Panorama

"not alone" hilft MinderjährigenEin junger Flüchtling und sein Pate

13.09.2016, 14:48 Uhr
imageVon Vivian Kübler
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Rund zwei Drittel der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sind männlich. (Foto: dpa)

Sie kommen mit einem Koffer und sonst nichts nach Deutschland. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wie Ali Hussain sind auf sich allein gestellt. Sie brauchen besondere Hilfe, findet das neue Bündnis "not alone" und reicht den Jugendlichen die Hand.

Ali Hussain ist 19 Jahre alt. Mit seiner verwaschenen Jeans und dem bunt bedrucktem T-Shirt sieht er aus wie viele Jugendliche in Berlin. Im November beginnt er ein Praktikum in einer Apotheke. Sein Wunsch: Nach einer Ausbildung zum Pharmazeutischen Assistenten möchte er das Fachabitur machen und dann studieren. So oder ähnlich planen viele Jugendliche ihre Zukunft. Für Ali allerdings ist schon das Praktikum eine Herausforderung, denn er lebt erst seit rund einem Jahr in Deutschland. Er ist allein aus dem Irak geflohen, ohne Verwandte oder Freunde.

Der Iraker ist einer von 1500 jungen Asylbewerbern, die vergangenes Jahr unbegleitet und minderjährig in die Hauptstadt gekommen sind. Insgesamt leben 5000 geflüchtete Jugendliche in Berlin, rund zwei Drittel von ihnen sind männlich.

Zunächst müssen sich die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft um bürokratische Pflichten kümmern. Nur so können sie das Asylverfahren durchlaufen. Hinzu kommen die oft monatelangen Provisorien in Notunterkünften und Hostels. Das Netzwerk "not alone" ("Nicht alleine") will ihnen zeigen, wie sich normales Leben in Deutschland anfühlt.

Die Idee ist, jedem minderjährigen Flüchtling einen Studenten als Begleiter und Unterstützer zur Seite zu stellen. Der Marburger Bund und die Ärztekammern sind Mitinitiatoren des Projekts. Als vor rund einem Jahr die Flüchtlingszahlen stark anstiegen, kümmerten sich rund 800 Ärzte um die neu angekommenen Menschen. "Helfen ist unser Beruf", sagte Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin. "Ärzte dienen nicht nur Patienten, sondern auch der Gesellschaft, und Humanität ist einer der Grundwerte unserer Gesellschaft." Das Netzwerk arbeitet mit bestehenden Einrichtungen in Berlin und Brandenburg zusammen und will die meist 15- bis 18-Jährigen an die Hand nehmen.

"Ich liebe Berlin"

Bisher haben sich 20 Medizinstudenten zusammengefunden, die den Kontakt zu Sportvereinen herstellen oder die Heranwachsenden über Ausbildungsberufe informieren. Friedemann Egender ist ihr Koordinator und seit eineinhalb Monaten Alis Lotse. Anfangs waren beide noch recht schüchtern, aber ein paar Kaffeetassen später ist eine Art Freundschaft entstanden. Inzwischen sind der junge deutsche Arzt und der irakische Flüchtling miteinander vertraut. Sie tauschen Geschichten aus, reden über Zukunftswünsche und philosophieren über verschiedene Kulturen. Das Friedemann-Ali-Gespann hilft sich gegenseitig. Friedemann unterstützte Ali dabei, den Kontakt zur Apotheke herzustellen und Ali ist mittlerweile stolzer Arabischlehrer von Friedemann.

Der Kontakt kam durch das evangelische Paul-Gerhardt-Werk zustande, das momentan 160 junge Flüchtlinge betreut. "Wir haben ihnen unsere Hilfe einzelner Jugendlicher angeboten", so Friedemann Egender zu n-tv.de. "Nach den ersten Gesprächen haben wir dann einfach eine Whatsapp-Gruppe gegründet, in der sie uns bei Bedarf kontaktieren können". Nur wenige Tage später gab es schon das erste Treffen mit dem 19-jährigen Ali. "Was mir an ihm sofort gut gefallen hat ist, dass er sehr aktiv und engagiert ist und den Wunsch hat sich zu integrieren und zu arbeiten. Er wusste genau, was er wollte, und das hat mir sehr imponiert".

Im Gespräch merkten die beiden schnell, dass es für viele Probleme noch keine richtigen Lösungen gibt. Zum Beispiel liegt Alis Abiturzeugnis noch im Irak und kann momentan nicht nach Deutschland geschickt werden. "Das sind ganz individuelle Probleme für die es noch keine einheitlichen Konzepte gibt. Deswegen ist unsere Eins-zu-eins-Betreuung auch so wichtig". Außer dem Zeugnis ist auch Pünktlichkeit immer wieder Gesprächsthema. "Daran muss er noch arbeiten", sagt Friedemann lachend. "Ich habe ihm erklärt, dass das in Deutschland sehr wichtig ist. Es bessert sich schon."

Trotz kultureller Unterschiede ist Ali froh in Deutschland zu sein. "Ich liebe Berlin. Hier leben Menschen aus der ganzen Welt. Ich habe schon so viele kennen gelernt", sagte der 19-Jährige sichtlich begeistert, "und ich habe die Möglichkeit hier zu studieren". Mit Deutsch hat Ali keine Probleme, er spricht die neue Sprache bereits fließend. Im vergangenen Jahr besuchte er tagsüber die 10. Klasse eines Gymnasiums und ging abends in Deutschkurse. Ali möchte in Berlin bleiben, sich weiter bilden und arbeiten. So ganz alleine ist das aber schwer. Mit seiner Familie hat er nur manchmal Kontakt. "Sie sind nach Kurdistan geflohen, da haben sie aber kein Internet. Wir können nur manchmal telefonieren". Er sei deshalb froh, einen Paten zu haben. Denn auch wenn die Schützling volljährig werden, soll die Patenschaft nicht direkt enden, sondern weiter bestehen bleiben, so das Konzept von "not alone".

Quelle: ntv.de

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