Telegram ist zentrale Plattform Gefälschte Impfpässe sind ein gutes Geschäft
04.11.2021, 18:18 Uhr
Der digitale Impfnachweis ist begehrt, auch bei vielen, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen wollen.
(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)
Die Meldungen über gefundene gefälschte Impfpässe häufen sich zuletzt. Über ihre Gesamtzahl haben Ermittler allerdings nur wenige Erkenntnisse. Die Dunkelziffer scheint hoch. Das Geschäft ist lukrativ, bei Händlern werden hohe Geldsummen entdeckt. Das Interesse vieler Ungeimpfter könnte noch zunehmen.
Die Corona-Pandemie bringt in Deutschland neben großer Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und Solidarität viel kriminelle Energie zum Vorschein. Das fing an bei falschen Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht, setzte sich fort mit dem Betrug bei Corona-Hilfen und ging bis hin zu überzogenen Abrechnungen in Corona-Testzentren. Aktuell scheinen Betrüger die größte Anstrengung jedoch dem Verkauf gefälschter Impfpässe zu widmen. Doch wie groß ist das Problem überhaupt? Eine Spurensuche.
Bei der Bekämpfung der Pandemie hatten Politik und Gesellschaft große Hoffnung in eine erfolgreiche Impfkampagne gesetzt. Die wirkte zunächst auch, verlor dann aber erheblich an Tempo und kommt aktuell kaum noch voran. Nur rund zwei Drittel der Gesamtbevölkerung besitzen den vollständigen Impfschutz. Glaubt man einer kürzlich veröffentlichen Forsa-Umfrage, wird sich daran auch nicht mehr viel ändern.
Allerdings entstehen Ungeimpften in einigen Gesellschaftsbereichen Nachteile. So greifen etwa Gastronomen oder Veranstalter auf die 2G-Regel zurück, um den Zugang für Ungeimpfte in Restaurants, Klubs oder Konzerthallen zu unterbinden. Bei 2G haben nur Genesene und Geimpfte Zutritt. Das dritte G wären Getestete, also Menschen, die durch einen negativen Corona-Test nachweisen, dass von ihnen keine Gefahr für andere Besucher oder Mitarbeiter vor Ort ausgeht. Da die Bürgertests gegen das Coronavirus zudem seit Mitte Oktober nicht mehr kostenlos sind, müssten Ungeimpfte tief in die Tasche greifen, wenn sie auf eine Veranstaltung mit 3G-Konzept gehen wollen. Eine knifflige Situation. Was ist wichtiger, die konsequente Ablehnung einer Covid-19-Impfung oder der Zugang zum gesamten gesellschaftlichen Leben? Es gibt offenbar die Möglichkeit beides zu haben, und zwar bereits seit Längerem.
Erkenntnisse schon im April
Recherchen von "Report Mainz" aus dem April zeigen, dass bereits vor einem guten halben Jahr einerseits das Interesse an gefälschten Impfnachweisen vorhanden war, und andererseits schon damals einige entdeckten, was für ein lukratives Geschäft der Handel damit sein kann. Für 150 Euro wurden Impfpässe angeboten. Es gab sogar Mengenrabatte – drei Pässe für 400 Euro. Der Kriminologe Christian Matzdorf erklärt damals im Interview, dass diese kriminellen Handlungen dazu führen können, dass die Strategien zur Eindämmung der Pandemie nicht greifen können. Letztlich würde das Leben unzähliger Menschen vorsätzlich gefährdet. Wie groß die Zahl der im Umlauf befindlichen Impfpässe damals ist, kann der Experte allerdings nicht abschätzen. Er geht jedoch davon aus, dass das Potenzial enorm ist. Das Gesundheitsministerium gab sich diesbezüglich gegenüber der Sendung unwissend. Man unterstütze aber die Initiative der EU digitale Impfpässe einzuführen, da sie fälschungssicherer seien, hieß es.
Seit 1. Juli gibt es diesen digitalen Impfpass nun in Deutschland. Er kann mit Hilfe des gelben Impfpasses entweder über die Impfzentren oder über Apotheken erworben werden. Und vor allem in Apotheken fielen irgendwann falsche Impfpässe auf - und zwar immer häufiger. Die Behörden begannen zu ermitteln. Allerdings richteten sich ihre Anstrengungen nicht nur gegen Personen, die sich digitale Impfpässe zu erschleichen versuchten, sondern auch gegen Fälscher und Verkäufer gefälschter Impfpässe. Eine Recherche, wie groß die Zahl falscher Impfpässe in Deutschland ist, gestaltet sich aber auch ein gutes halbes Jahr nach den ersten Fällen mehr als schwierig.
LKA äußern sich zurückhaltend
Auf Nachfrage von ntv.de antworten alle Landeskriminalämter zunächst unisono, dass es sich beim aktuellen Stand nur um ein Lagebild handeln würde. Die Angaben seien vorläufig. Das liege zum einen an möglichen neuen Ermittlungsergebnissen zu behandelten Fällen, könne aber auch mit Nachmeldungen zu tun haben. Zudem sei oft nicht klar, ob und wenn ja welcher Straftatbestand überhaupt vorliege. Die Bandbreite der gemachten Angaben ist daher groß. Sie reicht von einem bekannten Fall eines gefälschten Impfpasses im Saarland über 13 in Mecklenburg-Vorpommern, 23 Fälle in Sachsen, 61 Fälle in Rheinland-Pfalz bis hin zur Nennung von Fällen im "unteren dreistelligen Bereich", wie es etwa aus Niedersachsen, Hessen oder Baden-Württemberg heißt. Manche Landeskriminalämter machen mit Verweis auf noch laufende Verfahren keine Angaben.
Aus Bayern heißt es auf Nachfrage von ntv.de, dass rund 3000 Impfpässe, davon 2800 blanko und 9000 Impf-Aufkleber gefunden worden seien. Das klingt zunächst erheblich, allerdings wird hier bereits deutlich, dass nicht alle Ermittlungen sich ausschließlich auf vollständig gefälschte Impfausweise beziehen. Denn in den Angaben der Landeskriminalämter sind teils sowohl sogenannte "Vollfälschungen" als auch Blanko-Impfpässe enthalten. Dazu kommen falsche Impf-Aufkleber sowie Materialien zur Fälschung wie etwa Stempel. Darüber hinaus wird eben nicht nur gegen Fälscher und Verkäufer gefälschter Impfpässe ermittelt, sondern auch gegen Personen, die sich mit gefälschten Impfpässen digitale Zertifikate erschleichen wollten. Dieses enorm diffuse Lagebild macht es aktuell geradezu unmöglich, eine Aussage über die Zahl der im Umlauf befindlichen Impfpässe zu treffen. Folgt man den Angaben der Ermittler, stellen sie bundesweit bisher vermutlich etwa 1000 Vollfälschungen sicher. Die Dunkelziffer wird jedoch erheblich sein.
Ein unklares Bild ergibt sich auch bei der Frage, ob die Zahl der gefälschten Impfausweise zugenommen hat, seit die Bürgertests gegen das Coronavirus nicht mehr kostenlos sind. In Bremen soll es seither einen "Aufwuchs" geben, ebenso in Mecklenburg-Vorpommern. In Niedersachsen ist gar von einem "sprunghaften Anstieg" die Rede. Ähnlich klingt dies auch in Bayern, wo in der Antwort an ntv.de darauf verwiesen wird, dass es Anfang September lediglich 110 Ermittlungen gab, man mittlerweile aber rund fünf Mal so viele durchführt. In Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen erkennen die Landeskriminalämter dagegen bisher keinen Anstieg. Aus Baden-Württemberg heißt es auch, dass kaum eine Zunahme gebe, dass aber Apotheken wohl auch sensibler kontrollieren würden. Mehr Funde könnten also auf intensivere Kontrollen zurückzuführen sein. In einigen Bundesländern scheint die Zahl der bisher gefundenen gefälschten Impfpässe derart gering zu sein, dass keine Aussage über einen Anstieg getroffen werden kann.
Fälscher können viel Geld verdienen
Laut Aussagen der Kriminalämter ist aber klar, wo gefälschte Impfpässe angeboten werden, nämlich im Internet. Die Fälscher vertreiben demnach ihre Ware über Internetforen, Social Media, über das Darknet und Whatsapp. Hauptangebotsplattform soll allerdings der Messenger Telegram sein. Dieser wird von allen Landeskriminalämtern genannt, die sich zu der Frage gegenüber ntv.de äußern. Und er wird von nahezu allen Ermittlern als zentrale Vertriebsplattform ausgemacht. Das ist aus zweierlei Gründen nicht ungewöhnlich. Zum einen wirbt die Plattform mit wenigen Regulierungen bei den dort verbreiteten Inhalten, zum anderen ist sie in der Corona-Pandemie geradezu zu einem Sammelbecken von Pandemie-Leugnern und Impfgegnern geworden. Zahlreiche gefälschte Impfpässe werden dort für Preise zwischen 99 und 250 Euro angeboten. Und das Geschäft scheint sich zu lohnen.
Bei zahlreichen Wohnungsdurchsuchungen, die es im Zusammenhang mit gefälschten Impfpässen gab, wurden teils erhebliche Bargeldsummen gefunden. In Berlin-Lichterfelde Ende April etwa 10.000 Euro bei einem 27-Jährigen. Anfang September wird in Schleswig-Holstein bei einem mutmaßlichen Verkäufer gefälschter Impfpässe ebenfalls eine fünfstellige Summe bei der Wohnungsdurchsuchung entdeckt. Im Spätsommer werden drei Männer aus Nordrhein-Westfalen in Bayern aufgegriffen, die sich offenbar extra einen Wagen gemietet hatten, um in der Oberpfalz ihre falschen Impfpässe an Interessierte zu bringen. Nochmal einen Tick dreister war eine Bande in München, die direkt digitale Impfnachweise anbot. So hätten Käufer die mühselige Digitalisierung des Impfausweises direkt umgangen. Für einen Impf-Code wollten die Betrüger 350 Euro haben. Das Geschäft flog auf. Bei Durchsuchungen von Wohnungen und einer Apotheke fanden die Ermittler 100.000 Euro in Form von Kryptowährungen. Der Fall, dass direkt digitale Impfnachweise angeboten werden, ist laut Landeskriminalämtern allerdings eine Ausnahme. In der Regel handelt es sich bei den falschen Impfpässen um die gelben Hefte. Die gibt es ganz legal überall zu kaufen. Und die Angebote der Fälscher sind zahlreich.
Ungeimpfter legt Hamburger Betrieb lahm
Was bedeutet das angesichts weiter steigender Infektionszahlen und sich füllender Intensivstationen? Politiker vieler Parteien sowie zahlreiche Experten drängen bereits auf weitere Verschärfungen für Ungeimpfte, um die vierte Pandemie-Welle einigermaßen zu beherrschen und einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Der Druck auf Ungeimpfte dürfte weiter zunehmen. Der Antrieb konsequenter Impfverweigerer, sich einen gefälschten Impfpass zu besorgen, dürfte also steigen. Die gelben Impfpässe sind leicht zu fälschen. Das beklagen viele Ermittler. Zudem werden vermutlich zahlreiche gefälschte Impfpässe in Apotheken gar nicht entdeckt. Ein zentrales Register, in dem Apotheker die Angaben in den Impfpässen überprüfen können, existiert schlicht nicht. Und die aktuelle Rechtslage erzeugt kaum Druck auf Fälscher, Verkäufer oder Nutzer gefälschter Impfpässe.
Dass jede Person, die ungeimpft ist, aber mit einem gefälschten Impfpass herumläuft, ein Problem werden kann, zeigt ein Fall aus Hamburg von Ende Oktober. Dort hatte sich laut "Hamburger Morgenpost" ein 20-jähriger Auszubildender einen gefälschten Impfpass besorgt und war damit ins Ausland verreist. Nach seiner Rückkehr ging er trotz Krankheitssymptomen arbeiten. Als herauskam, dass er positiv auf das Virus getestet wurde, schloss das Gesundheitsamt Hamburg die Firma für drei Tage. Der Verlust liegt etwa bei 20.000 Euro. Glücklicherweise hat sich kein weiterer Mitarbeiter bei dem jungen Mann angesteckt. Der Auszubildende verlor seine Stelle. Nun laufen noch Anzeigen einiger einstiger Kollegen, da er fahrlässig ihre Ansteckung in Kauf genommen habe.
Quelle: ntv.de