Panorama

Immer mehr Touristen "Deutsche raus" auf Mallorca: Was hinter der Wut steckt

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
In Santanyi standen an Dutzenden Geschäften ausländerfeindliche Sprüche.

In Santanyi standen an Dutzenden Geschäften ausländerfeindliche Sprüche.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Touristenzahlen auf Mallorca explodieren, zugleich finden viele Einheimische keine Wohnung mehr. Mit ausländerfeindlichen Parolen machen sich einige Inselbewohner Luft. Die Lokalverwaltung will etwas tun, ohne das Geschäft zu sehr zu gefährden. Mit Aussicht auf Erfolg?

Die Schmierereien im Ort Santanyi auf Mallorca sind inzwischen entfernt, doch ihre Botschaft hallt nach: "Deutsche raus" oder "Ausländische Käufer fahrt zur Hölle" stand in roter Farbe an Geschäften mit deutschen Inhabern oder Autos mit ausländischem Kennzeichen. Der oder die Urheber sind unbekannt. In Campos und Palma gab es laut der "Mallorca Zeitung" ähnliche Vorfälle.

Die Bürgermeisterin von Santanyi nahm die ausländischen Bewohner, die rund ein Drittel des 12.000-Einwohner-Ortes ausmachen, in Schutz. Sie seien ein fester Bestandteil der Gemeinschaft, sagte Maria Pons der "Mallorca Zeitung". "Auch die Besitzer von Zweitwohnungen zahlen hier Steuern. Es darf keinen Unterschied zwischen Deutschen und Mallorquinern geben." Zudem lebten "95 Prozent der Menschen in Santanyi vom Tourismus", so Pons.

Das idyllische Santanyi steht damit sinnbildlich für ein Problem, das ganz Mallorca betrifft. Einerseits stammen 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts der Insel aus den Tourismuseinnahmen. Die Branche sichert einen erheblichen Teil der Arbeitsplätze. Andererseits leiden viele Einheimische unter den Urlaubermassen.

Ein Rekord jagt den anderen

Im vergangenen Jahr verzeichnete Mallorca mit 13,4 Millionen Touristen einen Besucherrekord. In diesem Jahr werden sogar über 20 Millionen Gäste erwartet, davon rund fünf Millionen Deutsche. Zahlen, die selbst den Tourismusminister der konservativen Regionalregierung, Jaume Bauzá, einräumen ließen: "Wir haben ein Limit erreicht."

Nach Ansicht von Mieterverbänden, Umweltschutzgruppen und anderen Organisationen führt der Massentourismus zu diversen Problemen: Wohnungsnot, Verschmutzung, Staus und Lärm, einer allgemeinen Preiserhöhung und der Zerstörung der Natur. Im März veröffentlichten sieben mallorquinische Organisationen einen Brandbrief, in dem die Touristen aufgerufen werden, zu Hause zu bleiben. "Kommt nicht hierher!" und "Bleibt zu Hause", hieß es darin.

Denn vor allem die Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt, der zu den teuersten in ganz Spanien gehört, ist immens. Seit 2021 haben sich die Quadratmeterpreise auf den Balearen laut einem Bericht des Inselradios um 60 Prozent verteuert, die Löhne sind im gleichen Zeitraum jedoch nur um 7 Prozent gestiegen.

Mallorca wächst

Die größte Balearen-Insel Mallorca wächst derweil stetig. Aktuell beträgt die Einwohnerzahl 967.000 Menschen, das sind über 200.000 mehr als noch 2005. Die Jobs in der Tourismusbranche locken Spanier vom Festland, die Schönheit der Insel wiederum wohlhabende Nicht-Spanier: Ein Fünftel der Bewohner sind Ausländer. Das Angebot kommt der Nachfrage nicht hinterher, auch weil Ferien- und Zweitwohnungen den Markt zusätzlich verknappen.

Allein in der mallorquinischen Hauptstadt Palma gibt es laut einer offiziellen Erhebung 15.000 illegale Ferienwohnungen. "Diese Zahl ist 23 Mal höher als das, was wir bislang registriert und geolokalisiert haben", sagte Palmas Bürgermeister Jaime Martínez dem "Mallorca Magazin" zufolge.

Insbesondere für Geringverdiener ist die Wohnungssuche ein fast unmögliches Unterfangen, dabei sind ein Fünftel der Inselbewohner laut Behördenangaben armutsgefährdet. Die Obdachlosigkeit in Palma nimmt in der Folge zu: Immer mehr Menschen leben in Zelten, Verschlägen oder in ihren Autos.

Forderung nach weniger Touristen

Das führt zu Protesten. Mitte Juni zogen rund 8000 Menschen durch Palma, aufgerufen hatte die Initiative "Weniger Tourismus, mehr Leben". Der Sprecher der Initiative, Jaume Pujol, sagte der Regionalzeitung Diario de Mallorca: "Wir müssen dem Tourismus Grenzen setzen." Man fordere unter anderem eine Begrenzung der Besucherzahlen, ein Kreuzfahrt-Moratorium und ein Ende der touristischen Vermietung.

Nicht immer bleiben die Proteste frei von Aggressionen. Im vergangenen Jahr gingen Teilnehmer einer Großdemonstration Touristen mit ausländerfeindlichen Sprechchören an. Und auch üble Sprüche wie in Santanyi gab es bereits in ähnlicher Form. 2024 stand in Palma auf Deutsch "Tourismus macht frei" an Wänden, in Anlehnung an die KZ-Toraufschrift "Arbeit macht frei". In der Stadt Manacor tauchte der Schriftzug "Kill A Tourist" auf, sprich "Töte einen Touristen".

Örtliche Tourismusverbände und Inselverwaltung verurteilen solche Parolen scharf und sprechen von einer kleinen, radikalen Minderheit, die keinesfalls repräsentativ sei. Zugleich steht die Lokalpolitik vor der Herausforderung, die Folgen des Übertourismus und der Wohnungskrise anzugehen. So plant die Regierung der Balearen unter anderem, keine neuen Lizenzen für Ferienwohnungen zu vergeben, die Touristenabgaben auf bis zu sechs Euro zu erhöhen und eine Steuer für temporäre Mietwagen einzuführen.

Stadt will gegen illegale Vermietungen vorgehen

Palmas Bürgermeister Martinez kündigte an, insbesondere bei den illegalen Ferienwohnungen hart durchzugreifen. Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, verbotene Vermietungen aufzuspüren. Außerdem ist im Gespräch, ob verwaiste Hotelanlagen in Sozialwohnungen umgewandelt werden können. Derartige Ankündigungen hat es in der Vergangenheit mehrfach gegeben, passiert ist trotzdem wenig - ein weiterer Grund für den Frust der Mallorquiner.

Eingriffe in den Tourismussektor sind für Mallorca, das von den Einnahmen zugleich abhängig ist, stets eine Gratwanderung. Die Lokalregierung setzt darum in erster Linie auf einen Zielgruppenwechsel. Die Partytouristen, die häufig eher kurz bleiben, möglichst günstig übernachten und Geld vor allem für Alkohol ausgeben, sollen Familien- und Pärchenurlaubern weichen.

Die Inselverwaltung hat darum Alkohol in der Öffentlichkeit verboten. Auch Hotels in den Feierhochburgen Playa de Palma oder Magaluf dürfen keine Alkoholflatrate mehr anbieten. Die besonders bei Deutschen beliebte Feiermeile Playa soll zudem für viel Geld umgebaut werden. 300 Millionen Euro sollen laut Palmas Bürgermeister Martinez in das Prestigeprojekt fließen. Wie genau das Geld Verwendung finden wird, ist noch offen. Vorstellbar sind etwa Grünflächen, Spiel- und Sportplätze und Kultureinrichtungen.

Partys im Club statt auf der Straße

Die strengen Auflagen führen zu einer Verlagerung der Party am Ballermann: Weg von Straße und Strand, hinein in die angrenzenden Bars und Diskotheken. Der berühmte Megapark verzeichnet Besucherrekorde, der konkurrierende Bierkönig expandierte und eröffnete in der vergangenen Saison einen zusätzlichen Partykeller. Die öffentlichen Exzesse nehmen ab, die Anzahl der Feiertouristen offenbar kaum.

Zugleich steigt die Nachfrage nach gehobeneren Unterkünften. Die Zahl der Vier- und Fünf-Sterne-Hotels auf der Insel hat laut einem Bericht des "Mallorca Magazins" seit 2015 um 88 Prozent zugenommen. Im gleichen Zeitraum ging demnach die Zahl der Ein- bis Drei-Sterne-Häuser um 27 Prozent zurück.

Überdies scheinen zahlungskräftige US-Amerikaner die Balearen-Insel vermehrt für sich zu entdecken. Das spanische Unternehmen "Mabrian" rechnet für die diesjährige Saison inzwischen mit 40 Prozent mehr US-Touristen als im Vorjahr, berichtet das "Mallorca Magazin". Jährlich reisen knapp 300.000 US-Amerikaner nach Mallorca. Den Berechnungen nach könnten es 2025 insgesamt 420.000 US-Touristen werden.

Direktflüge von New York nach Palma gibt es demnach seit Jahresanfang vier- statt dreimal pro Woche. Das Forbes-Magazin zählt Palma zu den Top-100-Reisezielen 2025. Weniger Touristen sind auf Mallorca also vorerst nicht zu erwarten - im Gegenteil.

Quelle: ntv.de, mit dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen