Wirtschaft

Andere Länder machen es vor Wie weniger Lebensmittel im Müll landen

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Per Rabatt versuchen Supermärkte, bald ablaufende Lebensmittel doch noch zu verkaufen.

(Foto: picture alliance / Tobias Steinmaurer / picturedesk.com)

Die Diskussion um Lebensmittelverschwendung hat vor allem den Handel im Blick. Dabei ist der nur für einen kleinen Teil verantwortlich. Verbraucher könnten weit mehr erreichen. In anderen Ländern wird deutlich weniger Essen unnötig entsorgt.

Der berühmte Apfel mit der Delle und die Radieschen mit den traurigen Blättern landen in Deutschland viel zu schnell im Müll - meistens, weil sie erst gar nicht gekauft werden. Elf Millionen Tonnen an weggeworfenen Lebensmitteln kommen so jedes Jahr zusammen. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit etwa auf dem Niveau Frankreichs - anderen Ländern wie Österreich oder Spanien aber gelingt es, nur rund ein Zehntel dessen zu verschwenden. Zu diesem Müll zählen zwar auch unvermeidbare Abfälle wie Kaffeesatz oder Bananenschalen, doch gut die Hälfte des Abfalls wäre eigentlich noch frisch und genießbar.

Was also tun, um der Lebensmittelverschwendung Einhalt zu gebieten? Dass etwas passieren muss, ist selbst der Bundesregierung klar - schließlich hat sie sich gemeinsam mit der EU schon 2015 dem Ziel der Vereinten Nationen verpflichtet, die weltweite Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Doch seit diesem Beschluss hat sich hierzulande kaum etwas getan. Zwischen 2015 und 2020 wurden die Lebensmittelabfälle in Deutschland um gerade mal 0,9 Millionen Tonnen reduziert, wie Zahlen des Umweltbundesamts zeigen.

Im Moment konzentriert sich die Diskussion vor allem auf die Rolle des Handels - allerdings ist der nur für sieben Prozent des Lebensmittelmülls verantwortlich, über die Hälfte fällt in privaten Haushalten an. Justizminister Marco Buschmann und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir setzen sich dafür ein, dass das sogenannte Containern, bei dem weggeworfene Lebensmittel aus den Abfallcontainern von Supermärkten geholt werden, nicht mehr als Diebstahl gelten soll. In Berlin forderte jüngst Sozialsenatorin Katja Kipping ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, über dessen gesamteuropäische Einführung bereits in der Vergangenheit diskutiert wurde.

Der ewige Streit ums "MHD"

Der Anteil, den Verbraucherinnen und Verbraucher an dieser Verschwendung haben, ist zwischen 2015 und 2020 sogar noch leicht angewachsen, auf 56 Prozent. Größtenteils werden Obst und Gemüse entsorgt, Brot- und Essensreste sowie Milchprodukte - nicht zuletzt, weil zuerst zu viel eingekauft wurde und dann das Mindesthaltbarkeitsdatum "MHD" überschritten war.

Über das MHD wird seit langem in der EU diskutiert, Politik und Handel sind sich uneins. Könnten Molkereiprodukte nicht länger haltbar sein? Brauchen Produkte wie Nudeln überhaupt ein MHD? Wer übernimmt am Ende die Verantwortung? "Mit dem Aufdrucken des Mindesthaltbarkeitsdatums garantiert der Hersteller, dass sein Produkt mindestens bis zu diesem Termin einwandfrei ist und die garantierte Qualitätsstufe hat", erklärt die Handelsexpertin Beate Scheubrein von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn. Qualität beziehe sich dabei auch auf die Farbe oder Konsistenz eines Produkts. Nur weil die Erdbeermarmelade sich bräunlich färbt, kann sie aber trotzdem noch genießbar sein - nur ist sie eben weniger schön. Hier ringen die Konsumenten noch oft mit sich.

Die MHD-Debatte dreht sich deshalb nicht zuletzt darum, inwiefern der Begriff "haltbar" der Sache dienlich ist und ob eine Formulierung wie "einwandfrei bis" nicht sinnvoller wäre. Scheubrein hält die deutschen Regelungen bezüglich des MHD insgesamt für zu streng. Auch der Handel versucht seit Langem auf die Politik einzuwirken, bisher aber ohne Erfolg - auch, weil eine Regelung auf EU-Ebene gefunden werden muss. Supermärkte versuchen bereits, mit Rabattaktionen auf bald ablaufende Lebensmittel oder weniger attraktiv aussehende Frischwaren in separaten Kisten doch noch zum Kauf des bisher liegen gebliebenen Joghurts oder der traurigen Radieschen anzuregen. Doch die Entscheidung liegt letztlich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Ministerium hält am UN-Ziel fest - ohne echten Plan

Ohne das Mitwirken der Verbraucher wird Deutschland das Ziel der UN nicht erreichen können. Und an diesem hält das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft fest, so ambitioniert es auch sein mag. Erreichen will es die Halbierung der Abfälle vor allem durch die Weiterentwicklung der "Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle", die noch von der alten Regierung stammt.

Die Strategie umfasst zum Beispiel die Entwicklung innovativer Logistiksysteme für den Einzelhandel und die Schaffung größerer Transparenz entlang der Wertschöpfungskette vom Produzenten bis zum Konsumenten. Auch der Abbau von Hürden bei der Weitergabe von Lebensmitteln an gemeinnützige Organisationen soll geprüft werden. Konkreter wird es jedoch nicht. Ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, wie es Frankreich 2016 eingeführt hat, wird nicht erwähnt.

Als erstes Land der Welt hat Frankreich damit große Supermärkte dazu verpflichtet, ihre unverkauften Waren erst gemeinnützigen Organisationen anzubieten, bevor sie sie wegwerfen. Hierzulande beruht das auf freiwilliger Basis. Allerdings hat der Handel dort im Vergleich zu Deutschland einen doppelt so großen Anteil an den nationalen Abfällen und arbeitet weniger gut mit den Tafeln zusammen.

Wegwerf-Verbot nein, Steuervorteile ja

"In Frankreich wird mit diesem Gesetz immer noch weniger an Tafeln gespendet als in Deutschland ohne so ein Gesetz", sagt Scheubrein. "Die Zusammenarbeit von Einzelhändlern und Tafeln funktioniert in Deutschland seit Jahrzehnten gut." Aus ihrer Sicht brauche es ein Gesetz wie in Frankreich deshalb nicht. Die steuerlichen Vorteile, die damit verbunden sind, hält sie jedoch für sinnvoll. So können französische Supermärkte 60 Prozent des Einkaufspreises der gespendeten Lebensmittel von der Steuer absetzen.

In Deutschland fällt bereits die Umsatzsteuer für kostenlos weitergegebene Lebensmittel unter bestimmten Umständen für die Händler weg, etwa wenn Produkte kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen oder Frischwaren wie Obst und Gebäck nicht mehr "verkehrsfähig" sind. Trotzdem müssen Händler auch Waren, die sie an Tafeln abgeben werden, abschreiben.

Auch große Bestellmengen sind einer der Hauptgründe, die das Landwirtschaftsministerium für die Verschwendung im Handelssektor anführt. Laut Scheubrein handeln Supermärkte hier aber bereits überwiegend vorausschauend. "Jeder Liter Milch, der im Müll landet, tut dem Händler weh", sagt die Expertin. "Das ist entgangener Gewinn. Idealerweise kauft man so ein, dass alles verkauft wird. Weggeworfen wird am Ende nur das, was wirklich weg muss." Dieses Umdenken müsste nun nur noch bei Verbraucherinnen und Verbrauchern einsetzen.

Dieser Text erschien zuerst bei capital.de

Quelle: ntv.de

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