Neuer türkischer Zentralbankchef Eine falsche Andeutung könnte zu "Chaos" führen
05.02.2024, 15:58 Uhr Artikel anhören
Neuer Mann, alter Kurs: Fatih Karahan leitet die türkische Zentralbank.
(Foto: picture alliance / Anadolu)
Die Türkei hat seit dem Wochenende einen neuen Zentralbank-Gouverneur. Fatih Karahan soll und will den Kurs der strikten Inflationsbekämpfung fortsetzen, den seine Vorgängerin eingeleitet hat. Das ist schwieriger als es auf den ersten Blick scheint.
Fatih Karahan hat eine klare Aufgabe, die auf den ersten Blick nicht allzu schwierig erscheint: Kurs halten! Der 41-jährige Ökonom hat am Wochenende die Leitung der türkischen Zentralbank übernommen. Deren Geldpolitik hatte seine Vorgängerin Hafize Gaye Erkan in den nur acht Monaten im Amt vom Kopf auf die Füße gestellt. Erkan hatte die jahrelange, von Präsident Reccep Tayyip Erdogan durchgesetzte Niedrigzinspolitik beendet, sie erhöhte den Leitzins im Rekordtempo von 8,5 auf 45 Prozent, gewann das Vertrauen von Investoren in die türkische Währung zurück und leitete eine Trendwende bei der außer Kontrolle geratenen Inflation ein. Karahan soll diese Fortschritte sichern und ausbauen.
Seinen Willen, Erkans strikten Kurs der Inflationsbekämpfung fortzusetzen, hat Karahan bereits mehrfach bekundet. Seit vergangenem Sommer war er bereits stellvertretender Zentralbankgouverneur und intern bekannt als "Falke" - als Vertreter einer restriktiven Geldpolitik mit hohen Zinsen. Politische Rückendeckung von ganz oben für einen solchen Kurs hat Karahan ebenfalls. Finanzminister Mehmet Simsek unterstrich anlässlich Karahans Ernennung, dass die gesamte Wirtschaftspolitik auf das Ziel der Preisstabilität ausgerichtet sei und "unter der Führung unseres Präsidenten Recep Tayyip Erdogan entschlossen und ohne Unterbrechung fortgesetzt würde".
Entsprechend kommentieren Analysten den Wechsel an der Spitze der Zentralbank. Erkan, die erste Frau auf diesem Posten in der Türkei, sei nicht aus politischen, sondern aus rein persönlichen Gründen nach nur wenigen Monaten im Amt zurückgetreten. Ihr war Vetternwirtschaft vorgeworfen worden. So habe ihr Vater Einfluss auf Personalentscheidungen in der Zentralbank genommen. Erkan selbst sagte anlässlich ihres Rücktritts, sie sei Opfer einer Rufmordkampagne geworden. Dass Finanzminister Simsek, der Architekt des wirtschafts- und geldpolitischen Kurswechsels der Türkei im vergangenen Jahr, im Amt bleibt, werten Analysten als Zeichen, dass Erdogan hier keine Kehrtwende plant.
Kurzzeitiger Fall auf Allzeittief
Karahan ist ein international angesehener Wirtschaftswissenschaftler. Er hat zahlreiche Forschungsarbeiten, vor allem zum Arbeitsmarkt, aber auch zur Inflation veröffentlicht. Rund zehn Jahre arbeitete er als Ökonom beim New Yorker Zweig der US-Notenbank Federal Reserve. Er lehrte an der Columbia University und New York University. Kurzzeitig arbeitete er als Ökonom für Amazon in den USA, bevor er im vergangenen Jahr als stellvertretender Gouverneur zur türkischen Zentralbank wechselte.
Trotz dieser umfassenden Erfahrung und des - derzeitigen - politischen Rückenwinds steht Karahan vor großen Herausforderungen. Wie schnell das zuletzt wiedergewonnene Vertrauen der Investoren wieder verloren gehen kann, zeigte sich gerade heute Morgen. Als die Devisenmärkte nach dem Wochenende öffneten, fiel der Lira-Kurs zunächst auf ein Allzeittief zum US-Dollar, bevor er sich leicht erholte. Zudem zeigten neue Inflationsdaten, dass sich die Teuerung im Dezember erheblich beschleunigt hat. Im Vergleich zum November waren die Preise um 6,7 Prozent gestiegen. Mehr als doppelt so schnell wie in den Vormonaten.
Ein Grund für die wieder beschleunigte Inflation war die starke Anhebung des Mindestlohnes, was vor allem Dienstleistungen erheblich verteuerte. Das verdeutlicht, dass die Zentralbank mit ihrer Geldpolitik allein die Inflation nicht bekämpfen kann. Ob Präsident Erdogan langfristig einen wirksamen Kampf gegen Inflation nicht nur durch die Notenbank, sondern durch die ganze Regierung unterstützen wird, wird sich erst in der Zukunft erweisen müssen, wenn die Konjunktur und der Arbeitsmarkt einmal schwächeln sollten.
Dazu bemängelt Commerzbank-Analyst Tatha Ghose, dass der kurzfristige Austausch von Schlüsselpersonal und politischen Entscheidungsträgern zur Routine in der Türkei geworden sei. Dies erwecke den Eindruck von Instabilität und Ad-hoc-"Feuergefechten" statt einer grundlegenden Politikgestaltung. Allein an der Zentralbankspitze hat Erdogan in den vergangenen fünf Jahren sechsmal das Personal ausgetauscht.
Um die Preisstabilität in diesem Umfeld zu gewährleisten, werde Karahan seine Haltung sehr deutlich machen müssen, schreibt Ghose. Der Spielraum dabei sei extrem klein: So würde beispielsweise die geringste Andeutung, dass er ein etwas niedrigeres Zinsniveau bevorzugen könnte, zu einem Chaos an den Märkten führen.
Quelle: ntv.de