Federle zieht Bilanz in Tübingen "Auch bei uns steigen die Zahlen"
30.03.2021, 16:47 Uhr
Manche Menschen in Tübingen halten sich nicht an die Regeln, beobachtet Lisa Federle.
(Foto: dpa)
Das Modellprojekt in Tübingen ist bundesweit bekannt. Doch nun steigen auch dort im Zuge der dritten Corona-Welle die Fallzahlen. Im ntv-Interview erklärt Notärztin Lisa Federle, warum auch ein flächendeckendes Testen keine Garantie ist. Sie mahnt: Die Menschen müssen mitmachen.
ntv: Es liegt jetzt eine erste Bilanz des Tübinger Modells vor, was sind die wichtigsten Ergebnisse?
Lisa Federle: Wichtige Erkenntnisse sind, dass insgesamt die Zahlen steigen, auch bei uns in Tübingen. Noch eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Menschen teilweise sich auch wirklich nicht an die Regeln halten. Das heißt, ich war in der Stadt, ich habe gesehen, dass viele keine Maske getragen und sich auch nicht an die Abstandsregeln gehalten haben. Das bedeutet, wir müssen stärker kontrollieren und auch mehr Einschränkungen machen. Aber es ist auch eine positive Bilanz insofern, dass ich sagen muss, ich finde es gut, dass wir so viel testen. Wir haben mit Sicherheit die niedrigste Dunkelziffer überhaupt in Deutschland und dadurch eine relativ realistische Zahl darüber, was bei uns gerade passiert.
Konnten Sie während des Testens eigentlich Leute aufspüren, die asymptomatisch sind?
Ja, natürlich. Einer von 1000 ist positiv im Schnitt. Und wir haben mindestens 40.000 Tests letzte Woche gemacht. Das können Sie sich ausrechnen: Wir haben 40 Positive rausgeholt.
Umgekehrt ist es auch so, dass diese Tests keine hundertprozentige Sicherheit geben und nur eine Momentaufnahme sind. Haben Sie auch schon Erkenntnisse darüber, ob Leute falsch negativ getestet wurden und sich dann frei bewegt haben in Tübingen und möglicherweise eine Ansteckungskette ausgelöst haben?

Dr. Lisa Federle ist Notärztin, DRK-Präsidentin in Tübingen und Pandemiebeauftragte des Landkreises.
(Foto: ntv)
Das haben wir noch nicht, denn dieses Projekt wird erst seit circa acht Tagen wissenschaftlich begleitet. Das wäre also wirklich viel zu früh zu sagen. Selbst wenn einer jetzt im Schnelltest negativ ist, könnte er dann morgen ja positiv sein. Das heißt, das muss man erstmal zurückverfolgen und genau recherchieren. So einfach sind leider die wissenschaftlichen Begleitungen auch nicht und ein paar Tage brauchen die auch Zeit. Wir haben vor, erste Ergebnisse so schnell wie möglich mitzuteilen. Was für mich aber auch ganz klar an diesem Projekt ist, was ich immer wieder nur betonen kann: Wir sollten jetzt anfangen, möglichst in ganz Deutschland, bestimmte Teststellen aufzubauen, damit die Leute sich an dieses Thema gewöhnen können. Das hat gar nichts damit zu tun, dass man dann lockern kann und, und, und ... Sondern grundsätzlich müssen wir uns überlegen: Es wird so schnell nicht vorbei sein mit dem Virus. Wir werden auch durch die Impfungen nicht so schnell alle impfen können, dass wir wieder totale Freiheiten haben, weil wir nicht wissen, wann erneut geimpft werden muss. Also wann die Impfung wiederholt werden muss. Und wir werden nicht die ganze Welt auf einmal impfen können.
Es hat sich in der öffentlichen Meinung irgendwie eingeschlichen, dass man denkt, wenn man so ein Testmodell durchführt, dann könnte man auch wieder lockern. Das, sagen Sie aber, sollte man nicht tun, weil jetzt wieder die Zahlen exponentiell steigen.
Also, wenn die Zahlen so hoch sind, dann ist es schwierig. Ich finde es gut, dass wir in Tübingen Pilotprojekt sind, aber auch bei uns steigen die Zahlen. Ich glaube, wenn sie eine Inzidenz von 200 oder 300 haben, ist es wirklich zu schwierig, so etwas, auch ohne dass wir jetzt belastbare Zahlen und Daten haben, einfach zu riskieren. Wenn sie niedrige Zahlen haben, dann sehe ich das anders. Dann kann man dieses Projekt auch auf die Beine stellen. Aber das muss auch schon geplant sein. Sie brauchen Kontrolle beispielsweise. Sie können das nicht einfach frei laufen lassen und Sie müssen die Menschen auch ans Testen heranführen, die müssen auch mitmachen. Nur als Beispiel: Wir testen ja nicht jeden. Wir haben in Tübingen Leute, die durchaus nach Tübingen hereinkommen und einen Kaffee to go holen und sich auf die Kirchentreppe setzen und dann da ohne Mundschutz sitzen. Die können wir gar nicht kontrollieren mit Tests. Insofern müssen wir schon die Menschen mitnehmen und ich glaube, es ist ganz wichtig, wenn man das jetzt umsetzt, das nicht gerade dann zu tun, wenn man in der höchsten Krise der großen Welle ist.
Können Sie sich vorstellen, dass auch Tübingen dieses Modell bald wieder einstampfen muss, weil die Zahlen zu sehr nach oben gehen?
Natürlich kann das rauskommen. Ich bin Ärztin und nicht Unternehmerin. Für mich ist das Allerwichtigste, dass die Menschen geschützt sind. Ich habe im November damit angefangen und wir hatten danach durch dieses konsequente Testen mit die niedrigste oder die niedrigste Inzidenz in Baden-Württemberg. Das heißt, der Ursprung des Gedankens ist für mich schon der, möglichst viele zu erkennen und die dann in Quarantäne zu schicken, damit die niemanden anstecken. Und der Ursprung des Gedankens ist sekundär, dass die Menschen wieder einen Lebensmut entwickeln, eine Chance haben, zu leben. Dass die ganzen Firmen und Geschäfte nicht in die Existenznot kommen, das ist natürlich ein Grund. Dass die Menschen nicht so depressiv sind, nur zu Hause sitzen und niemanden mehr sehen, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Aber natürlich nicht um den Preis, dass andere dafür dann sterben in Massen. Das geht nicht.
So wie Sie das schildern, ist es eigentlich notwendig, dass zusätzlich zu diesen Tests auch eine vernünftige, flächendeckende Kontrolle entsteht. Wie kann man das umsetzen?
Da ich keine Verkehrsbeamtin bin, sondern Medizinerin und für solche Sachen nicht zuständig, überlasse ich das der Stadt. Ich habe das bereits mit Boris Palmer diskutiert, denn ich sehe ein Projekt dann gefährdet, wenn die Menschen nicht mitmachen. Das Virus verbreitet sich nicht von alleine, es verbreitet sich durch uns Menschen. Das Problem im Moment ist, dass viele jetzt das Gefühl haben, in Tübingen ist alles super. Da gibt es keinen Virus und wir lassen jetzt einfach die Masken weg. Das ist nicht Sinn der Sache! Getestet werden bedeutet nicht, ich kann tun und lassen, was ich will.
Mit Lisa Federle sprach Nina Lammers
Quelle: ntv.de