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Kampf gegen Geburtenkrise China drängt Frauen zum Kinderkriegen

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In China bekommt jede Frau im Schnitt nur noch ein Kind.

In China bekommt jede Frau im Schnitt nur noch ein Kind.

(Foto: picture alliance / Sipa USA)

China verzweifelt an seiner niedrigen Geburtenrate. Die Regierung will das Problem selbst in die Hand nehmen und plant, die nationale Familienpolitik komplett zu reformieren. Dafür greift sie auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen.

In China machen Tausende Kindergärten und Grundschulen zu. Allein vergangenes Jahr sind im ganzen Land über 20.000 geschlossen worden. Der Grund ist simpel: Es gibt zu wenige Kinder. 2023 gab es nur neun Millionen Geburten in ganz China - die niedrigste Zahl seit 1949. Im Jahr 2016 wurden noch doppelt so viele Babys geboren. Chinesinnen bekommen im Schnitt nur noch ein Kind. Obwohl die Ein-Kind-Politik längst abgeschafft ist - seit 2021 dürfen Paare bis zu drei Kinder bekommen.

Manche chinesischen Städte nutzen die Gebäude längst anders und haben ihre Schulen zu Altenheimen umgebaut. Rentner gibt es schließlich genug - die Volksrepublik wird immer älter. Und sie schrumpft. Das Land mit den meisten Einwohnern ist inzwischen Indien.

Chinas Präsident Xi Jinping macht sich Sorgen um die niedrige Geburtenrate. Die Regierung greift nun in großem Stil ein. Sie will eine familien- und geburtenfreundliche Gesellschaft aufbauen. Es soll eine "neue Kultur des Kinderkriegens und Heiratens" entstehen. Paare sollen dazu gebracht werden, Kinder zu bekommen.

"Diese Förderung eines geburtenfreundlichen Klimas kommt zur richtigen Zeit", sagt der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Überlegungen dazu gebe es schon lange, denn "die sinkenden Geburtenraten sind seit über zehn Jahren bekannt. Es ist lange bekannt, dass die chinesische Gesellschaft stärker altert und sogar uns in Westeuropa übertreffen würde."

Erziehung, Bildung, Wohnen sollen günstiger werden

Konkret hat sich die Regierung für ihre neue Familienpolitik 13 Maßnahmen ausgedacht. Es soll mehr Kinderbetreuungsangebote geben. Und die Kindererziehung soll günstiger werden: Familien und Paare sollen weniger Geld für Geburten, Erziehung, Bildung und Wohnen ausgeben müssen. Familien sollen etwa beim Hauskauf stärker unterstützt werden. Und die Kosten für die Betreuung und Gesundheit von unter Dreijährigen sollen bis zu einer bestimmten Höhe von der Einkommenssteuer abgezogen werden können. Außerdem sollen Eltern flexibler und von zu Hause aus arbeiten können. Sogar eine staatliche Dating-App soll kommen.

Die familienfreundlichere Gesellschaft soll sich auch in den Medien widerspiegeln - in Zeitungsartikeln oder Fernsehshows soll die Familie positiv dargestellt werden.

Chinas Internet-Zensoren waren in den vergangenen Monaten wieder sehr fleißig. Im Frühjahr haben sie etwa 700 Online-Fernsehserien gelöscht, die ihrer Meinung nach die negativen Aspekte des Familienlebens gezeigt haben - wie Streit unter den Familienmitgliedern.

Chinas Regierung hat für ihr Familienprogramm bis zu 500 Milliarden Yuan eingeplant - umgerechnet etwa 64 Milliarden Euro. An Ideen mangelt es jedenfalls nicht. Wann genau und ob das alles umgesetzt wird, ist aber noch offen.

"Könnte Triggereffekt haben"

Werden diese Maßnahmen wirklich etwas bringen, damit mehr Kinder geboren werden - und das Land "überleben" kann? Schmidt-Glintzer merkt an, dass die meisten Menschen in China nicht immer "mit wehenden Fahnen hinter allem, was die Politik ankündigt, hinterherlaufen". Dennoch glaubt er zumindest an einen kleinen Effekt: "Es ist denkbar, dass diese Zunahme an Vorteilsgewährung für Menschen, die früher heiraten, die ein Kind und vielleicht auch ein zweites oder drittes Kind bekommen, einen Triggereffekt hat und zu mehr Geburten führt."

Die Maßnahmen der Regierung in Peking ähneln denen, die mehrere chinesische Provinzen in der Vergangenheit bereits gestartet haben - aber eben lokal, nicht landesübergreifend. Da wurden schon mal Speed-Datings oder andere kuriose Veranstaltungen ausgerichtet, um junge Leute zu verkuppeln.

Paare, die heiraten, bekommen mancherorts Geldprämien. Wenn sie dann auch noch ein Kind oder mehrere Kinder bekommen, gibt's weitere einmalige Zuschüsse. Außerdem bieten die Lokalregierungen spezielle Kredite für Hochzeiten und Kinder an, außerdem einen längeren Mutter- oder Vaterschaftsurlaub.

Diese lokalen Geburtenzuschüsse seien aber viel zu niedrig, sagen Kritiker. Nur die Zentralregierung habe ausreichend Geld, um Chinas Geburtenkrise zu lösen, hat der Demografie-Experte He Yafu der Global Times gesagt.

Frauen wollen Karriere statt Kinder

Es heiraten immer weniger junge Chinesinnen und Chinesen - und das auch immer später. Die Heiratsraten sinken seit etwa zehn Jahren. 2013 wurden noch fast 13,5 Millionen Ehen geschlossen, 2023 waren es mit rund 7,5 Millionen nur noch etwas mehr als halb so viele.

"In China gibt es ein Wunschbild: die glückliche Familie mit Vater, Mutter und ein bis zwei Kindern. Auf Bildern fahren sie mit Schlitten den Berg herunter. Das ist aber nicht mehr die Vorstellung, die viele junge Frauen in den Vordergrund stellen", berichtet Schmidt-Glintzer im Podcast.

Immer mehr Frauen schieben Heirat und Geburt auf oder entscheiden sich ganz dagegen. Sie sehen sich nicht in der traditionellen Rolle der Ehefrau und Mutter, wollen selbstbestimmt leben und Karriere machen. "Es gibt viele Frauen, die nicht mehr als ein Kind wollen, auch unter denen, die finanziell gut gestellt sind."

Dabei sei der Erwartungsdruck an junge Frauen und Ehepaare hoch, so der China-Experte. "Die Eltern wollen oft Enkel haben. Auch die Männer machen ihren Frauen Druck".

"Nette Worte der Regierung helfen nicht"

Abschreckend für junge Menschen ist die unsichere Wirtschaftsentwicklung in China. Die Jugendarbeitslosigkeit ist so hoch wie nie - Wohnungen, Bildung und Kinderbetreuung sind extrem teuer. Außerdem verdienen sie als Mutter laut der Denkfabrik Yuwa im Durchschnitt 12 bis 17 Prozent weniger Geld. Zu viele Faktoren, die gegen eine Familie und Kinder sprechen.

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"Liebe, Heiraten und Familie hängen von der wirtschaftlichen Lage ab. Es ist nicht so, dass wir Single sein wollen. Die aktuelle Situation hat dazu geführt", berichtet Jack Jiang aus Shanghai bei ntv. Eine junge Frau nennt zudem Druck im Alltag und Stress im Job als Gründe dafür, dass die Chinesinnen und Chinesen immer seltener heiraten und Kinder bekommen. "Da helfen keine netten Worte der Regierung."

Der Staat verzweifelt mittlerweile so sehr an der niedrigen Geburtenrate, dass er zu ungewöhnlichen Maßnahmen greift. Regierungsmitarbeiter haben Anfang Oktober einen Anrufmarathon gestartet. In der landesweiten "Umfrage zur Bevölkerung und Familienentwicklung" telefonieren sie Zehntausende Frauen in 150 Landkreisen ab, um sie zu drängen, ein Kind zu bekommen - und herauszubekommen, was sie daran hindert.

Dabei stellen sie sehr private Fragen, berichten chinesische Medien: Ob sie ihre Menstruation haben, in einer Beziehung oder schwanger sind. Es ist nicht die erste Umfrage dieser Art der chinesischen Regierung, vier davon gab es schon in den vergangenen sieben Jahren. Dabei sammelt der Staat vielleicht wertvolle Daten - ob solche verstörenden Anrufe Chinas Frauen dazu bringen werden, eine Familie zu gründen, ist aber fraglich.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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