Was steckt hinter "De-Risking"? Wie Deutschland sein China-Risiko in den Griff bekommen will
20.06.2023, 20:11 Uhr Artikel anhören
Deutsche Unternehmen klagen zwar etwa über Eingriffe in ihr geistiges Eigentum und die Bevorzugung einheimischer Konkurrenten, doch sie investieren weiter kräftig in den Standort China und importieren immer mehr aus dem Land.
(Foto: AP)
China ist Deutschlands wichtigster, aber gleichzeitig ein schwieriger Handelspartner: Die kommunistische Regierung begeht schwere Menschenrechtsverletzungen etwa gegen die Minderheit der Uiguren und Oppositionelle in Hongkong. Sie bedroht Taiwan und andere Länder in der Region militärisch. Bereits die Handelseinschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie in China haben Deutschland spürbar getroffen. Mögliche Sanktionen im Falle eines Kriegs um Taiwan wären ein unkalkulierbares Risiko für Deutschland. Dazu kommt der begründete Verdacht, dass China sich Zugang zu Deutschlands kritischer Infrastruktur verschaffen möchte, etwa durch geheime Hintertüren in Produkten chinesischer Hersteller wie Huawei und durch gezielte Investitionen etwa im Hamburger Hafen.
Einerseits haben die EU-Kommission und nach langem Zögern auch die Bundesregierung die Gefahren dieses problematischen Verhältnisses erkannt, anderseits wollen sie aber den für beide Seiten gewinnbringenden Handel nicht gefährden, sondern möglichst weiter ausbauen. "De-Risking" ohne "Decoupling" der Wirtschaft lauten die Schlagworte, mit denen unter anderem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz ihre Strategie beschreiben. Was steckt hinter diesen Begriffen? Und wie lässt sich das konkret umsetzen? Die wichtigsten Antworten:
"Decoupling"
"Decoupling" bedeutet Entkoppeln. Ein weitgehendes Kappen der Wirtschaftsbeziehungen mit China würde die Abhängigkeit Deutschlands und Europas beenden, doch der Preis dafür wäre extrem. Deutschland importierte im vergangenen Jahr Waren und Dienstleistungen für 192 Milliarden Euro aus China. Diese Produkte von anderen Lieferanten zu beziehen, wäre in vielen Fällen deutlich teurer, in einigen unmöglich. Der deutschen Industrie würden wichtige Vorprodukte und Rohstoffe fehlen, auf die China teilweise ein Monopol hat. Zugleich ist China mit einem Absatz von 107 Milliarden Euro im Jahr 2022 ein wichtiger Markt für deutsche Exporte. Auch durch Investitionen sind Deutschland und China eng verflochten: Mehr als 5000 deutsche Unternehmen sind in China tätig. Trotz politischer Spannungen, Sorgen um geistiges Eigentum und Klagen über diskriminierende Regeln bauen deutsche Konzerne ihre Präsenz derzeit mit neuen Milliardeninvestitionen weiter aus. Das macht deutlich, dass viele deutsche Unternehmen nicht die Absicht haben, sich auch nur teilweise auch China zurückzuziehen.
"De-Risking"
Auch die Bundesregierung befürwortet, dass die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen weiter wachsen. Allerdings sollen gleichzeitig gefährliche Abhängigkeiten gezielt abgebaut, das Risiko reduziert werden. Dafür steht der englische Begriff "De-Risking". Die Idee: Großes Handelsvolumen bedeutet nicht gleich große Abhängigkeiten. Manche Importgüter aus China wären im Konfliktfall schlicht verzichtbar, für andere gibt es genug alternative Anbieter. Bei wichtigen Produkten, bei denen große Abhängigkeiten bestehen, soll das Risiko analysiert und gegebenenfalls Vorsorge für Lieferausfälle getroffen werden, durch die Suche nach zusätzlichen Lieferanten oder etwa den Aufbau von Reserven. Für EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen gehören zum "De-Risking" auch Investitionen in alternative Standorte. Zudem will sie ein Augenmerk speziell auf Rüstungsexporte legen.
Wo liegen die deutschen Abhängigkeiten von China genau?
Bekannt ist, dass China eine Monopolstellung bei einigen Seltenen Erden und anderen wichtigen Rohstoffen hat. Auch manche chemischen Grundstoffe, darunter Produkte für die Pharmaindustrie, werden fast ausschließlich in China hergestellt. Bei Elektronik-Artikeln wie Notebooks, Tablets oder Smartphones haben chinesische Hersteller ebenfalls einen hohen Marktanteil. Während Seltene Erden aus China kaum zu ersetzen sind, ist bei anderen Produkten teilweise nicht klar, ob sie sich auch aus anderen Ländern beschaffen oder in Deutschland herstellen ließen - und zu welchen Kosten. Als ersten Schritt zu einem wirksamen "De-Risking" fordert der Ökonom Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft deshalb eine entsprechend umfassende Analyse.
Wer soll das bezahlen?
Zwar soll das "De-Risking" weniger einschneidend sein als ein "Decoupling", Kosten für die Unternehmen etwa für zusätzliche, in der Regel teurere Lieferanten, eine Bevorratung kritischer Vorprodukte oder Investitionen in alternative Standorte verursacht es aber trotzdem. Zwar überprüfen Firmen auch im eigenen Interesse Gefahren in ihren Lieferketten. Doch bei der Abwägung von Kosten und Risiken fällt das Ergebnis oft zugunsten eines Weiter-so in China aus. Bislang gibt es weder von der EU-Kommission noch bei der Bundesregierung Pläne, Unternehmen dazu zu zwingen, ihre Risiken im Handel mit China offenzulegen.
Welche weiteren Risiken gibt es durch die wirtschaftliche Verflechtung mit China?
Als eine Gefahr gelten mögliche Hintertüren in chinesischer Computer- und Telekommunikationsausrüstung. Viele Länder haben deshalb die Verwendung von Produkten des Herstellers Huawei in ihren Mobilfunknetzen verboten. Chinesische Unternehmen sind führend beim sogenannten Internet der Dinge, das heißt bei vernetzten Geräten, die etwa in der industriellen Fertigung eine immer größere Rolle spielen. Diese Geräte, so der Verdacht, könnten zur Industriespionage oder im Konfliktfall sogar zur Sabotage genutzt werden. Umstritten sind immer wieder chinesische Investitionen in deutsche Unternehmen, insbesondere führende Technologieunternehmen, zum Beispiel die Übernahme des Augsburger Roboterbauers Kuka. Die Sorge ist, dass die chinesischen Eigner die begehrte Technologie aus Deutschland abziehen könnten.
Wie realistisch ist das "De-Risking"?
Bei möglichen Gefahren durch chinesische Technologie oder den Einfluss von Investoren auf die kritische Infrastruktur werden die Behörden nach jahrelangem Zögern inzwischen tätig. Die gesetzlichen Grundlagen dafür sind vorhanden und erprobt. Anders sieht es bei der Abhängigkeit im Handel aus. Die ist noch nicht einmal im Detail erforscht. Da, wo kritische Abhängigkeiten bekannt sind, ist die Schaffung von Alternativen zudem langwierig und schwierig. Bei Seltenen Erden würde es viele Jahre dauern, alternative Lieferquellen zu erschließen, falls überhaupt welche gefunden werden.
Quelle: ntv.de