Panorama

Mehrere Fälle in BerlinSchutzgelderpressung umgibt eine Mauer des Schweigens

27.11.2025, 17:58 Uhr DSC-3851-1Marc Dimpfel
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Einschusslöcher im Fenster einer Berliner Fahrschule. (Foto: picture alliance/dpa)

Schüsse auf Fahrschulen, Drohungen gegen eine Supermarktkette und eine eindringliche Warnung der Polizei: In Berlin häufen sich Fälle von Schutzgelderpressung. Daten dazu gibt es kaum, doch ein Ermittler sagt: Sehr viele zahlen Geld.

"Mit Sicherheit zum Erfolg" steht auf dem Schaufenster einer Fahrschule im Berliner Bezirk Spandau. Vergangene Woche kamen mehrere Einschusslöcher dazu. Es war bereits der vierte Schusswaffenangriff innerhalb eines Monats auf das Unternehmen. Von insgesamt sieben Filialen in der Hauptstadt wurden drei beschossen, eine gleich zweimal.

Nicht nur die Polizei geht von einem Zusammenhang aus, auch die türkischen Fahrschulbetreiber berichteten der "Bild"-Zeitung, seit Wochen massiv bedroht zu werden. Dabei geht es offenbar um die Zahlung von Schutzgeld. Eine Form der Erpressung, bekannt als Einkommensquelle der italienischen Mafia und anderer Verbrechergruppen. Diese kann sich auch abseits von Geldzahlungen äußern, etwa wenn den Opfern Güter von einem bestimmten Zulieferer oder die Anstellung eines Mitarbeiters aufgezwungen werden. In welchem Ausmaß das in Deutschland praktiziert wird, darüber gibt es kaum Informationen.

Das liegt zum einen daran, dass Schutzgelderpressung kein eigener Straftatbestand ist. Die Polizei zählt das Phänomen zwar zum Tätigkeitsbereich der organisierten Kriminalität in Deutschland, in den Kriminalstatistiken werden die Fälle zumeist aber als Nötigung oder räuberische Erpressung eingeordnet, je nach Vorgehen der Täter. Explizit benannt wurden in den vergangenen Jahren nur einzelne Fälle.

Dunkelziffer ist hoch

Experten und Ermittlern zufolge existiert aber eine deutlich höhere Dunkelziffer, weil kaum ein Fall angezeigt wird. Oftmals aus Angst vor den Tätern oder aus mangelndem Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden. Auch kann es vorkommen, dass Betroffene selbst in kriminelle Aktivitäten verwickelt sind und sich deshalb nicht an die Polizei wenden, zum Beispiel im Rotlichtmilieu. Mit Blick auf das große Dunkelfeld sei von einer "konstanten Entwicklung dieser Kriminalität" auszugehen, teilte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Anfrage von ntv.de mit.

In einigen Branchen wie der Gastronomie oder dem Sexgewerbe "zahlen sehr viele an irgendwen", sagte ein anonymer Ermittler dem "Tagesspiegel". In der überwiegenden Zahl der Fälle seien keine Strafanzeigen oder Aussagen von Geschädigten zu erwarten. "Wer in bestimmten Straßen - selbst in der City West - ein großes Restaurant hat, aber nicht selbst zu einer der tonangebenden Familien gehört, wird in vielen Fällen vierstellige Summen im Monat zahlen", zitiert die Zeitung den Beamten.

Hinweise auf die Verbreitung gibt eine der wenigen Studien zum Thema: Im Jahr 2018 führte das Portal Immoscout24 eine Befragung unter 120 Gewerbetreibenden durch. 18 Prozent gaben an, schon einmal mit Schutzgeldforderungen konfrontiert gewesen zu sein. Die Umfrage ist nicht repräsentativ. So sind es vor allem Einzelfälle, die an die Öffentlichkeit kommen.

Aktuell besonders betroffen scheint Berlin zu sein. Dort nahm die Polizei im April vier Mitglieder einer bekannten arabischen Großfamilie fest. Die Männer sollen einen Geschäftsmann über einen Zeitraum von einem halben Jahr aufgefordert haben, Schutzgeld zu bezahlen, um "unangenehme Überraschungen" zu vermeiden. Sie drohten unter anderem damit, sein Geschäft in Brand zu setzen oder zu wissen, wo das Kind des Opfers zur Kita geht, teilte die Staatsanwaltschaft mit. 40.000 Euro habe der Mann den Erpressern gezahlt.

Dalton-Bande verlangt "Schutzzölle"

In einem weiteren Berliner Fall wurden Anfang des Monats drei Männer türkischer Staatsangehörigkeit zu Haftstrafen verurteilt. Sie sollen der Dalton-Bande angehören, einer aus der Türkei agierenden mafiaähnlichen Organisation, benannt nach Revolverhelden aus dem Wilden Westen. Die Gruppe hat nach Überzeugung des Gerichts versucht, leitende Mitarbeiter der türkischen Supermarktkette Eurogida zu erpressen. Dabei verlangten sie "Schutzzölle" von bis zu einer halben Million Euro. Sie drohten mit der Sprengung von Filialen und ihren Opfern mit dem Tod. Auf zwei Berliner Supermärkte wurde geschossen. Geld soll keines geflossen sein.

Das Anti-Mafia-Projekt Echolot hat - auch aus Mangel an empirischer Forschung - die mediale Berichterstattung über Schutzgelderpressung ausgewertet. Demnach gibt es seit den 1990er Jahren Berichte über das Phänomen in Deutschland. Zunächst wurden insbesondere Gastronomen aus der italienischen Community von der italienischen Mafia erpresst. Wer nicht darauf einging, dessen Lokale wurden in Brand gesetzt.

Inzwischen sei das Betroffenenfeld erweitert. "Folgt man der medialen Berichterstattung, so sind besonders Restaurants und Kneipen, Blumenläden, Bordelle und Swingerclubs stark betroffen. Darüber hinaus tauchen aber auch weitere Gewerbe - Kioske, Friseurbetriebe, Nagelstudios, Tattoostudios, Glücksspielgewerbe, Saunen und Hostels - auf", schreiben die Autoren. Laut der Gewerkschaft der Polizei ist Schutzgelderpressung eher in Bargeld geprägten Bereichen zu erwarten, beispielsweise in Diskotheken, Lebensmittelbetrieben, Gaststätten oder Shisha-Bars.

Rocker und Clans im Fokus

Als Täter ausgemacht oder vermutet wird demnach die gesamte Bandbreite der organisierten Kriminalität: Rockergruppen wie die Hells Angels, Mafiaorganisationen unterschiedlicher ethnischer Gruppen und sogenannte Familienclans. Diesen Zusammenhang bestätigt auch die GdP. "Oft stellt die Polizei dieselben Täter oder Beschuldigten fest", hieß es zudem.

Die Dalton-Bande etwa erhebt offenbar eine Art Anspruch auf türkische Gewerbetreibende in Deutschland. Auch ein Mitarbeiter der beschossenen Fahrschule sagte anonym der "Bild"-Zeitung, er vermute die Gruppierung hinter den Taten. Die Erpressung laufe wie folgt ab: "Es beginnt damit, dass plötzlich eine unbekannte Nummer bei uns anruft. Dann wird auf Türkisch eine Nachricht hinterlassen - Inhalt: die Aufforderung, sofort zurückzurufen. Nicht als Bitte gemeint, sondern unmissverständlich und drohend." Das Unternehmen habe nicht reagiert, daraufhin habe es einen Schusswaffen-Anschlag gegeben. Und den nächsten Anruf: "Wir wissen, wo ihr wohnt, und wir kennen die Namen eurer Kinder."

Die Berliner Polizei reagierte auf die Vorfälle mit einem öffentlichen Aufruf. Die Ermittler seien sich sicher, dass gewalttätige Personen oder Gruppen derzeit vermehrt Gewerbetreibende in Bedrängnis bringen oder ihnen konkret Gewalt androhen. Um Geld zu fordern oder ihnen Nachteile "in irgendeiner Art und Weise" zuzufügen. Betroffene sind gebeten, sich bei der Polizei zu melden, auch vertraulich. Untertitelt ist das X-Video in Englisch, Türkisch, Russisch und Arabisch.

Den Angaben der GdP zufolge geht die Polizei durch Aufklärungsarbeit bei den Gewerbetreibenden und Handelsverbänden gegen Schutzgelderpressung vor. Außerdem gebe es Meldeportale und gemeinsame Kontrollaktionen mit der Gewerbeaufsicht.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) in Schleswig-Holstein warnt indes davor, auf Erpressungsversuche einzugehen. Betroffene sollen sich an die Polizei wenden, oder an Mitarbeiter der IHK. Das sei vertraulich und an einem neutralen Ort möglich. Ansonsten bestehe die Gefahr, sich in eine "blutsaugerische Umklammerung" zu begeben.

Quelle: ntv.de

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