Wirtschaft

Chance für abgehängte Regionen Neuer Landarbeiter sitzt im Co-Working

Angebote für mobiles Arbeiten an gemeinschaftlich genutzten Orten gibt es in Ballungsgebieten schon länger. In der Corona-Krise ist dieser Trend nun auch auf dem Land angekommen. Für strukturschwache Regionen endlich der lange ersehnte positive Impuls. Auch die Städte profitieren.

Die Corona-Pandemie hat den Arbeitsalltag vieler verändert. Homeoffice oder mobiles Arbeiten sind seit neun Monaten das "neue Normal". Für die einen hat sich die Erwerbsarbeit vom Büro schlicht nach Hause verlagert. Andere wiederum suchen außerhalb ihrer Büros neuen Anschluss: zum Beispiel in sogenannten Co-Working-Spaces. In Städten liegen solche Orte, in denen Menschen gemeinsam, aber nicht unbedingt miteinander arbeiten, bereits länger im Trend. Wie aus einer Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hervorgeht, wächst nun aber auch die Nachfrage nach entsprechenden Angeboten im ländlichen Raum.

Laut den Autoren und Autorinnen - die sich zum ersten Mal diesem Phänomen abseits der urbanen Ballungsräume gewidmet haben - sind Berufstätige in den vergangenen Monaten deutlich flexibler und erfinderischer geworden. Co-Working-Orte auf dem Land bieten dabei sehr viele Vorteile: Wenn Pendler nicht mehr pendeln müssen, ermöglicht das eine neue Work-Life-Balance, die viele sich schon lange gewünscht haben, weil sie Zeit und Nerven spart.

Außerdem bieten Co-Working-Räume Arbeitsbedingungen, die im Homeoffice häufig nicht vorhanden sind - angefangen vielleicht von einer stabilen Internetverbindung bis hin zu neuen sozialen Kontakten. Darüber hinaus hat die neue Arbeitsform auf dem Land aber noch einen weiteren nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt: Berufstätige, die das Land nicht nur als Lebens-, sondern auch als Arbeitsmittelpunkt wählen, bringen nicht nur Leben, sondern auch Geld in die strukturschwachen Regionen.

Also eine Chance in der Krise? Das Fazit der Autoren lautet: Ja. Die Corona-Krise gibt einen Impuls, auf den die oft rückständigen Orte lange vergeblich gewartet haben. Laut der Studie, für die über 200 Gründer und Nutzer von Co-Working-Spaces interviewt wurden, will die Mehrheit der Deutschen lieber im Grünen als in der Großstadt wohnen. Das Landleben galt schon vor Ausbruch der Pandemie bei vielen als attraktiver. Offenbar hat das Virus diese Entwicklung nun aber noch einmal beschleunigt. Durch die neuen Arbeitsbedingungen in der Pandemie können Beruf und Wohnortwunsch plötzlich besser vereint werden. "Co-Working gibt Menschen die Möglichkeit, wohnortnah gut ausgestattete Arbeitsplätze zu nutzen, ohne täglich weite Pendelstrecken auf sich zu nehmen", sagt Alexandra Schmied, Studienleiterin und Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung.

Anders ausgedrückt: Die "digitalen Nomaden", "Rückkehrer", "entschleunigten Pendler" oder "Drifter", wie die neuen Landarbeiter untergliedert werden, nutzen die Gunst der Stunde und richten sich dort komfortabel ein, wo sie am liebsten sind: auf dem Land. Die Co-Working-Klientel ist dabei deutlich vielfältiger als die in der Stadt. Laut der Studie sind die Co-Worker im ländlichen Raum überwiegend Angestellte, viele sind auch Nicht-Akademiker. Auch von ihrer Altersstruktur von ihren Berufen her sind sie deutlich heterogener als Co-Worker in der Stadt.

Während Co-Worker in der Stadt größtenteils aus der Kreativ-, Digital- und IT-Wirtschaft stammen, gibt es auf dem Land auch viele, die Handwerkerberufe ausüben, Wissenschaftler oder Lehrer sind. "Co-Working auf dem Land hat eine sehr viel breitere Zielgruppe und größere Integrationskraft als in der Stadt. Wir sind davon überzeugt, dass Co-Working auf dem Land das Zeug zum Massenphänomen hat und für einen wirksamen Strukturwandel sorgen kann", sagt Studienautor Ulrich Bähr.

Kommunalpolitik und Wirtschaft sind gefordert

Gleichzeitig stößt die Gründung von neuen Co-Working-Spaces in der ländlichen Idylle aber auch auf neue Probleme. Denn wie die Studie zeigt, mangelt es an finanziell tragfähigen Geschäftsmodellen. Damit sich die positiven Effekte des Co-Workings auf dem Land entfalten könnten, sei es einerseits notwendig, die besonderen Bedürfnisse der neuen Landarbeiter zu berücksichtigen, andererseits aber auch vor Ort Unterstützung zu suchen, empfehlen die Autoren. Starthilfe bei der Entwicklung neuer Modelle könnten ihrer Ansicht nach Kommunalpolitik und ortsansässige Wirtschaft oder Vereine geben.

Festhalten lässt sich, dass die "Zukunft der Arbeit" mit dem Virus offenbar deutlich schneller gekommen ist als erwartet - und dabei überraschenderweise das Land deutlicher miterfasst hat als erwartet. "Der ländliche Raum wird oft als rückständig und abgehängt bewertet. Die Fallbeispiele in unserer Studie zeigen jedoch: Die Zukunft hat auf dem Land begonnen", sagt Alexandra Schmied, Studienleiterin und Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung.

Das Aussterben von Kleinstädten und Dörfern könnte wegen des Wegzugs von Arbeitskräften "wahrscheinlich ein Stück weit aufgehalten werden und ländliche und vormals strukturschwache Regionen durch den Zuzug von Familien und das Wiederaufleben von Infrastruktur sogar gestärkt werden", sagt Schmied. Standortnachteile wie Ländlichkeit und Abgeschiedenheit könnten in einen Standortvorteil verwandelt werden. "Co-Working kann eine Triebkraft für den Wandel hin zu einer nachhaltigen, klimafreundlichen und modernen Wirtschaftswelt sein."

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Am Ende dürfte dabei nicht nur das Land, sondern auch die Stadt profitieren, spekulieren die Autoren. Setze sich der Trend fort, könnte sich die Verkehrssituation entspannen. "Der klassische Pendelverkehr in die Ballungsgebiete wird dauerhaft abnehmen", heißt es. Auch der Druck auf den Immobilienmarkt in Ballungszentren dürfte nachlassen. Denn steigt die Nachfrage nach Immobilien im ländlichen oder kleinstädtischen Raum weiter, dürfte es auch mehr bezahlbaren Wohnraum in Großstädten geben. Tendenziell ergibt sich aus dem neuen Trend also eine Win-win-Situation, die nicht unbeachtet bleiben sollte. Deshalb auch der Appell der Autoren an die Politik: "Wenn sich die Vermutungen bewahrheiten, steht uns ein Umbruch bevor, der die bisherige Städtebau- und Städteplanungspolitik vollständig infrage stellt. Oder anders formuliert: Die Politik ist jetzt gefragt, die Weichen für die Zukunft (neu) zu stellen."

Andere Studien bestätigen das. Der von der Corona-Krise ausgelöste Trend zum Homeoffice wird die Wirtschaft in Deutschland langfristig erhalten bleiben - und verändern. Bei einer Befragung der Unternehmensberatung Deloitte unter Finanzvorständen zu den langfristigen Auswirkungen von Corona für ihr Unternehmen, antworteten 66 Prozent: "Wir planen, vermehrt auf Remote Working zu setzen." Der Anteil der Arbeit, der künftig aus dem ländlichen Milieu zugeliefert wird, dürfte zunehmen.

Quelle: ntv.de

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