Streit um Rückkehr ins Büro E-Mail-Drohung bringt Amazon-Mitarbeiter in Rage
11.08.2023, 19:03 Uhr Artikel anhören
Ende Mai protestierten Amazon-Mitarbeiter vor der Zentrale in Seattle, Washington, gegen Entlassungen und die Aufforderung, ins Büro zurückzukehren.
(Foto: REUTERS)
Um seine Beschäftigten zur Rückkehr ins Büro zu bewegen, kämpft Amazon in den USA mit härteren Bandagen. Per E-Mail werden Homeoffice-Fans direkt aufgefordert, Präsenz zu zeigen. Andernfalls droht Entlassung. Eine Welle der Empörung bricht sich Bahn: "Soll das den Leuten Angst machen?"
Weil zu viele Beschäftigte immer noch fast vollständig im Homeoffice bleiben, hat sich Amazon offenbar für einen aggressiveren Ansatz entschieden, um diese ins Büro zurückzuholen. Einzelne ausgewählte Mitarbeiter in den USA wurden diese Woche per Mail darüber informiert, dass sie "derzeit nicht (die) Erwartungen erfüllen". Die Anweisung des Arbeitgebers ist unmissverständlich: "Wir gehen davon aus, dass Sie jetzt an drei oder mehr Tagen in der Woche ins Büro kommen." Die "Financial Times" (FT), die als Erste darüber berichtete, zitiert dabei aus einer ihr vorliegenden Mail. Ein angeblicher Ausschnitt des Schreibens kursiert im Internet.
Bei den Beschäftigten löste die E-Mail einen Sturm der Entrüstung aus. Die hitzige Debatte lässt sich auf der anonymen Online-Plattform Blind mitverfolgen. "Soll das den Leuten Angst machen?", fragt ein Mitarbeiter. Einer wirft dem Unternehmen einen Verstoß gegen den Datenschutz vor. Andere kommentieren, sie seien fälschlicherweise angeschrieben worden. Amazon räumte ein: "Es könnte Fälle geben, in denen wir uns geirrt haben." Man habe "mehrere Schritte unternommen", um sicherzustellen, dass die E-Mail "an die richtigen Empfänger gelangt". Einer der Kommentatoren bezeichnet die E-Mail als "höchste Absurdität".
Mitarbeiter müssen sich bis 15. September entscheiden
Wie die "New York Post" unter Berufung auf das Tech-Portal The Information schreibt, sollen Manager einzelnen Mitarbeitern mittlerweile auch gedroht haben, dass sie an einen zentralen Hub umziehen oder das Unternehmen verlassen müssen. Angeblich haben die Betroffenen bis zum 15. September Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Die Anwesenheit im Büro wurde laut FT wohl in den vergangenen Wochen über das Einscannen mit Mitarbeiterausweisen verfolgt. Eine Mail erhielt demnach, wer seltener als drei Tage in den vergangenen drei bis vier Wochen vor Ort anwesend war.
Der in Seattle ansässige Konzern hatte seine Mitarbeiter am 1. Mai offiziell aufgefordet, drei Tage die Woche in die Büros zurückzukehren. Ende des Monats gingen daraufhin Tausende Amazon-Beschäftigte aus Protest auf die Straße. In einer Petition forderten sie: "Mitarbeiter brauchen ein Mitspracherecht bei Entscheidungen, die unser Leben betreffen."
Amazon ist nicht der einzige Arbeitgeber in den USA, der inzwischen striktere Maßnahmen ergreift, um die Rückkehr ins Büro zu erzwingen. Apple hatte bereits im März Strafmaßnahmen gegen Mitarbeiter angedroht, die nicht die vorgeschriebene Anzahl von Tagen im Büro sind. Auch Elon Musk ist kein Fan von Homeoffice: Zu Hause zu arbeiten sei unfair und moralisch falsch, ließ er wissen. Musk verlangt die Rückkehr in Vollzeit.
"Wandel hin zu einer Peitschen-Mentalität"
Eine härtere Gangart gegen die hartnäckige Büro-Aversion vieler Mitarbeiter hat auch Google eingelegt. Wer nicht drei Tage die Woche im Büro sei, riskiere Auswirkungen auf die Leistungsbeurteilung, stellte der Konzern klar. Drohungen gegen Mitarbeiter, die sich widersetzen, gab es auch bei der Werbeagentur Publicis und der Citigroup. Das Videokonferenzunternehmen Zoom teilte seinen Mitarbeitern erst diese Woche mit, dass diejenigen, die im Umkreis von 80 Kilometern um ihr Büros wohnen, mindestens zwei Tage in der Woche persönlich anwesend sein müssen.
Die Suche nach einer Erklärung für die Eskalation im Streit um Homeffice oder Büro läuft: "Ich denke, dass sie es eine ganze Weile mit Zuckerbrot probiert haben, aber in vielerlei Hinsicht hat es nicht funktioniert und es gibt jetzt einen Wandel hin zu einer eher Peitschen-Mentalität", zitiert die FT Neda Shemluck, Geschäftsführerin bei Deloitte. Gleichzeitig warnte sie: "Viele Arbeitgeber vergessen, dass es immer einen Krieg um Talente gibt und die Mitarbeiter viel mehr Möglichkeiten haben, als sie früher hatten."
Um Ansteckungen während der Pandemie zu vermeiden, hatten Tech-Konzerne ihre Mitarbeiter zum großen Teil nach Hause geschickt. Viele lernten in der Zeit flexibles Arbeiten zu schätzen. Laut einer Morning-Consult-Studie, die der "Guardian" zitiert, wollen drei von fünf Tech-Arbeitern heute nicht mehr in Vollzeit ins Büro zurückkehren. Das dürfte aber auch bedeuten, dass die Mehrheit der Amazon-Beschäftigten wahrscheinlich durchaus damit einverstanden ist, was von ihnen verlangt wird, nämlich "hybrides" Arbeiten aus dem Büro und dem Homeoffice. Ein Problem könnte allerdings sein, dass im kalifornischen Silicon Valley viele die Zeit im Homeoffice auch als Gelegenheit genutzt haben, den teuren Wohnort zu verlassen, um in günstigere Gegenden zu ziehen. Einigen dürfte die Rückkehr ins Büro deshalb Probleme bereiten.
Quelle: ntv.de