Mangel, Skepsis und Unsicherheit Afrikas steiniger Weg beim Corona-Impfen
24.04.2021, 19:00 Uhr
Ghana hat immerhin seine Impfkampagne begonnen.
(Foto: REUTERS)
Die Impfkampagnen auf dem afrikanischen Kontinent verlaufen quälend langsam. Lieferengpässe sind auch hier das Hauptproblem, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die wenigen gelieferten Impfdosen sind extrem kurz haltbar. Das stellt den Kontinent vor organisatorische Schwierigkeiten und bestärkt Impfskeptiker.
Das Ziel ist extrem niedrig gesteckt. Die WHO will bis Ende des Jahres 20 Prozent der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent mithilfe des Solidaritätsprogramm Covax gegen das Coronavirus impfen. Das wären rund 260 Millionen Menschen und entspricht rund einem Drittel der europäischen Bevölkerung. Also keine Mammutaufgabe, könnte man denken, wenn auch alles andere als ausreichend. 20 Prozent sind weit von einer Herdenimmunität entfernt. Doch selbst dieses niedrig gesteckte Ziel für Afrika droht zu scheitern. Ein beschämendes Bild zu Beginn der Weltimpfwoche, die heute beginnt.
"Lieferengpässe sind das größte Problem", sagt die WHO-Regionaldirektorin für Afrika, Matshidiso Moeti. Ein Großteil der Impfstoffe für Afrika werden im Serum Institute von Indien hergestellt, vor allem das kostengünstige Vakzin von Astrazeneca. "Indien erlebt derzeit eine heftige dritte Infektionswelle und impft deshalb derzeit vorwiegend die eigenen Bürger", so Moeti. Anfang Mai hoffe man auf eine Entspannung und die Wiederaufnahme der indischen Impfstofflieferungen für Afrika. Das ist eine überaus optimistische Einschätzung, wenn man die rekordbrechenden Infektionszahlen der vergangenen Tage in Indien betrachtet. Ohne die Lieferungen des Serum Institute ist das 20-Prozent-Ziel für Afrika in Gefahr.
47 afrikanische Länder haben bisher 34,7 Millionen Dosen Corona-Impfstoff in Eigeninitiative und auf eigene Kosten erhalten. Der WHO-Solidaritätsfond Covax stellte bisher 18,3 Millionen Dosen für 41 Länder zur Verfügung.
Die Mär von den Impfversuchen
Südafrika, das auf dem Kontinent am schwersten betroffene Land, hat eine frühe Covax-Lieferung von einer Million Dosen des Astrazeneca-Impfstoffs abgelehnt, weil dessen Schutz gegen die sogenannte südafrikanische Mutation extrem niedrig ist. Die Lieferung wurde an die Afrikanische Union verkauft und an die bedürftigsten Nationen verteilt, wie das westafrikanische Sierra Leone.
Jedes Mal, wenn Deutschland, die USA oder Großbritannien Impfungen mit einem Corona-Vakzin wegen möglicher gesundheitlicher Schäden aussetzt, seufzt Austin Demby in seinem Büro im weit entfernten Freetown in Sierra Leone tief. "Das wirkt sich so sehr auf unsere Arbeit aus", sagt der hochdekorierte Virologe und Epidemiologe. Demby hat viele Jahre in hoher Position für das US-Gesundheitsministerium gearbeitet. Seit Januar ist er Gesundheitsminister in seinem Heimatland Sierra Leone. "Ich glaube, der Rest der Welt weiß nicht, wie lange es auch hier gedauert hat die Menschen zu überzeugen, dass Corona-Impfstoffe sicher sind. Sie sind nicht nur zögerlich, sie sind skeptisch." In Sierra Leone wird derzeit neben Astrazeneca auch mit dem chinesischen Vakzin Sinopharm geimpft. In der zweiten Maiwoche beginnt das Land zudem mit der Verimpfung von 5000 Johnson&Johnson-Dosen. Drei Impfstoffe, und jeder hat ein eigenes Imageproblem. Das beflügelt die Skeptiker.
51.000 Menschen haben bisher in Sierra Leone die erste Impfdosis bekommen, 5000 sind komplett geimpft. Zusammen sind das nur 0,7 Prozent der Bevölkerung. Viele Bürger in Sierra Leone glaubten immer noch, so Demby, Corona-Impfungen seien ein riesiges Experiment, das reiche Nationen an Afrikanern durchführen.
"Ohne Zweifel haben die Probleme mit den Impfstoffen auch in Afrika Einfluss auf die Impfbereitschaft der Menschen", so WHO-Regionaldirektorin Moeti. Auch hier verbreiten soziale Medien rasant jede Nachricht über Thrombosetote und Impfstopps in Europa und den USA. "Jedes Mal, wenn sich das Protokoll ändert, müssen wir wieder viel Zeit in Aufklärung investieren", erklärt Minister Demby.
Schlimmer als Ebola?
Dabei weiß buchstäblich jedes Kind in Sierra Leone, wie tödlich Viren sind. Das westafrikanische Land hat einen der schlimmsten Ebolaausbrüche erlebt. 4000 Tote gab es, 14.000 Infizierte. Die Gefahr ist wegen des derzeitigen Ausbruchs im Nachbarland Guinea weiterhin akut. Die Hygieneregeln zur Verhinderung einer Ebola- und Corona-Infektion sind weitgehend gleich, bis auf das Tragen von Masken. Auch gegen das Ebolavirus gibt es inzwischen eine Impfung.
"Wir sind in einer besonderen Situation", so Gesundheitsminister Demby. "Anfangs dachten die Menschen hier, Covid-19 würde so schlimm werden wie Ebola-Erkrankungen, aber die Zahlen sind viel niedriger und deshalb nehmen viele eine Coron-Infektion nicht so ernst und tragen keine Masken." Und eine Corona-Impfung wirkt im Schatten von Ebola fast unnötig.
Haltbarkeit schon abgelaufen?
In diesen Tagen zeigt sich eine weitere Schwierigkeit. Ein Großteil der von Covax bisher gelieferten Astrazeneca-Impfdosen kommen am Ende ihrer sechsmonatigen Haltbarkeit in Afrika an." Die Dosen, die wir von Covax bekommen haben, waren bei ihrer Ankunft nur noch einen Monat haltbar", erklärt Demby. Die von Südafrika abgelehnten, neu verteilten Dosen liefen schon am 13. April aus. Gambia hat es geschafft, sie vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums zu verimpfen, Ghana gelang das bei 95 Prozent. Andere Nationen wie Sierra Leone waren nicht so schnell.
Das Land verlässt sich daher auf die Versicherung des Herstellers, des Serum Institute, dass die Wirksamkeit auch drei Monate über das Haltbarkeitsdatum hinaus garantiert werden kann. "Wir mussten ganz schön wirbeln, um selbst in diesem Zeitraum so viele Impfungen wie möglich durchzuführen. Ein Drittel der Lieferung werden wir nicht rechtzeitig einsetzen können", bedauert Gesundheitsminister Demby. Besonders kompliziert ist die Abwägung, ob Mitarbeiter im Gesundheitswesen gegen Ebola oder Corona geimpft werden sollen. "Wir haben uns entschieden, das medizinische Personal im Grenzgebiet nur gegen Ebola zu impfen", sagt Demby und schüttelt den Kopf. "Wir wissen einfach nicht, ob es schädlich ist, die beiden Vakzine gemeinsam zu verabreichen."
Während viele afrikanische Nationen wie Angola, Ruanda, Madagaskar und die Zentralafrikanische Republik in den vergangenen Wochen bis zu 20 Prozent mehr Corona-Infektionen hatten, entsteht der Eindruck, dass "veralteter Impfstoff" auf den afrikanischen Kontinent geschickt wird. "Es war extrem schwierig, einer ohnehin skeptischen Bevölkerung zu erklären, warum es sicher ist, sich mit einem ausgelaufenen Produkt impfen zu lassen", sagt Demby.
WHO und Hersteller beschwichtigen. Zumindest wissenschaftlich betrachtet gibt es wohl auch kein großes Problem. "Für neue Produkte wird anfangs immer ein konservatives sechsmonatiges Haltbarkeitsdatum festgesetzt, weil man noch keine Erfahrungen beispielsweise mit dem neuen Impfstoff hat", so Phionah Atuhebwe, verantwortliche Wissenschaftlerin der WHO für die Impfstoffeinführung in Afrika. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme. Kontrollchargen werden von Herstellern regelmäßig auf ihre anhaltende Wirksamkeit untersucht. Alles weist darauf hin, dass Astrazeneca sogar länger als neun Monate haltbar ist. "Das Serum Institute hat die Haltbarkeit schon auf neun Monate verlängert. Die WHO hat nun um mehr Informationen gebeten, um diese und weitere Einschätzungen zu bewerten", so die ugandische Impfwissenschaftlerin und WHO-Immunisierungsexpertin Phionah Atuhebwe.
Bis diese Bewertung erfolgt, rät die WHO afrikanischen Staaten, ausgelaufenen Impfstoff fachgerecht aufzubewahren und ihre Impfkampagnen zu pausieren. Es ist eine weitere Hürde auf dem ohnehin steinigen Weg Afrikas, das Coronavirus wirksam zu bekämpfen.
Quelle: ntv.de