Zweites Silvester ohne Feuerwerk Böllerbranche steht vor Ende ohne Knall
09.12.2021, 15:40 Uhr
Die Feuerwerksindustrie steht wegen des zweiten Böllerverbots in Folge vor dem Aus.
(Foto: imago images/Rene Traut)
Zum zweiten Mal in Folge dürfen in Deutschland für Silvester keine Böller und Raketen verkauft werden. Im Kampf gegen die vierte Coronawelle will die Politik mit der Maßnahme Krankenhäuser entlasten. Die Branche widerspricht - und blickt der Insolvenz entgegen.
Die einen lieben es, die anderen hassen es. Silvesterfeuerwerk polarisiert. Für viele gehören Raketen und Böller zu einem gelungenen Jahreswechsel dazu. Andere verweisen auf Unmengen an Müll, unnötige Feinstaubbelastung und den Lärm, der vor allem bei Tieren für Panik sorgt. Seit Jahren wird über Sinn und Unsinn der Silvesterböllerei diskutiert. Jetzt schafft die Corona-Krise im zweiten Jahr in Folge Fakten: Die Politik hat erneut für ganz Deutschland ein Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk beschlossen. Vor allem, um die Krankenhäuser von Böller-Verletzten zu entlasten.
Eine Begründung, die dem Verband der Pyrotechnischen Industrie nicht einleuchtet. "Hierzu gibt es keine belegbaren Daten. Vielmehr gibt es Verlautbarungen, zum Beispiel vom kommunalen Krankenhausbetreiber Vivantes in Berlin, dass in der Silvesternacht nicht die Verletzten durch Feuerwerk die Notaufnahmen bevölkern, sondern eher diejenigen, die zu viel Alkohol getrunken haben", sagt Verbandschef Klaus Gotzen im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Insbesondere, wenn mit legalem Feuerwerk hantiert werde, seien Verletzungen extrem selten, heißt es vom Pyroverband. "Es gibt hier auch eine Antwort des Bayerischen Landtages auf eine Anfrage, wie viel Feuerwerksverletzte in Bayern in der Silvesternacht 2019/20 zu verzeichnen gewesen sind. Demnach hat es in Bayern ganze 25 Verletzte mit Feuerwerk gegeben und in der Landeshauptstadt München gerade mal einen", sagt Gotzen.
3000 Beschäftigte vor der Arbeitslosigkeit
Der Pyro-Verband befürchtet wegen des zweiten Feuerwerk-freien Jahreswechsels nacheinander das "endgültige Aus für rund 3000 Beschäftigte" in der Branche. Die Entscheidung der Politik sei der "Todesstoß für die gesamte Feuerwerksbranche in Deutschland".
Keine Branche hat ein so kleines Zeitfenster, um Geld für das gesamte Jahr zu verdienen wie die Feuerwerksindustrie. Nur an den letzten drei Werktagen im Jahr darf sie in Deutschland Feuerwerk der Kategorie F2 verkaufen, nur an Silvester und Neujahr dürfen Böller und Raketen gezündet werden. 90 Prozent des Jahresumsatzes hängen von einem erfolgreichen Silvesterfest ab.
Nach dem Verkaufsverbot vor einem Jahr hätten sich die meisten Firmen mit Kurzarbeit und Krediten so gerade noch über Wasser gehalten, berichtet Branchenchef Gotzen. Doch ein zweites Jahr werden viele nicht durchhalten. Zumal einige Firmen nach seinen Aussagen immer noch darauf warten, Finanzhilfen für das erste Böllerverbot zu bekommen. "Unsere Firmen werden jetzt genau schauen müssen, ob es überhaupt noch ein Weiter geben kann. Es sind jetzt auch wieder Finanzhilfen angekündigt, aber wenn sich die wieder nur darauf beziehen, dass irgendwelche Transport- oder Lagerkosten übernommen werden, helfen sie nicht." Ein zweijähriger, nahezu totaler Umsatzausfall könne nicht einfach kompensiert werden, sagt Gotzen. "Da müssten schon andere finanzielle Hilfen kommen, um die Branche am Leben zu halten."
Kein Umsatz, noch mehr Ausgaben
Wie dramatisch die Lage ist, verdeutlicht ein Blick auf die Umsatzzahlen der vergangenen Jahre. Silvester 2019, der letzte Jahreswechsel vor Corona, hat 122 Millionen Euro in die Kassen der Pyro-Unternehmen gespült, in den Rekordjahren 2016 und 2017 waren es sogar 137 Millionen Euro. Voriges Jahr ist der Umsatz dann auf 20 Millionen eingebrochen. Dieses Jahr wird nicht besser enden.
Viele Firmen hatten die Hoffnung, dass es wieder aufwärtsgehen würde. Stattdessen weiß jetzt niemand, wohin mit den Raketen und Knallkörpern. "Einige Ware ist schon ausgeliefert worden. Was damit jetzt passiert, wie die zurückgeholt werden können, was dann mit deren Lagerung passieren wird, kann ich im Augenblick noch gar nicht sagen", berichtet Gotzen ratlos. Die Lagerung werde "sicherlich noch zu Problemen führen, weil es die Lagerkapazitäten im nächsten Jahr vielleicht gar nicht mehr so geben wird".
Feuerwerksware ist ein Kommissionsgeschäft. Das heißt, die Firmen müssen die Ware auf eigene Kosten von den Händlern zurückholen. Kein Umsatz, aber noch mehr Ausgaben.
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Das bedeutet Millionenverluste für die traditionsreichen Feuerwerksfirmen in Deutschland. Zum Beispiel für WECO, seit Jahren Marktführer in Deutschland und Europa. Das vorige Jahr hatte das Unternehmen mit einem Verlust in zweistelliger Millionenhöhe abgeschlossen, die Mitarbeiter waren das ganze Jahr über in Kurzarbeit. Als Reaktion auf die dramatischen Umsatzeinbußen entschied sich das Unternehmen, sein Werk im sächsischen Freiberg zum Ende dieses Jahres zu schließen. Die neuerliche Knaller-Absage bedroht jetzt den ganzen Konzern.
80 Prozent für Erhalt des Feuerwerk
Hat die Branche noch eine Zukunft? Mit der Corona-Krise, der hohen Feinstaubbelastung und den Grünen in der neuen Bundesregierung bleibt auf den ersten Blick nur eine Antwort. Die Menschen scheinen sich aber ein Comeback zu wünschen. In einer Forsa-Umfrage aus dem Sommer, die im Auftrag der Röder Feuerwerk Handelsgesellschaft durchgeführt wurde, sprachen sich 80 Prozent der Befragten für den Erhalt von privatem Silvesterfeuerwerk aus.
"Darüber hinaus müssen Sie sehen, dass Veranstaltungen wie Kölner Lichter, Rhein in Flammen und andere Feuerwerkfestivals bis dato immer sehr gut besucht waren", sagt Gotzen. Feuerwerk ziehe die Bevölkerung immer noch "magisch an" und sei ein "Quell der Freude", wenn es ordnungsgemäß angewandt werde.
Böllerverbot nicht zu Ende gedacht?
Sollten sich Feuerwerks-Fanatiker verstärkt mit gefährlichen Böllern aus dem Ausland versorgen, hätte sich die Politik mutmaßlich ein Eigentor geschossen. "Der Bund Deutscher Kriminalbeamter aus Sachsen hat sich hier klar positioniert und sich gegen ein Verkaufsverbot ausgesprochen. Begründet wird das damit, dass man zum Jahresende 2020 festgestellt hat, dass dort verstärkt illegales Feuerwerk zum Einsatz gekommen ist. Und es ist teilweise so, dass im benachbarten EU-Ausland Feuerwerksartikel für Personen ab 18 Jahren käuflich sind, für die es in Deutschland eine Erlaubnis braucht. Das sind sogenannte Artikel der Kategorie 3", erklärt der Pyroverbandschef.
Illegales Feuerwerk ist es, das in der Regel für die meisten Feuerwerksverletzten verantwortlich ist. Um die müssten sich die Notaufnahmen dann trotzdem kümmern.
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Quelle: ntv.de