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"Im Sinne eines Masterplans" AfD-Politiker wollen Vertreibung von Deutschen und Ausländern

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In diesem Gästehaus am Potsdamer Lehnitzsee soll das Treffen stattgefunden haben.

In diesem Gästehaus am Potsdamer Lehnitzsee soll das Treffen stattgefunden haben.

(Foto: dpa)

Einem Bericht zufolge waren AfD-Politiker an einem Treffen beteiligt, auf dem ein Vorhaben erörtert wurde, das an den "Madagaskar-Plan" der Nazis erinnert. Die AfD geht auf Distanz. Es handele sich um eine "Einzelmeinung" - obwohl die von einem engen Weidel-Mitarbeiter vertreten wurde.

Bei einem Treffen am Rande von Potsdam haben AfD-Politiker und Rechtsextreme Berichten zufolge über einen Plan gesprochen, Ausländer sowie Deutsche mit Migrationshintergrund aus Deutschland zu vertreiben. Über das Treffen berichtet die Rechercheplattform Correctiv.

Unter den Teilnehmern der Konferenz am Potsdamer Lehnitzsee war demnach der AfD-Fraktionschef im Landtag von Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, außerdem die bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy sowie der ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig, der heute als persönlicher Referent für die AfD-Vorsitzende Alice Weidel tätig ist. Ebenfalls anwesend war Correctiv zufolge unter anderem der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner.

Die AfD distanzierte sich auf Anfrage von ntv und RTL von dem Treffen. "Die AfD wird ihre Haltung zur Einwanderungspolitik, die im Parteiprogramm nachzulesen ist, nicht wegen einer Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin war, abändern", erklärte ein Sprecher. "Herr Hartwig hat dort lediglich auf Einladung ein Social-Media-Projekt vorgestellt, welches er im Aufbau mitbegleitet. Weder hat er dort politische Strategien erarbeitet, noch hat er Ideen eines Herrn Sellner zur Migrationspolitik, von dessen Erscheinen er im Vorfeld keine Kenntnis hatte, 'in die Partei getragen'."

"Gesamtkonzept, im Sinne eines Masterplans"

Damit widerspricht die AfD der Darstellung von Correctiv. Die Rechercheplattform schreibt, in einem Einladungsbrief habe es geheißen, es gebe ein "Gesamtkonzept, im Sinne eines Masterplans", den Sellner vorstellen werde. Der Absender des Briefes ist Gernot Mörig, ein Zahnarzt im Ruhestand aus Düsseldorf, zugleich ehemaliger Chef des Bundes Heimattreuer Jugend (BHJ). Beim Treffen selbst habe Hartwig zugesagt, die inhaltlichen Pläne in die Partei zu tragen, so Correctiv weiter.

Der "Masterplan" hat dem Bericht zufolge als Ziel die "Remigration", also die Umkehrung der Migration. Laut Correctiv sagte Sellner bei der Veranstaltung in Potsdam, es gehe darum, "die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln". Konkret nannte er Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und "nicht assimilierte Staatsbürger". Der Verweis auf diese letzte Gruppe macht den Inhalt des Treffens so brisant - und könnte erklären, warum die AfD so scharf auf Distanz geht.

Dass AfD-Funktionäre ein rechtsextremes Gedankengut pflegen, ist weder neu noch überraschend. In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen stufen die Landesämter für den Verfassungsschutz die jeweiligen Landesverbände der AfD als gesichert rechtsextremistisch ein, die Bundespartei wird vom Bundesamt für den Verfassungsschutz als "Verdachtsfall" betrachtet.

"Angesichts der weiterhin bestehenden inhaltlichen Heterogenität" könnten "nicht alle Parteimitglieder als Anhänger der extremistischen Strömungen betrachtet werden", heißt es zwar im Verfassungsschutzbericht von 2022. Man könne aber davon ausgehen, "dass gegenwärtig schätzungsweise ein extremistisches Personenpotenzial von etwa 10.000 Personen innerhalb der AfD anzunehmen ist". 2022 wären das ein Drittel der AfD-Mitglieder gewesen. In einer Größenordnung von 30 bis 40 Prozent beziffert der Verfassungsschutz auch den Anteil der AfD-Mitglieder, die zum offiziell aufgelösten "Flügel" um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gehören. Höcke gilt in der AfD als sehr einflussreich, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bezeichnete ihn im Interview mit dem "Stern" unlängst als Nazi.

Verfassungsfeindlicher Volksbegriff

Ein Anhaltspunkt für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen liegt für den Verfassungsschutz im Volksbegriff der AfD. "In Verlautbarungen der AfD und ihrer Repräsentanten kommt vielfach ein ethnisch-kulturell geprägtes Volksverständnis zum Ausdruck, welches im Widerspruch zur Offenheit des Volksbegriffs des Grundgesetzes steht", heißt es im Verfassungsschutzbericht.

Ein solches Volksverständnis basiert auf der Annahme, dass die Abstammung die Zugehörigkeit zum Volk definiert. Das Grundgesetz legt dagegen klar fest, dass Deutscher ist "wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt". Diese Definition wird von AfD-Politikern wie Höcke offensichtlich nicht geteilt. Im vergangenen November sagte er auf einer Kundgebung in Dresden: "Schaut euch ins Gesicht, sprecht miteinander, hört euch zu, nehmt euch wahr, begegnet euch. Glaubt mir: Wenn es hart auf hart kommt, dann werden wir uns erkennen."

Nicht nur bei der Einstufung durch den Verfassungsschutz, auch bei einem etwaigen Verbotsverfahren wäre ein grundgesetzwidriger Volksbegriff mit großer Wahrscheinlichkeit ein zentrales Thema. In offiziellen Texten der AfD wie dem Grundsatzprogramm findet der Verfassungsschutz zwar "Anhaltspunkte, die für ein ethnisch-biologisches Volksverständnis sprechen". Aber der Partei ist bewusst, dass es nicht klug wäre, noch mehr davon zu produzieren. Schon der später ausgetretene AfD-Chef Jörg Meuthen hatte die Partei aufgerufen, "dem Verfassungsschutz keine Anhaltspunkte zu liefern".

Ausgerechnet Weidel-Mitarbeiter Hartwig leitete von 2018 bis 2020 eine Arbeitsgruppe der AfD zum Umgang mit einer möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Im Januar 2021 veröffentlichte die AfD eine "Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität", in der es heißt, die Partei bekenne sich "vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen".

Ein "Musterstaat" für den "Masterplan"

Die Lehnitzsee-Konferenz fand Correctiv zufolge in einem Hotel statt, in dem nach Recherchen der "Zeit" und des "Tagesspiegel" in den vergangenen Jahren immer wieder Rechtsextreme zu Gast waren. Dem Bericht zufolge sagte Sellner, man wolle "maßgeschneiderte Gesetze" erlassen, um einen "hohen Anpassungsdruck" auf Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu erzeugen. Der AfD-Politiker Siegmund aus Sachsen-Anhalt habe ergänzt, man müsse in seinem Bundesland dafür sorgen, dass es "für dieses Klientel möglichst unattraktiv zu leben" werde. Die Bundestagsabgeordnete Huy habe gesagt, sie habe schon bei ihrem Parteieintritt ein "Remigrationskonzept mitgebracht".

Zu Sellners Konzept gehört laut Bericht die Idee eines "Musterstaats" in Nordafrika für bis zu zwei Millionen Menschen. Dann habe man einen Ort, wo man Leute "hinbewegen" könne, habe er bei dem Treffen gesagt. Und alle, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten auch dorthin. Correctiv weist auf eine historische Analogie hin: Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erwogen die Nationalsozialisten kurzzeitig einen "Madagaskar-Plan", der vorsah, vier Millionen europäische Juden auf die Insel an der Ostküste Afrikas zu deportieren.

Auf Anfrage von Correctiv sagte Mörig, er erinnere sich anders an die Aussagen von Sellner. Siegmund betonte, er sei als Privatperson bei dem Treffen gewesen - wo er dem Bericht zufolge allerdings um Spenden für den Landtagswahlkampf warb.

Quelle: ntv.de

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