Social Freezing Wenn der Kinderwunsch auf Eis gelegt wird
02.03.2020, 18:35 Uhr
Die entnommenen Eizellen werden bei minus 196 Grad Celsius gelagert. Günstig ist das aber nicht.
(Foto: REUTERS)
Ist mit Mitte 30 der richtige Partner noch nicht in Sicht oder bedroht eine Chemotherapie die Fruchtbarkeit, können sich Frauen Eizellen entnehmen und für einen späteren Zeitpunkt einfrieren lassen. Doch wie lange kann das Muttersein verschoben werden?
Sara ist 33, als ihre Ehe in die Brüche geht. "Wenn ich noch verheiratet gewesen wäre, hätte ich mich in diesem Alter für Kinder entschieden", sagt sie. Aber sie ist nun mal frisch geschieden und will sich nicht direkt "auf den nächsten Mann stürzen". Das Thema Kinder abschließen will sie aber auch nicht. Also führt ihr Weg in ein Kinderwunschzentrum in Zürich. Dort lässt sie sich Eizellen entnehmen und einfrieren - und mit ihnen die Fruchtbarkeit einer Anfang 30-Jährigen. Irgendwann sollen die Zellen wieder aufgetaut, befruchtet und eingesetzt werden. Wenn der richtige Partner dann da ist, wenn es mit dem Kinderkriegen auf natürlichem Wege aber vielleicht schon schwierig wird.
Social Freezing nennt sich dieses Verfahren, Mediziner sprechen auch von Kryokonservierung. "Man kauft sich einfach mehr Zeit, es ist eine Art Versicherung, sich alle Optionen offen halten zu können", sagt Sara jetzt, drei Jahre später. "Männer können sich mit dem Kinderkriegen schließlich auch Zeit lassen. Warum nicht auch wir Frauen?"
Das Thema Social Freezing poppt vor fünf Jahren erstmals in der breiten Öffentlichkeit auf, als bekannt wird, dass Unternehmen wie Google und Facebook bezahlen, wenn Mitarbeiterinnen ihren Kinderwunsch wortwörtlich auf Eis legen. Auch in Deutschland erlebt das Verfahren damals einen kleinen Boom, sagt Andreas Jantke, der als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe für die Kinderwunschärzte Berlin arbeitet. Etwa 50 Fälle von Social Freezing betreut er im Jahr. Nimmt man die 130 Zentren in Deutschland zusammen, könne man auf etwa 5000 Fälle kommen, schätzt der Arzt. Offizielle Zahlen gibt es nicht.
Nicht in allen Fällen handelt es sich aber um eine Lifestyle-Entscheidung. Etwa die Hälfte der Patientinnen, sagt Jantke, lässt Eizellen wegen einer Krebserkrankung und einer damit verbundenen möglicherweise unfruchtbar machenden Chemotherapie einfrieren. "Das wird gerne als Medical Freezing bezeichnet, es ist aber de facto das Gleiche", sagt er. Die Karrierefrau, die einfach noch keine Zeit für die Familienplanung findet, sei dagegen selten. Auch bei Sara, die eigentlich anders heißt und in Zürich in der Finanzbranche tätig ist, spielte das keine Rolle. Social Freezing ist deshalb auch kein passender Name, findet sie. "Das impliziert, dass man sich aus Lifestyle-Gründen dafür entscheidet, dass man sich einfach noch nicht von seiner Karriere oder seinem Partyleben verabschieden kann."
Frauen kommen oft zu spät zum Arzt
Medizinisch notwendig ist das Einfrieren in solchen Fällen trotzdem nicht. Und: Die Frauen kommen tendenziell zu spät zum Arzt. "Idealerweise empfiehlt es sich, zwischen 25 und 30 Jahren einzufrieren, weil die Qualität und Quantität der Eizellen dann noch besser ist", sagt Jantke. "90 Prozent sind aber Ende 30 oder Anfang 40, wenn sie zu uns kommen." Häufig hätten die Patientinnen eine gescheiterte Partnerschaft hinter sich. Oder sie merkten, dass sich der passende Partner einfach nicht finden lässt. "Dann soll noch schnell die Fertilität gesichert werden. Das kann funktionieren. Aber ideal ist anders."
Denn die eingefrorenen Eizellen haben laut Jantke eine ähnlich hohe Schwangerschaftsrate wie frische Eizellen im entsprechenden Alter. Während eine Mitte 20-Jährige bei einer künstlichen Befruchtung mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 40 Prozent schwanger werde, seien es bei einer 40-Jährigen nur noch 25 bis 30 Prozent und bei einer 43-Jährigen nur noch 15 Prozent, während gleichzeitig die Fehlgeburtsrate ansteige.
Tausende Euro für ein paar Zellen
Als Sara nach ihrer Eizellenentnahme die Klinik verlässt, fühlt sie sich aber erst einmal gestärkt und erleichtert. "Empowert" nennt es die 36-Jährige, die sowohl die Schweizer als auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt. "Eine Scheidung wünscht sich niemand", sagt sie. "Aber nach der Eizellenentnahme fühlte ich, dass ich wieder die Kontrolle über mein Leben habe, dass ich wieder selbst entscheiden kann." Mit Familie und Freunden spricht sie offen über den Eingriff. Erklären, warum sie sich für den Schritt entschieden hat, muss sie immer wieder. Anschließend ist das Verständnis aber groß.
Damit sich das Einfrieren von Eizellen überhaupt lohnt, brauchen Mediziner mindestens 20 davon. Deshalb spritzt sich die Patientin zwei Wochen lang Hormone, die die Eierstöcke stimulieren - im besten Fall reifen dann viele Eier gleichzeitig heran. Ob das tatsächlich der Fall ist, kann vorher mit dem Anti-Müller-Hormon getestet werden. "Man muss sich schon überlegen, ob es sich lohnt, ein paar Tausend Euro auszugeben, wenn am Ende nur zwei Eizellen dabei herauskommen", gibt Jantke zu bedenken. Während der Stimulation der Eierstöcke kann es zu Unterbauchziehen, emotionalen Schwankungen und einem erhöhten Thromboserisiko kommen. "Ovarielle Hyperstimulation kann man heute mit bestimmten Medikamenten aber gut vermeiden", sagt Jantke. Auch Sara hat abgesehen von einem aufgeblähten Bauch keine Probleme.
Die Eizellen werden schließlich unter Vollnarkose entnommen und eingefroren. Dabei wird ihnen das Wasser entzogen - die entstehenden Eiskristalle würden die Zelle sonst zerstören. Bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff gekühlt sind sie dann theoretisch unendlich lange haltbar. Praktisch weiß das natürlich keiner, schließlich ist die Methode relativ neu. In der Schweiz kommt noch eine strikte Rechtslage hinzu: Hier werden die Eier nach zehn Jahren zerstört, ganz gleich, in welchem Alter sie der Frau entnommen wurden. Und Singlefrauen oder Frauen in einer lesbischen Beziehung dürfen die Eizelle erst gar nicht auftauen und mit einer Samenspende befruchten lassen. Ohne Mann keine aufgetaute Eizelle, das ist die Regel. "Das ist schon diskriminierend und zeigt, wie konservativ das Rollenbild hier noch ist", sagt Sara. Am Ende entscheidet sie sich dennoch für den Schritt.
Wie alt ist zu alt?
Günstig ist das Entnehmen, Einfrieren, Lagern und Wiedereinsetzen der Eizellen nicht. 2000 Euro kosten in Deutschland allein die Medikamente zur Stimulation der Eierstöcke, rund 3000 Euro die Entnahme der Eizellen. Anschließend fallen pro Jahr etwa 300 Euro Lagerkosten an und etwa 2500 Euro, um die Eizellen anschließend wieder befruchten und einsetzen lassen - ohne Garantie auf eine Schwangerschaft. Bei Krebspatientinnen werden die Kosten seit Kurzem aber übernommen: Im vergangenen Frühjahr verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, nach dem erkrankte Frauen bis zum 39. und Männer bis zum 50. Lebensjahr durch die Krankenkasse finanziert Eizellen oder Spermien einfrieren lassen können. Das Gesetz greift dann, wenn das Risiko besteht, dass die Patienten durch Bestrahlung oder Chemotherapie unfruchtbar werden. Andere Menschen, die etwa aufgrund einer Stoffwechselkrankheit damit rechnen müssen, früh unfruchtbar zu werden, werden bislang nicht finanziell unterstützt.
Doch es gibt auch Kritik am Social Freezing. Man wiegt die Frauen in Sicherheit, obwohl es keine Garantie für eine Schwangerschaft ist. Man schiebt die biologische Zeit des Schwangerwerdens immer weiter nach hinten, riskiert Komplikationen, die mit fortschreitendem Alter auftreten. "Da mögen die Kritiker auch ein bisschen recht haben", sagt Jantke. Die Schlüsselfrage: Bis zu welchem Alter führt man einen Embryotransfer durch? In Deutschland gibt es kein Gesetz, das darauf eine Antwort gibt. Theoretisch kann sich selbst eine über 60-Jährige jüngere Eizellen einsetzen lassen, das liegt ganz im Ermessen des Arztes. Aber: "Nicht alles, was medizinisch machbar ist, muss man auch durchführen", sagt Jantke. Persönlich hält er einen Embryotransfer bis Mitte 40 für vertretbar - zu diesem Zeitpunkt würde es auch auf normalem Wege gelegentlich zu einer Schwangerschaft kommen. "Es geht ja nicht nur darum, die Frau schwanger zu machen, sondern auch darum, dass mit zunehmendem Lebensalter der Frau auch vermehrt Schwangerschaftskomplikationen auftreten."
Für viele Frauen scheint Social Freezing ohnehin nur ein Backup zu sein. Denn: Es werden weit mehr Eizellen eingefroren, als später auch abgerufen werden. "In unserem Zentrum können wir die Patientinnen fast an einer Hand abzählen, die aktiv auf ihre eingefrorenen Eizellen zurückgegriffen haben", sagt Jantke. "Nur weil jemand seine Eizellen einfrieren lässt, heißt das ja nicht, dass es nicht doch noch auf natürlichem Wege klappt." Manchmal kommt dann eben doch rechtzeitig der richtige Partner um die Ecke, verschwindet der Kinderwunsch, klappt es trotz Chemotherapie mit dem Nachwuchs. Auch Sara weiß noch nicht, ob sie ihre Eizellen irgendwann auftauen lassen wird. Ihr Kinderwunsch ist nicht einmal besonders stark ausgeprägt. "Aber ich wollte mir einfach alle Optionen offen halten", sagt sie. Den Kopf freibekommen, die Gedanken nicht mehr ständig um das Thema kreisen lassen. Durch das Social Freezing, sagt sie, ist ihr das gelungen.
Quelle: ntv.de