Kreditrisiko durch Energiekrise EZB-Bankenaufsicht warnt vor wackliger Konjunktur
21.03.2023, 20:30 Uhr
Die im Juli 2022 eingeleitete Zinswende nach Jahren der ultralockeren Geldpolitik ist nach Einschätzung der Aufseher insgesamt positiv für die Branche im Euro-Raum.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Vertrauen der Sparer in die europäischen Banken sei "gut platziert", sagt EZB-Chefbankenaufseher Enria. Mit breiterer Kundenbasis und niedrigerem Zinsrisiko seien Geldhäuser im Euro-Raum besser aufgestellt als in den USA. Dennoch plagen Enria konjunkturelle Sorgen.
EZB-Chefbankenaufseher Andrea Enria ruft die Geldhäuser im Euro-Raum angesichts einer unsicheren Konjunkturlage zur Wachsamkeit auf. "Die erste Gruppe von Herausforderungen ist konjunkturell", erklärte Enria im EZB-Jahresbericht zur Aufsichtstätigkeit, den die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt veröffentlichte. Wenn die Energiekrise nicht gelöst werde, könne das Kreditrisiko gegenüber solchen Unternehmen steigen, die am stärksten vom Energiethema betroffen seien.
Zudem sei die konjunkturelle Abschwächung Ende 2022 mit einer Zunahme der Firmeninsolvenzen einhergegangen. Die Aufseher mahnten daher zur erhöhten Wachsamkeit hinsichtlich einer Verschlechterung der Kreditqualität. Die jüngsten Kursverwerfungen im Sektor im Zuge des Kollapses der amerikanischen Silicon Valley Bank und der Vertrauenskrise bei der Schweizer Großbank Credit Suisse haben die Institute im Euro-Raum Enria zufolge gut überstanden. "Die Stärke der Bankbilanzen war ein entscheidender Faktor für die Bewältigung der Turbulenzen", sagte er im Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments.
Zwar seien die Aktienkurse der Institute eingebrochen, ihre Finanzierungs- und Liquiditätspositionen seien aber nicht wesentlich beeinträchtigt worden. Die Ereignisse in den USA ließen sich zudem nicht direkt auf die großen Geldhäuser im Euro-Raum übertragen, sagte Enria. Das liege in erster Linie daran, dass die von der EZB überwachten Institute nicht einem so extremen Zinsrisiko ausgesetzt seien. Zudem seien sie nicht so stark abhängig von einer konzentrierten und unbesicherten Einlagenbasis wie die Silicon Valley Bank. Ihre Kundenbasis sei außerdem breiter gefächert. "Im Moment haben wir ein starkes Vertrauen der Sparer in die europäischen Banken, was nach unserer Ansicht gut platziert ist", sagte Enria.
Kreditnehmer könnten Probleme bekommen
Die im Juli 2022 eingeleitete Zinswende nach Jahren der ultralockeren Geldpolitik ist nach Einschätzung der Aufseher insgesamt positiv für die Branche im Euro-Raum. Wenn sich die Konjunktur wie derzeit erwartet entwickele, würden sich weitere geordnete Zinsanhebungen wahrscheinlich günstig auf die Erträge auswirken, erklärte Enria im Jahresbericht. "Wenn wir jedoch vom Basisszenario abweichen und unvorteilhaftere Entwicklungen berücksichtigen, können die Dinge anders laufen."
Kreditnehmer könnten dann Probleme bekommen, Schulden zurückzuzahlen. Die Aufsicht blickt dabei insbesondere auf Verbraucherkredite, Immobilienkredite und Kredite an hoch verschuldete Unternehmen (leveraged finance). Angesichts der geldpolitischen Straffung müssen Banken Enria zufolge zudem Liquiditäts- und Finanzierungsrisiken stärker in den Blick nehmen.
Aufseher ziehen zur Not Daumenschrauben an
Es gelte, Risikomanagement und strategische Steuerung anzupassen. Manche Strategien zur Handhabung von Verbindlichkeiten könnten durch ein schwierigeres Finanzierungsumfeld infrage gestellt werden. "Es besteht die Gefahr, dass die Banken dabei auf dem falschen Fuß erwischt werden", warnte Enria im Jahresbericht. Enria ging im EU-Parlament auch auf Befürchtungen ein, Anleihe-Investoren in der EU könnten wie beim Notverkauf der Credit Suisse künftig anders als vorgesehen stärker zur Kasse gebeten werden als Aktionäre.
"Wir haben klargestellt, dass dieses Vorgehen nicht machbar wäre unter dem europäischen Regelwerk", sagte Enria. Das gelte klar für Fälle der Abwicklung einer Bank, in denen genau nach der Hierarchie der Ansprüche vorgegangen werde. "Aber wir als Behörden würden auch das gleiche Vorgehen anwenden in orchestrierten privatwirtschaftlichen Lösungen."
Bei der Risikokontrolle und der internen Unternehmenssteuerung sehen die Aufseher noch deutliche Mängel bei den Banken. "Ehrlich gesagt sehen wir in diesem Bereich nicht genügend Fortschritte", führte Enria aus. Nötigenfalls wollen die Aufseher hier die Daumenschrauben anziehen. Wo Fortschritte am dringendsten nötig seien, sei die Bankenaufsicht entschlossen, alle Aufsichtsinstrumente und -befugnisse voll auszuschöpfen. Dazu könnten auch gezielte Eigenkapitalforderungen oder Sanktionen gehören. Über Begrenzungen für Ausschüttungen der Institute an ihre Aktionäre denkt die Aufsicht derzeit nicht nach. "Definitiv, das erwägen wir nicht", sagte Enria den EU-Abgeordneten.
Quelle: ntv.de, lve/rts