So wenige Geburten wie nie Wirtschaftskrise zerstört Familienplanung ganzer Generation


Die Bevölkerung in Europa altert rasant. Wir sind darauf nicht vorbereitet, beklagen Ökonomen.
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Explodierende Mieten, astronomische Immobilienpreise, unsichere Jobs: Der Cocktail globaler Dauerkrisen zerstört die Zukunftsträume vieler junger Menschen. In Europa werden so wenige Kinder geboren wie noch nie - mit fatalen Folgen für die Wirtschaftskraft.
Die Zahl der Geburten in der EU ist auf einem neuen Tiefpunkt angelangt: Laut der Statistikbehörde Eurostat erblickten 2023 in den 27 EU-Staaten nur noch rund 3,67 Millionen Babys das Licht der Welt - so wenige wie noch nie seit 1961. Schon 2022 war die Zahl der Geburten in der EU mit rund 3,88 Millionen erstmals seit den 60er Jahren unter die 4-Millionen-Marke gefallen. Das Bevölkerungswachstum liegt damit deutlich unter den langfristigen Bevölkerungsvorhersagen der EU-Statistiker, die bislang von etwa 4 Millionen Geburten jährlich ausgegangen waren.
Dass Europas Bevölkerung rapide altert und schrumpft, ist an sich nichts Neues. Viel alarmierender als der erneute Tiefpunkt bei der Zahl der Babys ist der Grund dafür: Zusätzlich zum langfristigen Abwärtstrend bei der Geburtenrate machen nun offenbar der schlimmste Inflationsschock seit dem Zweiten Weltkrieg, maue Wirtschaftsaussichten und internationale Krisen die Familienplanung vieler junger Europäer zunichte.
Schon seit den 60er-Jahren geht der Trend rapide abwärts, als statistisch gesehen jede Frau in der EU noch 2,6 Kinder bekam. In den 2000er Jahren stabilisierte sich die Geburtenrate kurzzeitig und stieg sogar wieder ganz leicht an. Nach der Finanzkrise 2008 ging es dann wieder bergab. 2022 lag sie bei gerade mal noch 1,46 Kindern pro Frau.
Größter Geburtenrückgang seit Beginn der Aufzeichnungen
Deshalb ist der jetzige Absturz umso bemerkenswerter: Von 2022 auf 2023 brach die Zahl der Geburten in der EU laut Eurostat um 5,5 Prozent ein - der größte Rückgang innerhalb eines Jahres seit Beginn der Aufzeichnungen. Der bereits seit Jahrzehnten rückläufige Trend hat sich also ab 2021 noch einmal massiv verschlimmert.
Auch die Ökonomen der OECD beobachten die Bevölkerungsentwicklung mit Sorge. Ihre Erklärung für die Babydelle: "Eine Verkettung globaler Krisen (Covid, Klimafolgen, Lebenshaltungskosten) hat die (wirtschaftlichen) Unsicherheiten junger Leute erhöht, was ihren Übergang ins Elternsein verkompliziert", heißt es in einer Studie der Organisation aus dem Sommer. "Junge Leute haben größere Schwierigkeiten als früher, sich im Arbeitsmarkt, Immobilienmarkt und vielleicht auch im Dating-Markt zu etablieren", zitiert die "Financial Times" einen OECD-Ökonomen. "Das ist ein Teil der Story, der ziemlich klar ist."
Am düstersten sieht es in den Ländern aus, in denen in den letzten Jahren die wirtschaftlichen Umstände am schlechtesten waren: In Griechenland bekommt jede Frau nur 1,32 Kinder, in Italien 1,24 Kinder, und in Spanien sogar nur 1,16 Kinder. Dort leben - nicht nur dank konservativerer Sozialnormen, sondern auch aufgrund wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit - laut OECD jeweils rund 80 Prozent aller jungen Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 29 noch bei ihren Eltern. Deutschland liegt mit einer Geburtenrate von 1,46 genau auf dem EU-Durchschnitt. Bulgarien (1,65), Rumänien (1,71) und Frankreich (1,79) sind dagegen die Spitzenreiter in der EU. Im Schnitt sind Mütter in der EU heute 29,7 Jahre alt, wenn sie ihr erstes Kind bekommen.
Kinderlosigkeit schwächt die Wirtschaftsmacht der EU
Die wachsende Kinderlosigkeit verschärft die wirtschaftlichen Zukunftsprobleme der EU massiv - von der Rente über die Verteidigung bis hin zur globalen Wettbewerbsfähigkeit. Regierungen und Gesellschaften müssen sich auf eine Zukunft mit geringerem Wachstum, weniger Steuereinnahmen und Arbeitskräftemangel einstellen.
Insgesamt ist von einem Bevölkerungsschwund zwar bisher nicht viel zu spüren: Von 2022 bis Anfang 2024 legte die EU-Einwohnerzahl um gut drei Millionen auf rund 449 Millionen Menschen zu. Doch der Zuwachs ging fast ausschließlich auf Zuwanderung zurück, vor allem auf Flüchtlinge aus der Ukraine, die nach Russlands Überfall in der EU Schutz vor dem Krieg suchten. Grundsätzlich sterben in der EU weiter deutlich mehr alte Menschen, als Kinder geboren werden.
Außer durch mehr Zuwanderung ließen sich die wirtschaftlichen Probleme des Bevölkerungsschwunds auch durch technologische Produktivitätssteigerung oder mehr Anreize fürs Kinderkriegen in den Griff bekommen. In jedem Fall wird der Staat mit massiven Investitionen gefordert sein, um seine eigenen Grundlagen zu erhalten.
Quelle: ntv.de