leute das Gefühl haben, etwas geschenkt zu bekommen, beißen sie einfach an ...

Daniel Fuhrhop ist Wirtschaftswissenschaftler, Berater und Autor. Er selbst bezeichnet sich als Wohnwendeökonom. Seine Schwerpunktthemen: soziales Wohnen, nachhaltiger Stadtwandel und lebenswerte Städte. Gerade erst ist sein Ratgeber "Einfach anders wohnen: 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte" herausgekommen.

Daniel Fuhrhop ist Wirtschaftswissenschaftler, Berater und Autor. Er selbst bezeichnet sich als Wohnwendeökonom. Seine Schwerpunktthemen: soziales Wohnen, nachhaltiger Stadtwandel und lebenswerte Städte. Gerade erst ist sein Ratgeber "Einfach anders wohnen: 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte" herausgekommen.

Geld hilft auf jeden Fall. Selbst kleine Förderungen haben Signalwirkung. Im Gegenzug für 10.000 Euro sind manche plötzlich bereit, mehrere 100.000 Euro auszugeben ...

Auch öffentlichkeitswirksame Kampagnen scheinen wichtig zu sein, wenn man die Leute wieder aufs Land locken will. In Schweden sind die Server zusammengebrochen, nachdem die Medien über die Aktion berichtet haben. Brauchen ländliche Gemeinden einfach auch mehr gute Medienexperten?

So einfach ist das nicht mit dem Landleben. Natürlich gibt es viele Regionen, die zu Unrecht ein schlechtes Image haben. Medienexperten können das zwar etwas aufpolieren. Ich habe mal halb im Scherz vorgeschlagen, dass man ja manche Orte auch umbenennen könnte, zum Beispiel Duisburg, das ein schlechtes Image hat, in Düsseldorf Nord, weil Düsseldorf so ein tolles Image hat. Aber tatsächlich bringen abgelegene Orte häufig auch praktische Nachteile für das tägliche Leben mit sich.

Woran denken Sie dabei?

Ich nenne nur zwei Beispiele: Verkehr und Arbeit. In der Regel funktioniert der öffentliche Nahverkehr nicht gut. Das muss ich finanziell einkalkulieren, auch wenn ich ein Haus geschenkt bekomme. Es fallen auf jeden Fall Kosten an - neben einer möglichen Sanierung -, die ich in der Stadt eher nicht habe. Außerdem kann sich nicht jeder aussuchen, wo er arbeitet. Auch wenn Arbeit seit der Corona-Zeit mit Homeoffice flexibler geworden ist. Es gibt inzwischen sehr schöne Co-Working-Spaces auf dem Land mit Arbeitsplätzen, die man sonst nur im Prenzlauer Berg oder in Schwabing findet. Aber die Kehrseiten muss man eben auch sehen. Ich will sagen: Auch einem "geschenkten Gaul" sollte man genau ins Maul schauen. Es gibt noch viel zu tun - auch für die Politik. Beispielsweise müssen stillgelegte Bahnlinien aktiviert und Radschnellwege in weitem Umkreis der Städte gebaut werden.

Die schwedische Kleinstadt, die Bauland zum Fast-Nulltarif anbietet, stellt Bedingungen: Die neuen Besitzer müssen innerhalb von zwei Jahren darauf bauen. Hilft das dem Ort dann wirklich?

Von Ferienwohnungen wird die Bevölkerung vor Ort kaum profitieren. Es gibt aber auch noch weitere Risiken, die das Verscherbeln der Grundstücke mit sich bringt: Sind die Käufer Spekulanten? Behalten sie die Grundstücke oder werden die neuen Eigentümer sie in fünf oder zehn Jahren mit viel Profit weiterverkaufen? Was wird dort gebaut? Am Ende sind es vielleicht nur Drittwohnungen für Superreiche, die dort nur zwei Tage im Jahr verbringen. So etwas hilft dem Land doch nicht. Statt Baugrund in einer Gegend zu verschenken, wo Menschen fehlen, sollten wir lieber sehen, dass wir bestehende Häuser mit Menschen füllen. Durch Anreize, sich in alten Häusern in kleinen Orten niederzulassen. Das hilft dem Land und nimmt den Druck vom Wohnungsmarkt in den Städten.

Mit Daniel Fuhrhop sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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