Tod von Mouhamed Dramé Angeklagte Polizisten schweigen in Dortmund
10.01.2024, 15:23 Uhr Artikel anhören
Mouhamed Dramé starb durch Schüsse aus der Maschinenpistole eines Polizisten (Archivbild von Dezember).
(Foto: IMAGO/Cord)
Im Prozess um die tödlichen Polizeischüsse auf einen 16-jährigen Flüchtling in Dortmund verweigern die Angeklagten zunächst die Aussage. Für Irritationen bei den Anwälten der Nebenklage sorgt Richter Thomas Kelm mit unklaren Aussagen.
Der zweite Sitzungstag im Fall des durch Polizeischüsse getöteten Mouhamed Dramé am Landgericht Dortmund endet schnell - und mit verärgerten Anwälten der Nebenklage. Auf dem Sitzungsplan stehen mögliche Aussagen der fünf angeklagten Polizisten. Sie müssen sich für den Tod des 16 Jahre jungen Senegalesen verantworten, der am 8. August 2022 in einer sozialen Einrichtung in der Dortmunder Nordstadt verstarb. Doch sie schweigen, in Abstimmung mit ihren Anwälten. Erst zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens möchten sie sich äußern, heißt es.
Der Fall Dramé hatte zum Prozessauftakt am 19. Dezember für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt. Weil es um so viel mehr geht, als um den verstorbenen unbegleiteten Minderjährigen. Es geht um die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes, es geht um die finanzielle Unterversorgung der Systeme und um möglichen Rassismus, womöglich sogar strukturellen Rassismus, bei der Polizei. So sehen es Mitglieder eines Bündnisses, das sich wie bereits beim Prozessauftakt vor dem Gericht positioniert hat.
Es ist, so erklärt Professor Dr. Thomas Feltes, der Teil der Nebenklage ist, der erste Prozess seit dem Zweiten Weltkrieg, in dem fünf Polizistinnen und Polizisten wegen eines Tötungsdeliktes vor Gericht stehen. Und so ebbt das Interesse an dem Fall kaum ab, wieder ist der Saal voll besetzt. Allerdings ist das massive Polizeiaufgebot, das zum Auftakt um das Gebäude in der Kaiserstraße positioniert worden war, deutlich heruntergefahren worden. Weil sich die Kontrollen der Besucher hinziehen, beginnt auch der zweite Verhandlungstag mit Verspätung.
Erste Aussagen der Polizisten nicht verwertbar?
In der kommenden Woche soll mit der Beweisführung begonnen werden. Ob dabei die ersten Aussagen der Beamtinnen und Beamten unmittelbar nach dem missglückten Einsatz verwertet werden dürfen, ist noch unklar. Womöglich kommt es zu einem Verbot der Beweisführung. Weil die Angeklagten zunächst als Zeugen befragt worden waren und eben nicht als das, was sie nun sind: Angeklagte nämlich.
Den Anwälten der Nebenklage, Lisa Grüter und Professor Feltes, leuchtet das nicht ein. Grüter beklagt, dass die fünf Polizistinnen und Polizisten um ihre Rechte gewusst hätten, auch im Falle der Vernehmung als Angeklagte. "Sie klären andere ja täglich darüber auf." Sollte das Verbot erlassen werden, dürften die bisherigen Aussagen der fünf Polizistinnen und Polizisten im Prozess nicht mehr verwendet werden.
In einer Pressemitteilung vor dem zweiten Verhandlungstag hatten die Anwälte der Nebenklage ihre Sicht erklärt. "Ein Beweisverwertungsverbot würde den Angeklagten die Möglichkeit geben, ihre im Eindruck der Tatnacht getätigten Aussagen mit dem Wissen der heutigen Ermittlungsergebnisse bewusst oder unbewusst anzupassen und eine vorher nie geäußerte Notwehr - oder Nothilfesituation zu behaupten." Für eine Notwehr müsste, so erklärte Richter Kelm, bewiesen werden, dass der getötete Dramé zuvor rechtswidrig gehandelt habe.
Noch ist aber nicht geklärt, wie die Kammer um den leitenden Richter Thomas Kelm entscheidet. Am ersten Prozesstag hatte Kelm verkündet, dass die Aussagen als Zeugen nicht verwertet werden können. An diesem Mittwoch widersprach er auf Rückfrage von Grüter, dass das eine Anordnung gewesen sei. Er habe das lediglich im Zuge der Belehrung der Angeklagten gesagt. Das sorgte für reichlich Unmut bei der Nebenklage. Feltes gestand, "stinkesauer zu sein". Er beklagte eine unsaubere und kryptische Führung der Verhandlung. Vonseiten des Richters brauche es mehr Seriosität und Respekt. Gerade bei einem Prozess dieser Dimension. Er nannte es für alle Beteiligten "unzumutbar", nicht zu wissen, wie Programm und Ablauf seien. Ob daraus Konsequenzen abgeleitet werden, ist noch nicht klar.
Nebenklage-Anwalt lobt gründliche Ermittlungen
Derweil lobte der Professor, der lange an der Ruhr-Universität Bochum lehrte, wo einer seiner Schwerpunkte das Thema Polizeigewalt ist, die Ermittlungen, die von der Polizei Recklinghausen durchgeführt worden waren. "Das wurde sehr gründlich gemacht, da spielen wir in der Champions League." Auf dieser Basis lasse sich der Fall eigentlich gut verhandeln. Bekannt ist bislang, dass Dramé im Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung mit fünf Schüssen aus der Maschinenpistole eines Polizisten erschossen wurde.
Die Beamtinnen und Beamten waren gerufen worden, weil der 16-Jährige mit einem Messer hantiert hatte, in der Absicht, sich selbst zu töten. Weil er auf Ansprache in Deutsch und Spanisch nicht reagierte, soll ihn eine Beamtin auf Anordnung ihres Vorgesetzten mit Pfefferspray besprüht haben. Als er sich daraufhin aufrichtete und in Richtung der Beamten bewegte, soll er zunächst mit Taser-Stromstößen beschossen worden sein, bevor keine Sekunde später Schüsse aus der Maschinenpistole fielen. Dem Todesschützen Fabian S. drohen bis zu zehn Jahre Haft. Auch dem Dienstgruppenleiter Thorsten H. droht unter bestimmten Umständen eine vergleichbare Strafe. Wenn etwa nachgewiesen werden könne, dass er seinen jungen Kollegen angestiftet hatte. Oder wenn er es unterlassen habe, bei entsprechender Möglichkeit einzugreifen.
Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Am nächsten Verhandlungstag soll die Befragung der Zeugen beginnen. Geladen sind Mitarbeiter der Einrichtung, in der Dramé lebte. Die liegt in der Dortmunder Nordstadt, einem multikulturellen Viertel der Metropole. Laut Grüter werden dann auch zwei Familienmitglieder des getöteten Senegalesen anwesend sein: Die Visa für zwei seiner Brüder seien zugesagt. Sie wollen in der nächsten Woche anreisen.
Quelle: ntv.de