35 Stunden als Wahlmodell Das steht im Tarifkompromiss zwischen Bahn und GDL
26.03.2024, 11:02 Uhr Artikel anhören
Die Deutsche Bahn ist der Lokführergewerkschaft GDL bei der Tarifeinigung im Kernstreitpunkt Arbeitszeit in weiten Teilen entgegenkommen. Die Einigung nach sechs Arbeitskämpfen in fünf Monaten sieht unter anderem ein Wahlmodell zur Wochenarbeitszeit für das Schichtpersonal vor. "Die Auseinandersetzung war hart, aber wir konnten uns nun auf einen intelligenten Kompromiss einigen", so DB-Personalvorstand Martin Seiler. Hier die wichtigsten Punkte der Einigung im Überblick.
"Optionsmodell" zur Wochenarbeitszeit: Ein sogenannter Arbeitszeitkorridor erlaubt es Mitarbeitenden im Schichtdienst künftig ihre Wochenarbeitszeit von derzeit 38 Stunden in mehreren Stufen bis 2029 auf 35 Stunden bei gleichbleibendem Lohn abzusenken. Wichtig ist der Bahn, dass es sich um eine Option für die Mitarbeitenden handelt: Sie entscheiden selbst, wie viel sie arbeiten wollen. Es gilt das Leistungsprinzip: "Wer mehr arbeitet, verdient entsprechend mehr", so Personalvorstand Seiler.
Der erste Schritt der Anpassung erfolgt Anfang 2026 automatisch. Hier wird die Arbeitszeit der Mitarbeitenden auf 37 Stunden gesenkt. Wer 40 Stunden arbeiten möchte, kann dies für rund 2,7 Prozent mehr Lohn pro Stunde tun.
Die Absenkungen in den Folgejahren, ab 2027 auf 36, ab 2028 auf 35,5 und ab 2029 auf 35 Stunden erfolgen nicht automatisch. Wollen die Beschäftigten von diesem Angebot Gebrauch machen, müssen sie sich selbst beim Arbeitgeber melden. Auch hier gilt wieder: Wer mehr arbeiten will, bekommt pro Stunde 2,7 Prozent mehr Geld. Nach Angaben der Bahn können Lokführer oder Zugbegleiter in einer 40-Stunden-Woche rund 14 Prozent mehr verdienen als in einer 35-Stunden-Woche.
Die GDL hatte ursprünglich eine 35-Stunden-Woche ab kommendem Jahr gefordert. Für die Deutsche Bahn bedeute der Kompromiss "Flexibilität" und "Planungssicherheit", so Seiler. Die Bahn könnte sich "vorbereiten" und Beschäftigte selbst entscheiden, welches Arbeitszeitmodell am besten zu ihnen passe. "Mit der selbstbestimmten Wochenarbeitszeit werden die Bahnberufe insgesamt attraktiver und Leistung lohnt sich. Das Optionsmodell gibt auch dem Unternehmen die Möglichkeit und die Kapazität, trotz Fachkräftemangel im Interesse der Kunden weiter zu wachsen, und wird dadurch auch der besonderen Situation am Arbeitsmarkt gerecht", heißt es in einer Stellungnahme der Bahn.
Laufzeit: Strittig war neben der Frage der Arbeitszeitreduzierung auch die Laufzeit eines künftigen Tarifvertrags. Hier einigten sich die Tarifparteien auf 26 Monate, rückwirkend vom 1. November 2023 bis 31. Dezember 2025. Danach folgt eine festgeschriebene zweimonatige Verhandlungsphase mit Friedenspflicht bis Ende Februar. Darüber hinaus werden bereits vor Beginn der Verhandlungen Schlichtungsmodalitäten für den Fall abgestimmt, dass sie nicht gütlich zu Ende gebracht werden können. Die Vereinbarungen zur Arbeitszeit haben eine Laufzeit bis 31.12.2028.
Inflationsausgleich: Die Beschäftigten erhalten netto 2850 Euro Inflationsausgleichsprämie: 1500 Euro werden im März ausgezahlt, weitere 1350 Euro voraussichtlich im Mai. Hier hatte die GDL 3000 Euro gefordert.
Mehr Geld: Der Tarifkompromiss sieht ferner rückwirkend zum 1. November 2023 eine Gehaltserhöhung von 420 Euro pro Monat für 26 Monate vor. Die GDL wollte ursprünglich 555 Euro mehr pro Monat. Der Kompromissvorschlag der Vermittler vom Februar sah dann eine schrittweise Anhebung der Löhne und Gehälter um 410 Euro vor. Darauf ließ sich die GDL nicht ein.
Geltungsbereich: Der Geltungsbereich für den Tarifabschluss bleibt bestehen. Die Forderung nach einer Ausweitung konnte die GDL nicht durchsetzen.
Top-Ökonomen lobten den ausgehandelten Kompromiss. "Das wichtigste Ergebnis an dieser Einigung ist, dass die Arbeitszeit flexibel ist: Die Beschäftigten können zwischen 35 und 40 Stunden arbeiten", sagte IFO-Präsident Clemens Fuest. Wer mehr Stunden arbeite, erhalte auch mehr Geld. "Das ist für den Umgang mit der Fachkräfteknappheit besser als eine zwangsweise Senkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden für alle." Ähnlich schätzt das der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber ein. "Der richtige Weg: Beschäftigte können weniger arbeiten, ohne dass die berufliche Entwicklung leidet", sagte der Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB). Sie könnten aber auch mehr arbeiten, je nach eigenem Wunsch in der aktuellen Lebensphase.
Quelle: ntv.de, mit Agenturen