Erinnerungen an UntergangDie wahren Helden der "Costa Concordia"

Die Insel Giglio ist für den ntv-Korrespondenten Udo Gümpel wie eine zweite Heimat. Als vor zehn Jahren die "Costa Concordia" verunglückt, ist er dort auch beruflich im Einsatz. Inmitten von Chaos und Todesangst erlebt er echte Menschlichkeit.
Am 14. Januar 2012 war ich schon frühmorgens am Hafen von Porto Santo Stefano, direkt gegenüber der Insel Giglio: Da wurden sie zu Hunderten von den Fähren und Booten der Küstenwacht ans Festland gebracht: Frierende, nasse, gerettete Schiffbrüchige der "Costa Concordia".
Die Menschen erzählten vom Untergang, von Chaos und sehr viel spontaner Hilfsbereitschaft. Zu den letzten Geretteten gehörten die Passagiere Matthias Hanke und Marcel Zuhn. Sie waren immer Inneren des Schiffes, als es mit dem eindringenden Wasser immer mehr Schlagseite bekam und schließlich auf die Seite kippte. Klitschnass wurden sie erst in den frühen Morgenstunden gerettet. Im Krankenhaus von Grosseto haben wir sie aufgelesen, noch in der nachfolgenden Nacht nach Rom gefahren.
Dass es "nur" 32 Tote bei diesem Schiffbruch gegeben hat, ist nicht einem "letzten" Manöver von Kapitän Francesco Schettino zu verdanken, der das Schiff auf einen Felsvorsprung vor dem Hafen von Giglio gesetzt haben will. Das ist immer seine "Story" gewesen, die er in allen Instanzen erzählt hat.
"Es war die Hand Gottes", so beschreibt es Staatsanwalt Francesco Verusio mir gegenüber etwas salopp, aber physikalisch korrekt: Nach dem Zusammenprall mit dem Felsen vor Giglio trieb die Costa Concordia steuerlos mit der Strömung gen Norden, an der Insel vorbei. "Ein paar Hundert Meter weiter, und alle an Bord wären ertrunken wie die Ratten", erinnert sich Verusio. Aber dann kam die "Hand Gottes": Der Wind drehte, mit ihm das Schiff um 180 Grad und trieb es auf den Felsen vor dem Hafeneingang von Giglio.
Wahre Menschlichkeit
Die echten Helden dieser Nacht sind aber die Menschen der Insel Giglio. Allen voran der damalige Vizebürgermeister Mario Pellegrini, der an Bord kletterte, um zu helfen. "Ich wollte doch nur mit dem Kapitän zusammen die Evakuierung organisieren", erzählt Mario, den ich schon zehn Jahre vor dem Unglück als Hotelbesitzer kennengelernt habe. Die Insel Giglio, "il Giglio", das ist so etwas wie meine zweite Heimat.
Zusammen mit 500 Passagieren, die noch an Bord waren, als Schettino schon sicher an Land war, geriet auch Mario in Not, als das Schiff kippte. Mit ihm der Bordarzt Sandro Cinquini und Offiziere wie Stefano Ianelli und Simone Canessa. Sie kletterten durch die Gänge des Schiffs, im Dunkeln, in der Nässe, und schleppten die Verzweifelten nach oben, auf die Bordwand, wo die Rettungsteams der Feuerwehr und die Hubschrauber der Küstenwacht sie abholten.
An Land, im winzigen Hafen von Giglio, öffneten alle Bürger ihre Häuser für die über 4000 Schiffbrüchigen. Es war eine eiskalte Nacht, und die Passagiere in Abendrobe: Es war ja "Captain´s Dinner" gewesen. Der Pfarrer Don Lorenzo öffnete seine Kirche: "Die Deutschen waren besonders diszipliniert. Alle saßen brav in den Bänken und warten darauf, einer nach dem anderen, auf die nur eine Toilette in der Sakristei gehen zu können."
Nicht nur Versagen
Schettino selber war ja schon an Land, als sein Schiff umkippte. An Land bekam er den Anruf vom Seenot-Rettungskoordinator der Küstenwacht aus Livorno, Gregorio De Falco, gewürzt mit dem so typisch italienischen Schimpfwort, "cazzo" - geh zurück an Bord.
"Das ist an mir hängen geblieben", erzählt De Falco, seit dieser Nacht sind wir Freunde, "aber es war richtig: Er hat seine Pflicht als Kapitän auf das Sträflichste vernachlässigt, uns echt belogen: Hätte er nur rechtzeitig die Evakuierung des Schiffes befohlen, wäre wohl kein Mensch gestorben."
Das Unglück der Costa Concordia: Für mich ist es nicht die Geschichte des Versagers als Kapitän, der möge vergessen werden, sondern die Geschichte so viele kleiner und großer Helden dieser Nacht, die 4197 Menschen in dieser Nacht das Leben gerettet haben und eben leider auch der 32 Opfer des Verantwortungslosen.