Vor Gipfeltreffen im Kanzleramt Baubranche warnt Kanzler eindringlich vor Wohnungsnotstand
23.09.2023, 06:02 Uhr Artikel anhören
Von den zugesagten 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr ist Deutschland aktuell weit entfernt.
(Foto: dpa)
Bereits heute fehlen 700.000 Wohnungen in Deutschland. Die Krise am Bau aber verschlimmert die Lage weiter. Vor dem Baugipfel erhöht die Branche jetzt den Druck auf die Regierung.
Kurz vor dem Wohnungsbaugipfel am Montag im Kanzleramt fordert die Baubranche massive Hilfen der Bundesregierung im Kampf gegen die Krise und den Mietennotstand. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie setzt vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz unter Druck. In einem Forderungspapier, das ntv exklusiv vorliegt, schreibt der Verband: "Wir brauchen eine Kanzlerentscheidung für mehr Wohnungsbau in Deutschland."
In dem Papier spricht sich die Bauindustrie dafür aus, die Grunderwerbssteuer zu senken oder vorübergehend ganz auszusetzen. Zudem fordert sie weniger Beschränkungen bei den Gebäudestandards: Die Ampelkoalition solle darauf verzichten, den Energiestandard EH-40 für alle Neubauten ab 2025 vorzuschreiben - wie es eigentlich im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Sie solle außerdem die Beschränkung der Neubau-Förderung vom Standard EH-55 auf EH-40 zurücknehmen, "da Aufwand und Nutzen nicht mehr im Einklang stehen".
Der Verband fordert von der Regierung eine verlässliche Förderkulisse für den Wohnungsneubau sowie eine massive Ausweitung des Programms "Klimafreundlicher Neubau" der staatlichen KfW-Förderbank. Wichtig seien auch eigenkapitalunterstützende Darlehen für private, gewerbliche und öffentliche Bauherren. Die von der Koalition geplante bessere steuerliche Abschreibung für den Wohnungsbau sei zwar ein Anfang. Es könne aber nur etwas abgeschrieben werden, wenn vorher auch investiert worden sei. "Ohne ein Bau-Paket kommt der Wohnungsbau kurzfristig nicht wieder in Schwung." Mit dem Paket solle Druck aus dem angespannten Mietmarkt genommen und Beschäftigung von rund einer Million Menschen am Bau gesichert werden.
"Alle Indikatoren am Bau zeigen nach unten"
In dem Papier zeichnet der Hauptverband der Bauindustrie ein düsteres Bild der Lage: Die Zahl der Genehmigungen neuer Wohnungen sei drastisch eingebrochen. Besonders dramatisch ist laut Bauindustrie die Situation bei den stornierten Aufträgen. Hatten Anfang 2022 noch drei Prozent der Baufirmen damit zu kämpfen, waren es im August 2023 bereits 21 Prozent. Fast jeder zweite Betrieb klagt über Auftragsmangel. "Alle Indikatoren am Bau zeigen deutlich nach unten, eine Trendwende ist nicht in Sicht." Deshalb drohe ab spätestens 2024 die Abwanderung von Arbeitskräften aus der Branche, so der Verband. "Damit stünde nicht weniger als die Modernisierung des Lebens- und Wirtschaftsstandorts Deutschland auf dem Spiel."
Der Verband benennt für die Krise beim Wohnungsbau mehrere Gründe: höhere Zinsen, teure Baumaterialien und eine zusammengestrichene staatliche Neubauförderung. "Dem Wohnungsbau in Deutschland fehlt ein verlässlicher Rahmen für Investitionen." Bei privaten Bauherren komme die hohe Inflation noch hinzu. Die Baupreise im Wohnungsneubau sind in den letzten zweieinhalb Jahren um 32,6 Prozent gestiegen.
Die Branche rechnet nicht damit, dass die Ampelkoalition ihr Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr erreichen wird. Im Gegenteil: Im laufenden Jahr würden voraussichtlich rund 250.000 Wohnungen entstehen, im kommenden dann nur noch knapp über 200.000. "Die ausreichende Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung und dringend benötigter Fachkräfte aus dem Ausland mit bezahlbarem Wohnraum wird nicht erreicht."
Quelle: ntv.de