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Aus Fehlern gelernt Deshalb gelang die Rettung der Airbus-Passagiere

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Das Wrack auf dem Flughafen Haneda.

Das Wrack auf dem Flughafen Haneda.

(Foto: IMAGO/Kyodo News)

Ein Airbus mit fast 380 Menschen an Bord fängt Feuer und alle können ohne lebensbedrohliche Verletzungen gerettet werden. Der Rettungseinsatz auf dem Tokioter Flughafen Haneda ist ein Meisterstück, da sind sich die Experten weltweit einig. Doch wie konnte das gelingen?

Vom Airbus A350 der Japan Airlines, der am Dienstag bei der Landung auf dem Tokioter Flughafen Haneda mit einem Flugzeug der Küstenwache zusammengestoßen war, ist nur noch ein schwarzes Gerippe mit Flügeln und hinterem Leitwerk übrig. Umso unglaublicher erscheint es, dass alle 379 Menschen an Bord die Maschine ohne lebensgefährliche Verletzungen verlassen konnten. Fünf der sechs Personen im Flugzeug der Küstenwache kamen hingegen ums Leben.

Selbst Experten stehen staunend davor, dass nach einem so verheerenden Brand keine Opfer zu beklagen sind. Vermutlich war es eine Verkettung glücklicher Umstände, die den Menschen an Bord das Leben rettete. Benjamin Denes vom Podcast Flugforensik schreibt diesen Erfolg im Gespräch mit ntv.de vor allem den Flugbegleiterinnen und -begleitern zu. "Hier im Fall von Japan Airlines hatten wir eine exzellent ausgebildete Crew", sagt Denes.

Ähnlich hatte sich zuvor bereits der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt geäußert. Er sagte im ntv-Interview, der Crew gebühre großes Lob. "Es zeigt jedem, wie wichtig die Kabinencrew ist. Die sind eben nicht nur da, um Getränke zu servieren, sondern sie sind in der Kette der Flugsicherheit ein ganz wichtiges Element."

Beispielhafte Fehlerkultur

Denes führt die außergewöhnliche Leistung der Besatzung auf den Absturz des Fluges Japan Airlines 123 im Jahr 1985 zurück. Die Maschine war auf dem Flug von Tokio nach Osaka abgestürzt, 520 der 524 Menschen an Bord starben. Spätere Untersuchungen ergaben, dass ein Boeing-Techniker ein Druckschott im Heck fehlerhaft repariert hatte. Danach sei die Airline in "eine Art Selbstreinigungsprozess gegangen und hat penibel alles untersucht, auch, welche Rolle sie gespielt hat, ob sie doch eine Mitschuld trägt".

Das Ergebnis ist ein "Safety Promotion Center" in der Firmenzentrale von Japan Airlines. Dort sind seit 2005 Teile des Wracks ausgestellt, außerdem werden Geschichten der Besatzung und der Passagiere erzählt. Alle neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen dieses Safety Promotion Center durchlaufen. Die gründliche Aufarbeitung des Absturzes und die selbstkritische Haltung sorgten Denes zufolge dafür, dass Japan Airlines seit dem Absturz 1985, der bis heute in der Luftfahrtgeschichte der schwerste mit nur einer beteiligten Maschine war, nie wieder einen tödlichen Flugunfall hatte.

Graham Braithwaite, Professor für Sicherheit und Unfalluntersuchung an der britischen Cranfield University, sagte dem US-Sender CNN, bis heute habe Japan Airlines "eine sehr strenge Kultur in Bezug auf Standardarbeitsanweisungen und die ordnungsgemäße Ausführung aller Arbeiten". Das sei einer der Gründe, weshalb die Crew in diesem Fall so gute Arbeit geleistet habe.

Geistesgegenwart und Disziplin

Wie gut diese Arbeit war, lässt sich am ehesten ermessen, wenn man die Aufnahmen aus dem Inneren des Flugzeugs anschaut. Durch die Kabinenfenster ist heller Feuerschein zu sehen, während sich das Innere der Kabine mit immer dichterem Rauch füllt. Obwohl der Zusammenstoß auf der Landebahn auch für die Crew völlig unerwartet kam, reagieren die Flugbegleiterinnen und -begleiter sehr geistesgegenwärtig. Und das, obwohl zwei zusätzliche Faktoren die Evakuierung erschwerten. Medienberichten zufolge war durch die Kollision die Beschallungsanlage in der Maschine ausgefallen, aufgrund der Beschädigungen am Flugzeug standen außerdem nicht alle Notausgänge zur Verfügung.

Das Problem, dass keine Lautsprecherdurchsagen möglich waren, löste die Crew mit Megafonansagen. "Das ist ein Beispiel für eine schnelle Reaktion", meint Denes. "Das Flugzeug ist dafür entsprechend ausgestattet, es gibt genug Megafone in einem Großraumjet für fast 380 Passagiere." Mit Durchsagen wurden die Menschen an Bord zu den verbliebenen drei Notrutschen dirigiert. Und auch sie haben der Einschätzung von Flugsicherheitsexperten weltweit zufolge einen entscheidenden Beitrag zu ihrer Rettung geleistet. Denn sie befolgten die Anweisungen und ließen deshalb alles Gepäck zurück.

Benjamin Denes zufolge kann schon die Missachtung dieser Regeln fatale Folgen haben. Wenn man beispielsweise mit Kabinengepäck auf die Notrutsche gehe, verlangsame das den Rettungseinsatz. "Zweitens kann das schlichtweg die teilweise kleinen Notausgänge verstopfen." Eine Notrutsche sei außerdem sehr steil, häufig gebe es beim Rutschen Knochenbrüche und andere Verletzungen. Wenn man dann noch Gepäck dabeihabe, nehme die Verletzungsgefahr noch einmal deutlich zu. Obendrein könnte die Rutsche durch die Gepäckstücke oder durch die entstehende Reibungswärme beschädigt werden und im schlimmsten Fall für die nachfolgenden Passagiere unbenutzbar werden.

"Beachten Sie die Sicherheitshinweise"

All das erklären die Crewmitglieder zu Beginn eines jeden Fluges bei den Einweisungen in die Sicherheitssysteme. Nicht alle Passagiere verfolgen diese Erklärungen aufmerksam. Denes hält das für einen Fehler. "Es ist eher oft so eine vermeintliche Coolness oder Arroganz von Passagieren, da nicht zuzuhören." Vielleicht habe man die Information, wie man seinen Sicherheitsgurt öffnet, schon bei früheren Flügen verinnerlicht. "Aber sich insbesondere die Position der Notausgänge einzuprägen, ist in so einem Moment dringend notwendig. Wir alle kennen die Ansage: Denken Sie daran, der nächstliegende Notausgang könnte sich hinter Ihnen befinden." Auch das Lichtsystem am Boden, das einem bei Ausfall der Kabinenbeleuchtung oder in einer dunklen Kabine den Weg weist, sei in der zugerauchten Kabine und in der Überlebenssituation für die Orientierung unerlässlich gewesen. "Deswegen ist es so wichtig, da zuzuhören."

Als weiteren Faktor nennt Denes rücksichtsvolles und umsichtiges Verhalten aller Beteiligten. "Dass man in einer schwierigen Situation, in der Panik ausbrechen könnte, ruhig bleibt, nicht schreit, dass man sich nicht vordrängelt, dass man versucht, insbesondere Kinder, ältere und schwächere Menschen bei der Rettung zu unterstützen." Hier könnte am Unglückstag den überwiegend japanischen Fluggästen die Sozialisierung bei anderen Verkehrsmitteln im Land zugutegekommen sein. An U-Bahnen oder Zügen bilden sich regelmäßig disziplinierte Menschenschlangen, die ein effektives Ein- und Aussteigen ermöglichen. Dieses Verhalten, "was eigentlich gesunder Menschenverstand sein sollte", hat ein gutes Zusammenspiel zwischen Crew und Fluggästen ermöglicht und wertvolle Sekunden gespart, während sich das Feuer rasend schnell ausbreitete.

Denes verweist in diesem Zusammenhang auf einen Zwischenfall im Mai 2019, als ein Superjet von Aeroflot bei der Landung auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo ebenfalls Feuer fing. "Damals starben 41 Menschen, unter anderem auch, weil die Evakuierung nicht so gut lief, weil Menschen ihr Gepäck mitgenommen und die Notausgänge verstopft haben. Es braucht leider nicht viel, dass ein solches Feuer fatale Folgen hat."

Offene Fragen für die Flugunfalluntersuchung

Auf dem Flughafen Haneda brannte die verunglückte Maschine zwar lichterloh, explodierte aber nicht. Sonya Brown, Dozentin für Luft- und Raumfahrtdesign an der Fakultät für Maschinenbau und Fertigungstechnik der University of New South Wales, führt das in einer ersten Einschätzung unter anderem auf den hohen verbauten Anteil von schwer entflammbaren kohlenstofffaserverstärkten Polymeren beim A350 zurück. Luftfahrtingenieure verwendeten diese Kohlefaserverbundwerkstoffe in immer größerem Maße, um Gewicht zu reduzieren und die Effizienz zu steigern, sagte Brown dem britischen "Guardian".

Auch Denes vermutet, dass der deutlich geringere Anteil an Aluminium und anderen Metallen dazu beigetragen haben könnte, dass "es länger gedauert hat, bis der Rumpf wirklich ausgebrannt ist". Für belastbare Aussagen dazu müsse man aber die Flugunfalluntersuchung abwarten. Das Gleiche gelte auch für Mutmaßungen, dass es Glück gewesen sein könnte, dass die Maschine in Tokio am Ziel und somit der größte Teil des Kerosins verbraucht war.

Flugexperte Großbongardt vermutet, dass man erst in ein paar Monaten genau sagen kann, was und warum es geschehen ist. Fest steht bisher nur, der 2. Januar 2024 geht bei Japan Airlines als der Tag in die Firmengeschichte ein, in der sich das Lernen aus Fehlern der Vergangenheit als beste Schulung für den nächsten Notfall erwiesen hat.

Quelle: ntv.de

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