Gerechte Strafe oder Justizskandal? Der schräge Fall Middelhoff
21.04.2015, 16:38 Uhr
Thomas Middelhoffs Hoffnungen, bald wieder frei zu sein, dürften sich demnächst erfüllen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Noch vor ein paar Monaten war Thomas Middelhoff der Bumann der Nation. Jetzt ist er möglicherweise ein Opfer der Justiz. Der ehemalige Manager polarisiert immer noch. Das zeigt vor allem eins.
Der ehemalige Spitzenmanager Thomas Middelhoff könnte schon bald auf freiem Fuß sein. Das Landgericht Essen hat die Auflagen für eine Haftentlassung bekannt gegeben. Unter anderem verlangt das Gericht eine Kaution von 895.000 Euro. Eine entsprechende Summe hatte Middelhoff bereits angeboten. Zu den Auflagen gehört auch, dass er sich nach seiner Freilassung regelmäßig bei der Polizei melden muss.
Die Anwälte des Ex-Managers können mit der Zwischenbilanz zufrieden sein. Nicht nur, weil Middelhoff bis zu Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof frei ist, sondern auch, weil der Fall in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit - vor dieser wichtigen Verhandlung - gerade eine bemerkenswerte Veränderung erfährt. Das Schicksal Middelhoffs, das die Republik vor einem halben Jahr gefühlt noch geeint hat, scheint sie jetzt zu entzweien.
Als er vor fünf Monaten zu drei Jahren Haft wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung verurteilt wurde, konnte die Strafe für den ehemaligen Chef der Konzerne Bertelsmann und Arcandor nicht hart genug sein. Viele fürchteten, dass der ehemalige Sonnyboy seiner gerechten Strafe entgehen würde, weil die Reichen und Mächtigen in ihren Köpfen immer Mittel und Wege haben, geltendes Gesetz zu umgehen.
Heute erscheint der Fall in einem anderen Licht: Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Frage, ob Middelhoff Unrecht begangen hat oder nicht, sondern, ob ihm selbst Unrecht geschieht. Die Befürchtung, das Gesetz könnte zu lasch über jemanden wie ihn urteilen, ist der Befürchtung gewichen, dass der Arm der Gesetzes zu hart ist.
Vorwurf der Schikane
Anlass für die Diskussion bieten die Haftbedingungen und der angebliche gesundheitliche Verfall des einst strahlenden Managers. Middelhoff soll nach den vergangenen Monaten im Gefängnis entkräftet sein. Laut seiner Anwälte ist während der Untersuchungshaft eine Autoimmunerkrankung aufgetreten, die zunächst nur unzulänglich behandelt wurde. Permanenter Schlafentzug durch viertelstündliche Kontrollen in den ersten Wochen sollen Middelhoffs Immunsystem geschwächt haben. Zehn Kilogramm soll der früher vor Selbstbewusstsein und Kraft strotzende Manager verloren haben. Middelhoff wird angeblich im Rollstuhl transportiert. Bleibende Schäden werden laut eines Gutachtens nicht ausgeschlossen. Dem "Martyrium müsse ein Ende gesetzt werden", forderte deshalb Middelhoff-Anwalt Sven Thomas. Mit Erfolg.
Die Anwälte des 61-Jährigen haben mittlerweile eine ganze Reihe Unterstützer gefunden. Nicht nur von Juristen, auch aus der Politik werden Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Haftbedingungen angemeldet. Die Vorwürfe reichen von Schikane bis zu Rachejustiz an einem gefallenen Millionär. Auch der einstige Amtsrichter, Bestseller-Autor und ehemalige Geschäftspartner von Middelhoff, Jürgen Todenhöfer, erhebt solche Vorwürfe.
Schon das Urteil sei "maßlos" gewesen, sagte Todenhöfer. Middelhoff möge "arrogant wirken". Aber Arroganz sei nicht strafbar. Die Haftbedingungen seien "ebenfalls maßlos". Den angeblichen wochenlangen Schlafentzug bezeichnete er als "schikanös" und "folterähnliche Quälerei". Dies sei eines "modernen Rechtsstaat unwürdig". Das passe zu Guantanamo, nicht zu Deutschland. Die behauptete Selbstmordgefahr nannte Todenhöfer "fast absurd". Vollzugsexperten bezweifeln ebenfalls, dass hier Gefahr und Nutzen vernünftig gegeneinander abgewogen wurden.
Künast: "Verletzung der Menschenrechte"
Grünen-Politikern Renate Künast, die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag ist, bezeichnete die Überwachung als "eindeutige Verletzung der Menschenrechte". Aus ihrer Sicht wäre eine Haftverschonung mit Meldepflicht angemessen gewesen. Sogar eine elektronische Fußfessel hätte sie nachvollziehbar gefunden.
Das Justizministerium hält dagegen: Middelhoff sei ein "haft-unerfahrener Mensch", der "in einer ganz anderen Welt gelebt" habe. Der Manager gilt als vorbelastet, weil sein Bruder sich das Leben genommen hat. Selbst einige unabhängige Experten halten die Überwachung deshalb für nachvollziehbar.
Die Richter geben sich unbeeindruckt von der öffentlichen Debatte. Sie betonten nach der Haftprüfung, dass Middelhoff nicht wegen seiner Erkrankung haftunfähig sei. Vielmehr sei der "Fluchtanreiz" für Middelhoff gemindert. Denn wegen seiner Erkrankung müsse er regelmäßig behandelt werden.
Middelhoff hat erst seinen Ruhm und seine Ehre, dann sein Geld verloren. Jetzt ist es seine Gesundheit, die ihn verlässt. Das ist schlimm. Trotzdem entbindet es ihn nicht von seiner Strafe - falls er schuldig ist. Unrecht kann und darf nicht mit Unrecht aus der Welt geschaffen werden. Aber eine Erkrankung ist auch kein Persilschein. Der Fall Middelhoff zeigt vor allem eins: wie wenig Vertrauen die Öffentlichkeit in die Justiz hat.
Quelle: ntv.de