Panorama

Männer zwischen Tradition und Aufbruch"Die Identitätskrise ist real - und das ist gut so!"

19.11.2025, 18:07 Uhr Foto-AutorenboxTorsten Landsberg
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Was ist männlich? Die Antworten darauf fallen 2025 vielfältiger aus. (Foto: picture alliance / AnnaStills)

Die Rolle des Mannes verändert sich radikal. Manch einer ist damit überfordert - und sucht Hilfe bei Männerberater Björn Süfke.

Die Erkältungssaison hat in diesem Jahr früh und heftig losgelegt. Aufgrund ihrer Immunantwort sind Männer grundsätzlich anfälliger für Infekte - und trotzdem wird der eine oder andere schon spöttisch gehört haben: "Na, hoffentlich stirbst du nicht an deiner Männergrippe." Das Klischee vom Mann, der während eines Infekts besonders wehleidig das Sofa okkupiert, hält sich hartnäckig.

"Männer jammern nicht stärker, im Gegenteil", sagt der Psychologe Björn Süfke im Gespräch mit ntv.de. "Aber wenn ein Mann einfach mal sagt: 'Es geht mir nicht gut', dann ist das Schema-diskrepant und damit sofort auffällig." Das Klagen über den eigenen Zustand passt nicht überein mit der tradierten Vorstellung davon, wie ein Mann zu sein hat. Nicht zur Arbeit gehen, wegen eines Hustens? Kann doch wohl nicht sein! "Solche Vorstellungen sind nicht böswillig, aber unterbewusst immer noch allgegenwärtig."

Der Internationale Männertag an diesem Mittwoch klingt wie ein Anlass, sich bei einem Bier seines starken Geschlechts zu versichern, ist aber das genaue Gegenteil, unterstützt unter anderem von den Vereinten Nationen: Es geht um Männergesundheit, die Förderung von Gleichberechtigung und die Wertschätzung für Engagement in Familie, sozialen Bereichen, Umweltfragen. Themen, die ein früherer Kanzler einst als Frauengedöns abtat.

Die Schärfung des Bewusstseins durch einen Männertag kann nicht schaden: Männer gehen seltener zur Krebsvorsorge als Frauen. Die Zustimmung zur Gleichberechtigung der Geschlechter schwankt unter Männern je nach Umfrage, mal sind es 79, mal nur 50 Prozent. In einer Ipsos-Umfrage zum diesjährigen Weltfrauentag gaben vier von zehn Männern an, sich durch die Förderung der Gleichstellung diskriminiert zu fühlen.

Identitätskrise als Chance

Das Männerbild ändert sich - aber langsam. "Es wäre verwunderlich, wenn sich nach 10.000 Jahren Patriarchat innerhalb von zehn oder auch von fünfzig Jahren Dinge fundamental verändern. Das ist ein Prozess, der sich über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinziehen wird", prognostiziert Süfke, der Männer in einer Beratungsstelle in Bielefeld betreut und Bücher wie "Männer: Was es heute heißt, ein Mann zu sein" geschrieben hat.

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In Berichten über die sich verändernden Geschlechterrollen ist häufig von einer Identitätskrise des Mannes die Rede. Ihm fällt heute nicht mehr die Aufgabe des alleinigen Ernährers der Familie zu. Was eine Erleichterung sein könnte, empfindet mancher als Bedeutungsverlust. Es braucht ihn nicht mal mehr zur Zeugung eines Kindes, also zur Familiengründung. Der Arbeitsplatzverlust, noch vor vierzig Jahren eher ein seltenes Individualerlebnis, ist inzwischen eine gesellschaftlich verbreitete Erfahrung. Nicht leicht zu verkraften für jene, die sich vor allem über Arbeit und Karriere identifizieren und daraus Selbstbewusstsein ziehen.

"Die Identitätskrise ist real", sagt Süfke, "und das ist gut so!" Wenn ein System wie das Patriarchat schlecht und ungerecht sei, "dann müssen wir doch froh sein, wenn dieses System ins Wanken gerät. Wir müssten diese Krise gesellschaftlich begrüßen."

Gesellschaftliche Transformation

Weite Teile der Gesellschaft nehmen die sich ändernden Rollenbilder längst an: Wer nicht mehr alleine in der finanziellen Verantwortung für die Familie steht, gewinnt dadurch vielleicht mehr Zeit mit den Kindern. Während rund jeder fünfte Vater eines 2008 geborenen Kindes Elterngeld bezogen hat, war es im Jahrgang 2021 fast jeder zweite - ein Rekordwert. Allerdings nehmen drei Viertel der Väter nur die Partnermonate als Elternzeit - den überwiegenden Teil der Elternzeit bestreiten weiterhin die Frauen.

Berufswelt, Konsumverhalten, Dating - kaum ein Bereich bleibt von der Transformation unberührt. Für manche Unsicherheiten in den Umbrüchen hat der Psychologe daher großes Verständnis. "Wenn ein Mann kommt und sagt: 'Ich bin verwirrt', dann ist das wunderbar, dann können wir gucken, wie wir eine Versicherung herstellen in seine männliche Identität, die gut ist für ihn und sein Umfeld."

Zu Unsicherheiten können gesellschaftliche Debatten beitragen - und besonders die Tonalität, in der sie geführt werden. Spätestens mit #MeToo kamen Fragen danach auf, was Männer noch dürften: Tür aufhalten? Komplimente machen? Darf Mann etwas erklären oder macht ihn das zum übergriffigen Mansplainer? Es ist auffällig, dass der Wandel hin zu mehr Bewusstsein vor allem entlang von Kritik geführt wird und wurde - statt die positiven Aspekte hervorzuheben.

"Vorwürfe sind nicht sehr einladend für Selbstreflexion", sagt Björn Süfke. Die Debatte empfinde er als zu wenig einfühlsam. "Mir fehlt eine Form von Verständnis, dass Dinge wie Mansplaining nicht grundsätzlich aus Bösartigkeit passieren, sondern aufgrund einer männlichen Sozialisation." Bloße Konfrontation statt Erklären könne dazu beitragen, unsichere Männer in extreme Kreise zu treiben, "zu Typen, die ihnen einfache Antwort geben und sagen: 'Du hast gar keinen Grund, dich zu ändern.'"

Sehnsucht nach klaren Rollen

Denn ganz so einmütig ist die Auffassung, dass patriarchale Strukturen in Familie und Gesellschaft ein Übel sind, eben nicht. Weltweit scheint es sogar eine gewisse Sehnsucht nach einer Rückbesinnung auf die erlernten Strukturen zu geben. Ob Trumps MAGA-Bewegung oder politische Gender-Verbote in Deutschland: Der Sound klingt vielerorts gerade ein bisschen konservativer.

Besonders radikale Auswüchse finden sich in antifeministischen Netzwerken zusammen, im Manosphere oder in der Incel-Bewegung, deren Frauenhass kürzlich im Netflix-Vierteiler "Adolescence" thematisiert wurde - und dank der Miniserie sogar auf dem Lehrplan britischer Schulen landete. "Am Anfang dachte ich, das sei Comedy, wenn diese Männer in Videos sagten: 'Du musst einer Frau einfach zeigen, wo der Hammer hängt' oder dass Männer auf keinen Fall Gefühle zeigen dürfen", sagt Süfke. Extremer Hass und die Bereitschaft zur Gewalt sind feste Bestandteile dieser Gruppen.

Der Autor und Psychologe beschreibt drei Grundpfeiler toxischer Männlichkeit: Gefühlsabwehr, Versagensverbot und die Abwehr von allem Weiblichen. In seine Beratungsstelle kämen auch Männer, die Frauen Gewalt angetan haben. Das sei eben mindestens einen Schritt zu spät. "Wir brauchen mehr Aufklärungsarbeit und Bildungsarbeit zum Thema Geschlecht und einen Diskurs, der ins Zentrum rückt, dass Männer von Geschlechtergerechtigkeit profitieren." Auch sie litten unter traditionell männlich geprägten Verhaltensmustern, sowohl in Kindheit und Jugend als auch später im Erwachsenenleben.

"Geschlechterthemen kommen im Schulunterricht überhaupt nicht vor", sagt Björn Süfke. Und für sinnvolle Prävention fehle es am Geld. "Es wäre effektiver, wir hätten mit den Männern, die wegen Gewaltausbrüchen bei uns sitzen, schon vor zwanzig Jahren gesprochen, als sie noch Jungs waren."

Quelle: ntv.de

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