Erinnerungen an Lehman Brothers Wie gefährlich ist das Ende der Silicon Valley Bank?
13.03.2023, 15:38 Uhr
Die US-Behörden haben die Bank unter staatliche Kontrolle gestellt.
(Foto: AP)
Ein in der Öffentlichkeit weitgehend unbekanntes Finanzinstitut aus Kalifornien wird kurz vor dem Zusammenbruch von der US-Regierung gerettet. Die Börsen sind nervös. ntv.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ist die Silicon Valley Bank?
Die kalifornische Bank wurde 1983 gegründet und ist spezialisiert auf die Finanzierung von Startups. Sie war das größte Finanzinstitut im Silicon Valley und lag in der Liste der größten US-Banken auf dem sechzehnten Platz. In der Öffentlichkeit war sie kaum bekannt. Bei der Finanzierung von Startups spielte sie aber eine große Rolle.
Was war das Geschäftsmodell?
Sie hielt - wie andere Banken auch - einen kleinen Teil der Kundeneinlagen als Reserve und investierte den Rest. Die SVB steckte den Löwenanteil der Kundengelder in lang laufende US-Staatsanleihen. Das versprach zwar vergleichsweise geringe, dafür aber stetige Einnahmen - selbst dann, wenn das allgemeine Zinsniveau niedrig ist.
Und das ging schief?
Ja. Das funktionierte nur gut, solange das allgemeine Zinsniveau niedrig war. Denn das Management hatte offensichtlich zu wenig bedacht, was passiert, wenn die Zinsen wieder steigen. Als die Inflation in den USA immer mehr an Fahrt gewann, zog die US-Notenbank Fed die Notbremse und erhöhte die Zinsen kräftig - und die Bank geriet in Schwierigkeiten.
Wieso?
Die schnell steigenden Zinsen waren für die SVB aus zweierlei Gründen unerfreulich. Zum einen wurden die gekauften Staatsanleihen wegen der steigenden Zinsen unattraktiver und verloren damit an Wert. Zum anderen wurde es für geldhungrige Startups, die extrem vom jahrelangen Niedrigstzinsniveau profitiert hatten, schwerer, an frisches Kapital zu kommen. Viele Kunden der Bank - Firmen und ihre Gründer - zogen vor diesem Hintergrund Einlagen ab, weil sie das Geld an anderer Stelle brauchten. Um sie auszuzahlen, musste die SVB einen Teil ihrer Investitionen weit unter dem Kaufpreis verkaufen und erlitt dabei Verluste in Milliardenhöhe.
Ist das alles?
Nein. Die US-Einlagenversicherung FDIC garantiert nur Einlagen bis zur Höhe von 250.000 Dollar pro Kunde. Die Silicon Valley Bank hatte aber besonders viele Einlagen, die weitaus höher - und damit bei einer Pleite nicht versichert waren. Nachdem die SVB vergangene Woche die hohen Verluste bekanntgab, geriet die Tech-Branche in regelrechte Panik und versuchte, das dort geparkte Geld abzuziehen und in Sicherheit zu bringen. Diese Dynamik brachte die Bank an den Rand des Zusammenbruchs.
Wie reagierte die SVB?
Das Management kündigte vergangenen Donnerstag an, durch die Ausgabe neuer Aktien frisches Geld zu besorgen. Doch diese Notkapitalerhöhung scheiterte.
Was waren die Konsequenzen?
Die Aktien rauschten am Freitag in die Tiefe und wurden nach einem heftigen Kursrutsch vom Handel ausgesetzt. Auch andere Banken gerieten an der Börse erheblich unter Druck. Die US-Behörden schlossen die Bank und stellten sie unter staatliche Kontrolle.
Was heißt das?
Das US-Finanzministerium garantiert alle Einlagen. Das heißt: Die Kundeneinlagen sind sicher. Kunden sollen ab dem heutigen Montag in vollem Umfang auf ihr Geld zugreifen können. Die Bank selbst wird aber nicht gerettet. Ihre Eigentümer und Gläubiger bekommen Verluste nicht erstattet.
Warum ist es gefährlich, wenn eine Bank in Schwierigkeiten gerät?
Die Furcht ist, dass die Schwierigkeiten einer Bank auf andere Banken überspringen. Das kann etwa passieren, weil Banken sich untereinander Geld leihen und wegen der Schwierigkeiten einer Bank fürchten könnten, auf ihren Forderungen sitzenzubleiben. Das kann dazu führen, dass sie bei dieser Kreditvergabe viel zurückhaltender werden. Bei der SVB sieht es aber derzeit nicht so aus, dass ihre Schwierigkeiten zu einer solchen Kreditklemme führen. Dagegen wird eher befürchtet, dass die Probleme der vergleichsweise kleinen Bank dafür sorgen, dass Kunden massenweise ihre Gelder von anderen kleineren Banken abziehen und zu größeren, von der US-Regierung als systemrelevant eingestuften Banken wechseln. Ein solcher "Bank Run" könnte viele Banken in existenzielle Gefahr bringen. Der Zusammenbruch der Wall-Street-Bank Lehmann Brothers 2008 hätte zu einer Kettenreaktion und zur Kernschmelze des globalen Finanzsystems führen können.
Und droht diese Gefahr jetzt auch?
Bankexperten gehen derzeit nicht davon aus. Die Pleite der SVB ist zwar der größte Kollaps einer Bank seit der globalen Finanzkrise 2008, und das schürt die Sorge vor weiteren Zusammenbrüchen. Allerdings kommt es immer wieder dazu, dass Banken in Schwierigkeiten geraten und geschlossen werden.
Was ist der Stand der Dinge?
Das US-Finanzministerium, die Federal Reserve und die Einlagensicherung FDIC bemühen sich nun, der allgemeinen Nervosität entgegenzuwirken. Das US-Bankensystem sei nach wie vor widerstandsfähig und stehe auf soliden Füßen, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme. An der Börse geht es für Banken-Aktien dennoch weiter abwärts.
Sind die Kursverluste angemessen?
Bankexperten halten die deutlichen Reaktionen an den internationalen Finanzmärkten auf die Schieflage der SVB für übertrieben. Die Ereignisse in Kalifornien stellten ein "Musterbeispiel für eine unangemessene Panikreaktion der Aktienmärkte" dar, sagt Reinhard Schmidt von der Goethe-Universität in Frankfurt/Main. "Der Kurssturz war unangebracht, weil die Silicon Valley Bank ein sehr spezielles Geschäftsmodell verfolgt, das wirklich keine Ähnlichkeiten zu denen fast aller Banken der meisten Länder aufweist", so der Ökonomie-Professor. Es bestehe also kein Systemrisiko und kein Grund zu weiterreichenden Befürchtungen.
Ähnlich äußert sich Finanzmarktexperte Wolfgang Gerke. "Die SVB Bank gefährdet nicht den internationalen Kapitalmarkt. Ihr Klumpenrisiko aus der Startup-Finanzierung ist untypisch für den Bankensektor", sagt der Präsident des Bayerischen Finanzzentrums. "Deutsche Banken sind mit ihren Eigenkapitalpuffern und Geschäftsmodellen stabil aufgestellt. Gefahren in den USA drohen aus den großen Anleiheportfolios kleinerer Banken", betonte der Ökonomie-Professor.
Was passiert mit den Verantwortlichen?
US-Präsident Joe Biden kündigte an, die Verantwortlichen für die Pleite der Banken zur Rechenschaft zu ziehen. Was das genau bedeutet, sagte er nicht.
Quelle: ntv.de, mit dpa/rts