Wirtschaft

"Energiepreise bleiben hoch" Wie Deutschland die Kriegsfolgen wegsteckt

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Wir müssen weniger und langsamer Auto fahren, sagt Ökonom Schnellenbach.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

100 Tage Krieg gegen die Ukraine bleiben auch in Deutschland nicht folgenlos. Verbraucher müssen sich auf dauerhaft hohe Energiepreise einstellen, prognostiziert Ökonom Jan Schnellenbach. Deutschlands Wohlstand sieht er aber nicht in Gefahr. Im Interview mit ntv.de erklärt der Volkswirt, warum er den Tankrabatt für problematisch hält und wir bei den Sanktionen gegen Russland noch eine Schippe drauflegen sollten: ein Gas-Embargo. Der Professor lehrt an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus.

ntv.de: Viele Ökonomen warnten vor Energie-Embargos, weil diese ihrer Einschätzung nach uns selbst mehr schaden als Russland. Haben sie recht?

Jan Schnellenbach: Meiner Meinung nach nicht. Ich halte die Berechnungen der Ökonomen um Rüdiger Bachmann für die zutreffendste. Im schlimmsten Fall würde ein Gas-Embargo demnach drei Prozent Verlust beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) bedeuten. Das Argument, dass durch ein Embargo Lieferketten gesprengt würden, weil bestimmte Fabriken in Deutschland heruntergefahren werden müssten, halte ich für falsch. Denn selbst wenn hier einzelne Produktionsschritte nicht mehr erfolgen könnten, ließe sich vieles über Importe ausgleichen.

Sie wären also für ein Embargo auch auf russisches Gas?

Ich kann die politischen Bedenken verstehen, aber aus ökonomischer Sicht wäre ich dafür. Wir würden eine Rezession bekommen. Das ist schon ernst, lässt sich aber abfangen. Demgegenüber sehe ich durchaus Effekte in Russland. Schon jetzt ist dort die Produktion von Militärgütern ins Stocken geraten, weil Vorprodukte fehlen. Das würde noch schwieriger, wenn Devisen fehlen. Außerdem wird der russische Staatshaushalt zu etwa 40 Prozent durch Abgaben auf Energie-Exporte finanziert. Würden diese wegfallen, müsste die russische Regierung entweder Steuern erhöhen oder eine relativ hohe Inflation hinnehmen, was Vertrauensverluste in der Bevölkerung bedeuten würde. Bekannte russische Ökonomen wie Sergej Gurijew, der in Paris lehrt, prognostizieren, dass es sich Russland bei einem umfassenden Energie-Embargo auf Öl und Gas wahrscheinlich nur noch wenige Monate leisten könne, Krieg zu führen.

Welche Folgen hat das nun abgestufte Öl-Embargo der EU, das Pipeline-Öl ausnimmt, für die deutsche Wirtschaft und deutsche Verbraucher?

Uns wird es nicht besonders treffen, wir wollen ja sowieso bis Jahresende unabhängig von russischem Öl werden und haben bereits alternative Lieferanten gefunden. Auch die Abhängigkeit von russischem Öl der Raffinerie in Schwedt wird sich lösen lassen. Mit höheren Preisen müssen wir allerdings schon rechnen, da unter dem Strich das Angebot durch das Embargo noch einmal sinken wird. Das wird uns treffen, die Experten für die Rohstoffmärkte rechnen aber nicht mit extremen Ausschlägen.

Die Energiepreise sind allerdings schon jetzt so hoch, dass die Bundesregierung ein ganzes Hilfspaket für Verbraucher geschnürt hat. Was halten Sie von den Entlastungsmaßnahmen?

Den Tankrabatt halte ich für sehr problematisch, weil wir eigentlich schnell möglichst viel einsparen müssen, um unabhängig von russischem Öl zu werden. Der Rabatt sendet dagegen das falsche Signal, dass Energiesparen weniger dringlich sei, als es tatsächlich ist. Außerdem werden die Benzinpreise mittelfristig sowieso steigen wegen notwendiger weiterer Anstiege des CO2-Preises. Da ist ein Tankrabatt ebenfalls kontraproduktiv und weckt falsche Erwartungen bei den Konsumenten. Dazu kommt, dass die Mineralölkonzerne den Rabatt schon antizipiert und die Spritpreise entkoppelt vom Rohölpreis erhöht haben. Sie nutzen also ihre Marktmacht, wenn auch vielleicht nicht als formales Kartell, sondern durch informelle Koordination auf eine Einpreisung des Rabatts. Tankrabatt und 9-Euro-Ticket kosten zusammen rund 5,5 Milliarden Euro. Damit hätte man zum Beispiel auf dem Land den öffentlichen Nahverkehr ausbauen können. Stattdessen verbrennt die Bundesregierung die Milliarden ohne langfristigen Effekt.

Müssen wir uns auf dauerhaft so hohe Energiepreise einstellen?

Die Preise werden absehbar auf relativ hohem Niveau bleiben, ja. Es gibt keine Anzeichen, dass andere Länder ihre Produktion vor allem von Öl massiv ausbauen.

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Wie lassen sich solche Preise für Menschen mit geringen Einkommen dauerhaft abfedern?

Man müsste die Transferzahlungen wie die Grundsicherung erhöhen, hier ist eine Anpassung an die hohe Inflation ohnehin geboten. Man kann auch darüber nachdenken, die Pendlerpauschale zu erhöhen. Das Gegenargument, das Geld komme für die Betroffenen zu spät, stimmt nicht: Steuerzahler können sich höhere Freibeträge eintragen lassen. Gleichzeitig müssen wir aber alle unseren Verbrauch reduzieren, zum Beispiel langsamer und nicht mehr so viel Auto fahren.

Worauf müssen wir künftig noch verzichten? Ist es nun vorbei mit dem Wohlstand großer Bevölkerungsteile?

Trotz der hohen Inflation ist unser Wohlstand immer noch groß. Die Delle bei der Kaufkraft wird durch die nächsten Lohnrunden teils kompensiert werden, es wird höhere Tarifabschlüsse geben. Wichtig ist aber eigentlich ohnehin das langfristige Wachstum durch Fortschritt und Produktivitätssteigerungen. Das muss durch die aktuellen kurzfristigen Störfeuer und auch durch steigende Energiepreise nicht abgewürgt werden. Wir machen also eine Übergangsphase mit nötigen, kostspieligen Anpassungen durch, aber wir müssen uns nicht grundsätzlich von wachsendem Wohlstand verabschieden.

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Jan Schnellenbach lehrt an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus.

Ist die hohe Inflation hierzulande tatsächlich vor allem dem Ukraine-Krieg zuzurechnen? Die Energiepreise sind ja schon vor Kriegsbeginn gestiegen.

Genau, die Inflation ist sicher auch Folge der expansiven Geldpolitik der EZB, die die Geldmenge stark ausgeweitet hat. Es ist allerdings schwer zuzurechnen, welche Ursache exakt welchen Anteil an der aktuellen Inflationsrate hat. Stark angetrieben wurden die Preise auch von in der Corona-Pandemie unterbrochenen Lieferketten, vor allem in China. Weil Vorprodukte wie etwa Halbleiter für die Autoindustrie fehlten, stiegen die Preise.

Auch durch den Ukraine-Krieg wurden ja Lieferketten unterbrochen. Wie groß ist hier der Schaden?

Das lässt sich schwer beziffern. Aber hier zeigt sich auch wieder, dass die Substitution funktioniert. Die Autoindustrie zum Beispiel hat für die Kabelbäume relativ schnell andere Zulieferer gefunden. Die Flexibilität von Unternehmen wird häufig unterschätzt. Produkte werden dadurch zwar kurzfristig etwas knapper und teurer, aber die Anpassungen funktionieren, ohne dass Produktionen komplett zusammenbrechen.

Wir boykottieren neben russischen Energieträgern ja auch andere russische Exporte wie Holz oder Zement. Wie sind diese Sanktionen hierzulande spürbar?

Bei den Baustoffen steigen ja gerade die Preise, Bauen wird schon spürbar teurer. Allerdings haben wir nicht besonders ausgeprägte Handelsbeziehungen zu Russland, sondern beziehen vor allem Roh- und Grundstoffe von dort. Deshalb treffen uns diese Sanktionen nicht so hart.

Welche Strafmaßnahmen gegen Russland schlagen Sie darüber hinaus vor?

Ich halte Strafzölle auf Energie-Importe für eine gute Idee, wenn wir uns nicht auf europäischer Ebene zu einem Gas-Embargo durchringen können. Dann würde Gas weiter fließen, aber ein großer Teil der Gewinne abgeschöpft. Das ließe sich sogar national umsetzen. Allerdings ist unsere Verhandlungsposition gegenüber Russland beim Gas schlechter als beim Öl, wo wir viele alternative Lieferanten haben.

Zahlreiche ausländische Unternehmen haben sich bereits aus Russland zurückgezogen - handelt es sich um Einzelfälle, die das gut abfedern können oder sind die Folgen größer?

Das ist für einzelne Unternehmen schmerzhaft, aber zum großen Teil haben sie in Russland für Russland produziert. Wenn das Geschäft wegfällt, fehlen diese Gewinne in der Bilanz, der Schaden in Deutschland ist aber überschaubar.

Mit Jan Schnellenbach sprach Christina Lohner

Quelle: ntv.de

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