Wirtschaft

Baubranche in Not "Wir werden uns an viel höhere Mieten gewöhnen müssen"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden
Die Zahl der in Deutschland neu gebauten Wohnungen ist dramatisch eingebrochen.

Die Zahl der in Deutschland neu gebauten Wohnungen ist dramatisch eingebrochen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Hiobsbotschaften aus der Baubranche reißen nicht ab. Große Bauträger gehen bankrott, andere legen Projekte mit zehntausenden Wohnungen auf Eis. Angesichts des Wohnungsnotstands lädt die Bundesregierung am Montag zum Baugipfel ein. Schon im Vorfeld liegen die Nerven blank. Die beiden Verbände GdW sowie Haus&Grund sagen aus Protest ihre Teilnahme ab. Der Vorwurf: Kanzler Olaf Scholz reagiert nicht angemessen auf die aktuelle Krise. Projektentwickler Ingo Weiss erwartet von den Gipfelteilnehmern eine "Roadmap", wie es weitergehen soll. Er sagt: "Sinken werden die Mieten wohl nie mehr." ntv.de spricht mit dem Unternehmer über hohe Kosten, Ansprüche und Wege aus der Krise.

ntv.de: Der Neubau von Wohnungen bricht spektakulär ein. Die Erwartungen an den Wohnungsgipfel am Montag sind hoch. Zwei wichtige Wirtschaftsverbände boykottieren das Treffen. Kann man trotzdem auf Lösungen hoffen?

Ingo Weiss: Ich bleibe optimistisch. Aus Nachhaltigkeits- und Kostengründen müssen wir beim Neubau endlich neue Wege gehen. Das Klima-Thema, das Zinsumfeld und die vielen Steuern machen den Wohnungsbau viel zu teuer. Ich erwarte einen Plan, wie man dieses Land zukunftsfähig ausrichten will. Dazu müssen alle etwas beitragen: Die Politik muss finanzielle Programme vorlegen, die Bauindustrie innovativer werden - wir bauen seit 80 Jahren immer gleich -, und die Gesellschaft muss ihre Ansprüche herunterschrauben.

Der Preis pro Quadratmeter liegt mittlerweile bei 5000 Euro. Große Bestandshalter, also Unternehmen, die Tausende von Wohnungen besitzen und vermieten, kalkulieren mit einer Nettokaltmiete von 17 Euro aufwärts pro Quadratmeter, damit sich das rechnet. Wie kommt man auf so einen Preis?

In einer Beispielrechnung mit lediglich 800 Euro Grundstückskosten pro Quadratmeter kommen wir sogar auf mehr als 5000 Euro. Inklusive knapp zehn Prozent Erwerbsnebenkosten - also Steuern, Kosten für Notar und Ankaufsprüfung - sind wir bei knapp 900 Euro pro Quadratmeter. Entwicklungskosten von rund 2800 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche plus 19 Prozent Mehrwertsteuer eingerechnet, sind wir bei 3300 Euro. Plus Kosten für Bauzeit und Zinsen haben Sie bis zur Übergabe bereits Investitionskosten von 5000 Euro. Da hat der Projektentwickler noch keinerlei Gewinn gemacht.

Was wird da noch draufgeschlagen?

Ein moderater Gewinn für das Risiko, das er übernimmt, liegt bei 15 bis 20 Prozent. Nehmen Sie 15 Prozent an und Sie sind bei einem Verkaufspreis von 5700 Euro. Und das ist noch nicht das Ende: Denn bei einem Verkauf an einen Investor fallen wieder Grunderwerbssteuer, Notar- und Prüfungskosten an. So werden aus den 5700 mal schnell 6200 Euro.

Welche Nettokaltmiete ergibt das?

Wenn Sie die Zinskosten für die Finanzierung dazunehmen, kommen Sie auf 25 Euro, die Sie benötigen, damit Ihr eingesetztes Kapital mit 4,5 Prozent verzinst wird. Festgeld bei der Bank wird heute mit vier Prozent verzinst. Warum sollte jemand zu dem Preis die Risiken tragen? Das ist der Grund, warum der Markt nicht mehr funktioniert.

Es hieß lange, 30 Prozent des Nettohaushaltseinkommens für Wohnen seien angemessen. Ist das Geschichte?

Das passt in großen deutschen Städten nicht mehr, muss man sagen. Auch in anderen europäischen Metropolen liegt der Anteil viel höher. Wir werden uns an viel höhere Mieten gewöhnen müssen. Zumindest teilweise finde ich das auch richtig. Wenn man einen hohen Standard haben möchte, hat das seinen Preis. Gleichzeitig sollte man aber auch die Stellschrauben nutzen, die es gibt, um die Preise zu drücken. Am Montag sollen die ja auch diskutiert werden.

An welchen Stellschrauben sollte die Politik aus Ihrer Sicht drehen, um schnell und effektiv mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?

16 Bundesländer haben insgesamt 17 Bauordnungen inklusive Musterordnung. Das muss einfacher gehen. Im Neubau muss ein Prozentsatz altersgerecht gebaut werden. Das ist so ähnlich wie mit den Behindertenparkplätzen, die meistens frei sind. Sie riskieren Leerstand. Statt scharf, wird mit der Schrotflinte geschossen. Die gleiche Vorschrift überall ergibt keinen Sinn. Wir sollten uns mehr am Bedarf orientieren. Bauen muss auch serieller werden. Dazu müssen die Entwicklungszeiten und Genehmigungsverfahren verkürzt werden. In der Verwaltung ist noch nichts digitalisiert.

Sie sagen, wir müssen auch unsere Ansprüche herunterschrauben. Warum?

In Deutschland haben wir sehr große Wohnungen pro Kopf und Familie. Vielleicht müssen wir über kleinere Vier-Zimmer-Wohnungen nachdenken, nicht auf 180, sondern 100 Quadratmetern, mit wenig Nebenflächen. Dafür gibt es gute Konzepte.

Sie plädieren für niedrigere Steuern. Abschaffung der Grunderwerbsteuer, Reduzierung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent …

… vielleicht auch ganz auf null. Das Thema Steuern wird von der Politik immer schnell beiseite geschoben. Es wäre aber der schnellste und effektivste Hebel.

Ist null realistisch?

In einer Vergleichsrechnung bei gleichen Grundstückskosten haben wir die Grunderwerbsteuer auf null gesetzt, die Mehrwertsteuer auf sieben Prozent und die Entwicklungszeit um ein halbes auf zweieinhalb Jahre reduziert. Dazu haben wir ein KfW-Programm eingebaut. Unterm Strich landen Sie so genau bei 17 Euro Miete und nicht mehr bei 25 Euro. Steuersätze zu senken, wäre leicht. Auch, wenn es nur für eine begrenzte Zeit wäre, würde es helfen, dem Markt so viele Wohnungen zuzuführen, wie er braucht.

Damit hätten Sie die Mieten aber lediglich stabilisiert ...

Sinken werden die Mieten wohl nie mehr. Allein dafür, dass sie sich stabilisieren, braucht es ein Überangebot.

Es gibt seit Juni günstige Kredite der KfW, die aber so gut wie nicht in Anspruch genommen werden. Warum?

Immer wieder neue Programme. Warum passt man nicht mal ein altes an? Jetzt heißt das Programm KFN, klimafreundliche Neubauten. Für die höchste Förderstufe - das ist ein klimafreundlicher Neubau mit Gütesiegel für nachhaltiges Bauen -, brauchen Sie ein bestimmtes Zertifikat. Das Problem: Sie finden kaum Zertifizierer. Ohne, kann das Programm aber nicht abgerufen werden. Leute könnten sich zu Zertifizierern fortbilden, machen sie aber nicht. Warum? Weil sie nicht wissen, ob es das Programm in einem halben Jahr noch gibt. Es ist einfach zu viel Unsicherheit in diesem Markt.

Bund, Länder, Gemeinden könnten ihre Grundstücke günstiger verkaufen. Wäre das nicht ein sinnvoller Beitrag angesichts der Wohnungsnot?

Ingo Weiss ist Immobilienökonom und Unternehmer. Er ist einer der drei Gründer des Projektentwicklers Driven Investment.

Ingo Weiss ist Immobilienökonom und Unternehmer. Er ist einer der drei Gründer des Projektentwicklers Driven Investment.

(Foto: Ingo Weiss)

Das wäre eine Möglichkeit. Das Bundeseisenbahnvermögen hat ein großes Grundstücksportfolio. Auch eine Stadt wie Berlin hat noch viele unbebaute Grundstücke. Es gibt die Grundsteuer C für unbebaute Grundstücke. Wird diese erhöht, wird das Halten solcher Grundstücke unwirtschaftlicher. Man könnte auch höher bauen. Das reduziert die Kosten pro Wohnfläche. In Deutschland gibt zu wenige Hochhäuser.

In vielen stehen inzwischen Büroflächen leer. Warum werden die nicht systematisch in Wohnungen umgebaut?

Das ist ein Kamikaze-Kommando, weil man dafür das Baurecht ändern muss. Auf dem Bebauungsplan steht Gewerbe. Wir wissen, wie lange die Erstellung von Bebauungsplänen dauert, insbesondere in Berlin. Darüber hinaus gibt es auch noch hochtechnische Anforderungen.

Und was spricht dagegen, mehr leerstehende Immobilien instand zu setzen?

Achtung, unter leerstehende Immobilien fallen auch Zweitwohnungen! Viele Leute haben zwei oder drei Wohnungen in Deutschland. Vielleicht sollten wir uns fragen, ob das noch zeitgemäß ist? Das durch Steuern unattraktiver zu machen, halte ich für sinnvoll. Ansonsten gibt es für die Sanierung - Dächer, Dämmung oder neue Fenster - tatsächlich KfW-Programme. Die Entscheidung, zu investieren, fällen aber die Hauseigentümer. Häufig lässt sich dadurch kein Geld verdienen.

Klimaschutzmaßnahmen, sagen Sie, ist ein Problem für die Branche hierzulande. Inwiefern unterscheidet sich Deutschland da von anderen, vergleichbaren Ländern?

In Deutschland ist alles viel zu kompliziert geworden. Wieso ist unser Standard für die Energieklasse A höher als der in den Niederlanden? Als ich Bauingenieur studiert habe, haben wir mit fünf bis acht Zentimetern Dämmung gerechnet, jetzt sind wir bei 17 und 18. Schaut man sich den Wohnstandard in London, Amsterdam, Paris oder Brüssel an - das sind ja keine Fernkulturen, die ganz anders leben, - dann leben die Menschen da auch sehr gut.

Mit Ingo Weiss sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen