Gesetzeslücke macht es möglich Fälschern von Impfpässen droht keine Strafe
05.11.2021, 14:07 Uhr
Viele Gefälschte Impfpässen fallen in Apotheken auf. Dabei wird es dem Personal sehr schwer gemacht, diese zu entdecken.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Die zunehmende Zahl gefälschter Impfpässe kann auf Dauer die Pandemie verschärfen. Das liegt vor allem daran, dass sich Verkäufer und Nutzer dieser Zertifikate relativ sicher fühlen können. Denn deutsche Gesetze erschweren die Strafverfolgung oder machen sie gar unmöglich.
Mit höherem Druck auf Ungeimpfte steigt der Antrieb zur Impfung - das könnte man meinen. Allerdings ist für den freien Zutritt zu Veranstaltungen, Kinos oder Restaurants letztlich ja nur der Nachweis einer Impfung wichtig. Ob der lebensrettende Piks tatsächlich erfolgte, bleibt unklar. Genau so lässt sich die zunehmende Zahl gefälschter Impfpässe zuletzt wohl erklären. Kann man per QR-Code in der App erst zeigen, dass man "geimpft" ist, kann das schwer rückgängig gemacht werden. Für den digitalen Impfnachweis nutzen viele Ungeimpfte den Weg über Apotheken. Ein möglicher Betrug kann also eigentlich nur dort auffallen.
Zunächst einmal: Die gelben Blanko-Impfpässe kann man fast überall kaufen. Dazu ist ein Gang ins Darknet oder auf Telegram gar nicht nötig. Beim Versand-Riesen Amazon sind angebotene Blanko-Impfpässe aktuell "Topseller". Es gibt sie teilweise für weniger als drei Euro pro Stück oder im Vorteilspack mit Rabatt. Und daran ist nichts ungesetzlich. Jeder Mensch kann seinen Impfpass verlieren, er kann nach vielen Jahren in schlechtem Zustand oder einfach voll sein. Der Kauf eines neuen Blanko-Impfpasses ist völlig legitim. Die Fälschung eines Ausweises beginnt dort, wo Angaben eingetragen, falsche Unterschriften geleistet oder Chargennummern von nicht gespritzten Impfdosen vermerkt werden. Denn erst dann wäre der Impfpass "im Rechtsverkehr einsetzbar". Dann beginnen aber die Probleme.
Leicht zu fälschen, kaum zu erkennen
Die gelben Impfpässe lassen sich viel zu leicht fälschen. Das beklagen Apotheker, aber auch zahlreiche Ermittler, die Impfpassfälschern nachspüren. Aus den Landeskriminalämtern Hessen und Sachsen heißt es gegenüber ntv.de beispielsweise, dass es "an allgemeingültigen und einheitlichen Sicherheitsmerkmalen" mangeln würde, die die Fälschung von Impfpässen erschwert. Viele Kriminalbeamte beklagen daher auch, dass gerade zu Beginn der Kampagne, als eine Covid-Impfung noch nicht für jeden zugänglich war, viele Menschen im Überschwang auf Social Media Bilder ihrer Impfpässe posteten. So hätten viele Fälscher überhaupt erst Informationen bekommen, wie denn Chargennummern aussehen, wo sich Impfzentren befänden und auch den ein oder anderen Namen von Impfärzten erfahren. So konnten sie teils Kopien anfertigen und diese dann zum Verkauf anbieten.
Eine große Schwierigkeit besteht für Apotheker darin, gefälschte Impfausweise überhaupt zu erkennen. Das sei nämlich nicht leicht, monieren Vertreter des Berufsstandes. Die Apothekenkammern beklagen auch, die Fälschungen wären mit der Zeit besser geworden. Nur bei genauer Prüfung können Fehler entdeckt werden. Etwa, wenn die Abstände zwischen den Impfungen falsch sind, oder wenn die Namen der verimpften Wirkstoffe falsch geschrieben sind. Genauso deuten fehlende Namen von Impfärzten auf Fälschungen hin, oder die Tatsache, dass nur die Covid-Impfung im Pass eingetragen ist, dieser ansonsten aber leer ist. Aber grundsätzlich gilt: Es gibt für Apotheker keine Meldepflicht, wenn der Verdacht besteht, jemand legt einen gefälschten Impfpass vor.
Viel gravierender ist jedoch die Tatsache, die kürzlich eine Apothekerin auf Twitter teilte. Sie schreibt dort, dass laut Apothekenkammer gefälschte Impfpässe überhaupt nur bei der Polizei angezeigt werden dürften, wenn die verdächtige Person den Apotheker von seiner Schweigepflicht entbinden würde. Das muss wohl sogar in schriftlicher Form erfolgen. Was wie ein schlechter Scherz klingt, entspricht aber wohl der gängigen Rechtssprechung, wie der Rechtsanwalt Chan-jo Jun ebenfalls auf Twitter erklärt. Dass von einem einzelnen Ungeimpften, der mit einem gefälschten Impfausweis unterwegs ist, eine vergleichsweise geringe Gefahr ausgeht, mag verständlich sein, wenn allerdings viele Menschen das tun, ist die Gefahr einer leichteren Ansteckung für viele Menschen gegeben.
Bundesweite Datenbank fehlt
Ein weiterer Aspekt ist, dass es keine bundesweite Datenbank gibt, in der Apotheker die im Impfpass gemachten Angaben nachprüfen können. Die wäre allerdings dringend notwendig, um die Identifizierung gefälschter Impfpässe spürbar zu erleichtern. So müssen sich Apotheker auf ihre Erfahrung und ihr Bauchgefühl verlassen, um Fälschungen herauszufiltern. Auch wenn sie eine Fälschung offenbar nicht ohne Weiteres anzeigen können, dürfen sie zumindest die Ausstellung eines digitalen Impfzertifikates ablehnen. Sie verweisen an den impfenden Arzt. Wenn es den nicht gibt, gibt es auch kein digitales Impfzertifikat. Dann wird vermutlich der Gang zur nächsten Apotheke angetreten, in der Hoffnung, dass dort der Betrug nicht auffällt.
Nun versuchen Ermittler nicht nur die Umwandlung der gelben Impfpasseinträge in digitale Impfnachweise zu verfolgen, sondern auch den Fälschern und Verkäufern der Pässe auf die Schliche zu kommen. Es gibt auch immer wieder Erfolge, zahlreiche Funde bei Wohnungsdurchsuchungen und viele Ermittlungsverfahren. Dabei wird allerdings wieder die Gesetzeslage zum Problem, denn: Die Fälschung vom Impfpässen und ihr Gebrauch im Alltag sind offenbar gar keine Straftaten. Kurz vor der Einführung der digitalen Impfpässe in Deutschland wird daher das Infektionsschutzgesetz geändert.
Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke befasst sich auf der Website seiner Kanzlei mit der Frage der Strafbarkeit von Impfpassfälschungen. Er kommt dabei zu einem eindeutigen Ergebnis. Im aktualisierten Infektionsschutzgesetz versuchte die Politik das Ausstellen falscher Impfpässe zwar auszuschließen. Solmecke erläutert allerdings, warum weder Paragraf 22 noch Paragraf 75a eine Gefahr für Impfpassfälscher darstellen - sie gelten ganz einfach nicht für sie. Denn dort ist ausschließlich die Rede von Ärzten und Apothekern, denen es untersagt ist, falsche Impfpässe über eine Covid-19-Impfung auszustellen. Wenn eine Privatperson oder eine kriminelle Bande dies tut, ist ihnen durch diese Paragrafen kaum das Handwerk zu legen. Das übersah die Politik offenbar.
Moralisch verwerflich, aber nicht strafbar
Nun meinen viele sicher, dass es sich dann doch wenigstens um eine Urkundenfälschung handele und die Täter so bestraft werden können. Das ist grundsätzlich richtig. Allerdings greift in diesem Fall die "Lex spezialis". Der Berliner Jurist Ulf Buermeyer erklärt das im Podcast "Die Lage der Nation" so, dass ein konkretes Gesetz ein allgemeineres sperrt und dafür sorgt, dass es nicht angewendet wird. Der allgemeinere Paragraf 267 im Strafgesetzbuch ("Urkundenfälschung") wird durch den konkreteren Paragrafen 277 ("Fälschung von Gesundheitszeugnissen") entsprechend "ausgehebelt". Das Problem beim Paragrafen 277 ist laut Christian Solmecke jedoch, dass er aus dem Jahr 1871 stammt und 1975 lediglich ein wenig angepasst wurde, sprich: Er ist absolut nicht zeitgemäß und schon gar nicht für eine Ausnahmesituation wie eine Pandemie geeignet. So ist dort dann auch nur die Rede von der "Täuschung von Behörden und Versicherungsgesellschaften". Da nun aber niemand, der einen Impfpass fälscht oder ihn im Alltag nutzt, eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft täuscht, kann damit kein Fälscher oder Nutzer eines gefälschten Ausweises rechtlich belangt werden. Wenn ich ein Restaurant betrete und bewusst meinen gefälschten Impfpass vorzeige, täusche ich damit nur Privatpersonen, nämlich die Restaurantmitarbeiter und indirekt auch die weiteren Gäste über meinen tatsächlichen Gesundheitszustand.
Das ist zwar moralisch fragwürdig, offenbar aber nicht justiziabel. Denn, dass die Verurteilung von Impfpassfälschern und Nutzern gefälschter Impfpässe nicht nur in der Theorie kaum möglich ist, sondern auch in der Praxis, zeigt ein Urteil des Landgerichts Osnabrück. Die Polizei im niedersächsischen Nordhorn warf einem Mann vor, in einer Apotheke einen gefälschten gelben Impfausweis vorgelegt zu haben, um diesen in einen digitalen umwandeln zu lassen. Der Impfausweis wurde beschlagnahmt. Der Mann ging gegen die Entscheidung vor und bekam recht - zunächst vor dem Amtsgericht Osnabrück. Dort hieß es, das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten sei schlicht nicht strafbar. Als die Staatsanwaltschaft dagegen Beschwerde einlegte, bestätigte das Landgericht Osnabrück die Vorinstanz. In der Erläuterung heißt es konkret, dass die Paragrafen 75, 267 sowie 277 und 279 nicht greifen würden. Es liege also keine strafbare Handlung vor, es bestehe eine Strafbarkeitslücke. Solmecke betont zwar, dass das Infektionsschutzgesetz in aller Kürze aktualisiert werden musste - die Pandemie machte das nötig- macht jedoch auch klar, dass eine Strafbarkeitslücke bei gefälschten Impfzertifikaten bereits vor der Corona-Pandemie bestand. Und genau die wollte die Politik eigentlich mit dem Paragrafen 75a des Infektionsschutzgesetzes schließen - offenbar ohne Erfolg.
Regierung kündigt Änderungen an
Tatsächlich sind Verurteilungen wegen des Fälschens von Impfpässen oder deren Verwendung kaum bekannt. Im Oktober wurde ein junger Mann in Niedersachsen wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt. Er soll allerdings Fahrer eines Krankentransporters sein und wäre somit eine "Medizinalperson" wie es etwas steif zum Beispiel im Paragrafen 278 heißt. Demnach wäre er eben kein privater Impfpassfälscher, und somit der Straftatbestand der "Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse" auf ihn anwendbar.
Weitere Urteile sind nicht bekannt. Und sie erscheinen angesichts der Schilderungen von Christian Solmecke und Ulf Buermeyer auch als eher unwahrscheinlich. Zuletzt haben aber Politiker und Juristen verstärkt darauf gedrungen, das Infektionsschutzgesetz schnell zu ändern. Darauf hat nun das Bundesjustizministerium reagiert. Nach einer umfangreichen Prüfung der Rechtslage sei man zwar weiterhin der Ansicht, dass keine Strafbarkeitslücke bestehe, sagte eine Sprecherin in Berlin. Um bestehende Rechtsunsicherheiten auszuräumen und den Gerichten eine klare Entscheidungsgrundlage zu geben, werde das Ministerium dennoch "zeitnah einen Vorschlag zur Änderung des Strafgesetzbuches vorlegen, der die Rechtslage klarstellt".
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, "dass jedem klar sein muss, dass das keine Lappalie ist, einen Impfausweis zu fälschen". Denn wer dies tue, spiegle anderen Menschen einen Gesundheitsschutz vor, den er nicht habe, und gefährde sie damit. Das sei sehr ernst zu nehmen. Die Politik hat das Problem also erkannt. Jetzt muss sie nur noch handeln.
Quelle: ntv.de