"Da geht die Motivation flöten" Stiftung beklagt mangelnde Unterstützung im Kampf um Demokratie
14.01.2024, 08:06 Uhr Artikel anhören
"Alle vier Jahre mal wählen - damit wird es in Zukunft nicht getan sein", sagt Lorenz Blumenthaler, Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung.
Der neu angefachte Antisemitismus, eine AfD, die dieses Jahr mehrere Wahlen zu gewinnen droht - die bundesdeutsche Demokratie sollte ihre Abwehrkräfte besser stärken. Doch aus der organisierten Zivilgesellschaft kommen Hilferufe: Die staatliche Unterstützung sei behäbig und unstetig.
Am Mittwoch sorgte ein Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv für Aufsehen: Hochrangige Mitglieder der AfD, Unternehmer und Neonazis hatten gemeinsam die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland geplant. Die "Tagesschau" betitelte ein Video dazu so: "AfD-Politiker treffen Rechtsextreme". Lorenz Blumenthaler kann das nicht verstehen, findet die Überschrift irreführend: "Dass die AfD in weiten Teilen rechtsextrem ist, sollte mittlerweile niemanden mehr überraschen", sagt der Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung im Gespräch mit ntv.de.
Verwundert hat die "Tagesschau"-Schlagzeile Blumenthaler allerdings nicht. Die Bedrohung durch verfassungsfeindliche Kräfte in Deutschland werde seit langem massiv heruntergespielt. Vor allem in den vergangenen 10, 20 Jahren sei nicht wirklich ernst genommen worden, wie verletzlich unsere Demokratie sei, sagt er. Viele hätten es sich in der Demokratie "wie in einem Schlaraffenland" gemütlich gemacht.
Aber: "Alle vier Jahre mal wählen - damit wird es in Zukunft nicht getan sein", sagt Blumenthaler. Wann immer demokratie- oder menschenfeindliche Fantasien geäußert würden, müsse man Widerspruch leisten, auch im privaten Umfeld. "Das sollte uns unsere Demokratie wert sein", findet er.
Finanzierung für 2024 ist noch immer nicht überall sicher
Die Amadeu-Antonio-Stiftung versucht, das demokratische Leben in der Zeit zwischen den Wahlen zu beleben. Sie will eine Kultur fördern, in der sich alle Menschen für ihre Belange einsetzen können. "Das bedeutet in unserer praktischen Arbeit aber auch sehr häufig, sich mit den Gegnern der Demokratie auseinanderzusetzen", sagt Blumenthaler. Mit Menschen, die Rassismus und Antisemitismus verbreiteten, die rechtsextreme Einstellungen hätten und denen die Arbeit der Stiftung ein Dorn im Auge ist.
Blumenthaler sagt, wir müssten uns darüber im Klaren sein, was es für eine Gesellschaft bedeute, wenn mehr als 20 Prozent solche Einstellungen teilten. Dass gerade in einer solchen Situation die Finanzierung der Demokratieförderung auszufallen droht, ist sicher kein gutes Zeichen. Für ihre Arbeit ist die Amadeu-Antonio-Stiftung neben Spenden vor allem auf öffentliche Gelder angewiesen. Dieses zweite Standbein drohte gegen Ende des vergangenen Jahres wegzuknicken. Wegen des nicht gesicherten Bundeshaushalts 2024 blieben Förderzusagen aus. "Wir hätten weite Teile unserer Arbeit einfach einstellen müssen", sagt Blumenthaler.
Das hätte dazu geführt, dass antidemokratische Kräfte sehr viel weniger Gegenwind erfahren hätten, dass einigen Menschen der Angriff auf die Demokratie einfacher gemacht worden wäre und anderen das Abwenden von ihr. Mittlerweile ist die Finanzierung der Projekte der Amadeu-Antonio-Stiftung gesichert, andere Organisationen wie etwa die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt aber warten noch auf Zusagen. Die Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung sollten im vergangenen Jahr gar um ein Fünftel gekürzt werden. Erst nach dem Angriff der Hamas auf Israel und dem folgenden Aufflammen des Antisemitismus wurden die Pläne zurückgezogen.
"Wenn das alles einmal weg ist …"
Demokratische Freiheiten und Privilegien seien die Grundlage dafür, dass Menschen frei von Angst gemeinsam verschieden sein könnten, sagt Blumenthaler. Sie ermöglichten ein friedliches Zusammenleben und sie ermöglichten, dass wir dieses Zusammenleben selbst gestalten könnten. Diese Freiheiten und Privilegien ermöglichten aber auch, dass dieselben eingeschränkt würden.
"Es ist überhaupt kein Problem, alle Privilegien der Demokratie auszuleben und sie gleichzeitig dafür zu nutzen, die Demokratie zu bekämpfen", so der Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung. Bestes Beispiel dafür sei die Alternative für Deutschland - eine Partei, die zwar demokratisch gewählt sei, aber die Staatsform aktiv angreife, die ihren politischen Aufstieg ermöglicht hat.
Die Bundesrepublik ist eine verhältnismäßig junge Demokratie. Die USA zeigen, wie fragil selbst länger bestehende, etablierte Demokratien sein können. Diese Staatsform müsse geschützt und kultiviert werden, immer wieder müsse das Zusammenleben neu verhandelt werden, sagt Blumenthaler. Natürlich könne man sich fragen, warum sollte ich mir diese Mühe machen, wo ich doch in einer funktionierenden Demokratie lebe? Blumenthalers Antwort: "Wenn das alles einmal weg ist, dann ist es meistens nicht so einfach, die Freiheiten und Privilegien wiederzuerlangen, die die Demokratie eigentlich für alle garantiert."
Starre Verwaltung, dynamische Anforderungen
Diese Verteidigungsarbeit ist laut Blumenthaler in Deutschland nicht den Ansprüchen entsprechend organisiert: Die Verwaltung sei zu behäbig, die Verzögerung, mit der auf aktuelle Entwicklungen reagiert werde, zu groß. Das hätten etwa die Verschwörungsfantasien gezeigt, die während der Corona-Pandemie nicht nur unter Impfgegnern und Querdenkern zirkulierten. "Nach der Pandemie hätte im Bereich Verschwörungserzählungen viel, viel mehr passieren müssen. Tatsächlich haben wir das dann erst Jahre danach erlebt", erzählt Blumenthaler. Projekte hätten meist erst eingesetzt, als der Verschwörungsglaube schon gefestigt gewesen sei.
Problem sei der bürokratische Apparat hinter den Projekten, Blumenthaler erklärt das an einem Beispiel: "Niemand hätte zu Beginn des Jahres sich träumen lassen, dass wir so viel mehr Präventionsarbeit im Bereich Antisemitismus brauchen." Es gebe Projekte zum Thema, aber kaum welche zu israelbezogener Judenfeindlichkeit in der Einwanderungsgesellschaft. Die Profis in den Projekten könnten ihre Arbeit anpassen, aber der Rahmen passe sich nicht an. Am Ende würde die Arbeit der Teams an starren Projektzielen gemessen. Was im Moment der Umsetzung wichtig gewesen sei, zähle hier nicht.
Oft versuchten die Menschen in den Projekten dann, die Projektziele zu erfüllen und nebenher auf akute Bedarfe zu reagieren. Blumenthaler wünscht sich hier mehr Beweglichkeit in den Ministerien. Die Verwaltung solle Projektverantwortlichen zugestehen, auf Entwicklungen schnell zu reagieren. "Diese Flexibilität gibt es bisher leider nicht."
"Vielen geht da die Motivation flöten"
Gleichzeitig sei die Finanzierung zu unstetig: Die Unterstützung der Projekte läuft nach mindestens fünf Jahren aus. So zerfielen mühsam aufgebaute Netzwerke, Kontakte rissen ab, die nötige Verstetigung sei oft unmöglich. "Das ist massiv frustrierend, wenn gerade bei so zeitintensiven und langzeitorientierten Themen wie Demokratiebildung und Demokratiearbeit immer wieder Projekte und damit die über Jahre hinweg aufgebaute wegfällt", beklagt Blumenthaler.
Er habe das Gefühl, auch in den Ministerien seien einige Beamte deswegen stark frustriert. Weil auch dort vielen klar sei, wie viel Potenzial verschenkt werde, wie ineffizient das System Ressourcen verwalte.
Für dieses Jahr sieht der Bundeshaushalt erstmal keine Kürzungen bei der Demokratieförderung mehr vor. Dennoch würden manche Projekte nicht mehr finanziert, sagt Blumenthaler. Bei der Amadeu-Antonio-Stiftung betreffe das zum Beispiel den Aufbau eines Netzwerks von Menschen, die sich gegen Hassrede im Internet wehren. Blumenthaler erzählt von Rentnerinnen, die sich ein Jahr lang fortbilden ließen und jetzt ohne Ansprechpartnerin dastünden. "Für ganz viele Leute geht damit auch die Motivation flöten", klagt er.
Quelle: ntv.de