
Auf der anderen Seite: Wenn die vier Jahre vorbei sind, dann kann er nie wieder antreten ...
(Foto: REUTERS)
Die Welt spielt verrückt. Man könnte meinen, dass wir in den am besten informierten Zeiten leben - anstatt diese Tatsache jedoch als Vorteil zu nutzen, begeben wir uns in eine Art Steinzeit-Schockstarre. Oder wie kann man sich erklären, dass die Wahl eines Donald Trump überhaupt in Erwägung gezogen wird? Oder dass ein deutscher Staatsbürger im Iran hingerichtet werden kann, ohne dass es einen massiven Aufschrei gibt?
Mein Insta-Kanal ist voll mit Menschen, die in diesen Tagen Urlaub in New York machten oder noch machen. Klar, es sind Herbstferien, aber diese Invasion sieht mir doch verdammt nach "letzte Gelegenheit nicht verpassen" aus: Die letzte Gelegenheit, in einem demokratischen Land Urlaub zu machen (bevor es eventuell zu einer Diktatur wird). Die letzte Gelegenheit, als arabisch aussehender Tourist mit deutschem Pass bei der Einwanderungsbehörde nicht gleich rundgemacht zu werden, als LGBTQIA+-Person nicht sofort zurückgeschickt oder verhaftet zu werden. Als Familie eine unbeschwerte Zeit zu genießen, ohne sich zu fragen, warum so viele Teenager auf Amerikas Straßen schwanger sind. Sich zu fragen, wo diese Busse sind, die Cannabis bis dato noch in allen Geschmacksrichtungen an jeder Ecke verkauften. Es wird ein anderes Amerika sein, wenn Trump an der Macht ist, und Gott bewahre, dass es dazu kommt (meine persönliche Meinung, die Sie nicht teilen müssen). Und ja, korrekt, die eventuell nicht mehr vorhandenen Cannabis-Busse wären wirklich das geringste Problem.
Ich habe mich ja neulich sehr ausgeheult darüber, dass man mit dem E-Auto nicht so gut verreisen kann. Aber was bin ich froh, dass unser E-Auto kein Tesla ist - denn mal abgesehen von dem bescheidenen Werkstatt-Service hätten wir damit eine Person unterstützt, dessen Nachname ich bis vor einigen Jahren eigentlich nur mit einem herben Herrenparfum in Verbindung gebracht habe. Inwieweit Moschusochsen und ihre Vorhäute am Ende des Tages mit dem Extrakt zu tun haben, das in teuren Parfumflaschen landet, wäre einen eigenen Text wert.
Wie eine Löwin gekämpft
Leider bedeutet meine negative und sorgenvolle Sichtweise auch, dass ich demnächst wahrscheinlich nicht mehr bei Amazon bestellen kann, denn Firmengründer Jeff Bezos, früher ein eher sympathischer, uneitler Nerd, ist heute ein glatter, eitler Milliardär und Schwanzeinzieher (#washingtonpost) und auch nicht gerade der Typ, den ich weiterhin mit meinem hart verdienten Geld fluten möchte.

Jasmin Tabatabai, Minu Barati, Düzen Tekkal und Demonstranten bei einer Protestaktion vor der iranischen Botschaft.
(Foto: IMAGO/Future Image)
Ich will also versuchen, eine locker-fluffige Kolumne zu schreiben - aber es will mir nicht gelingen. Es wird immer schwerer. Lustige Geschichten aus dem Alltag kommen mir banal vor, angesichts der Tatsachen, die die Welt bestimmen. Dass Krieg in Europa ist, wissen Sie ja. Auch, wenn es mitunter so wirkt, als wäre nichts - der Mensch ist schließlich ein Verdränger. Und das ist auch gut so, denn ohne ein paar Auszeiten und Ablenkungen könnten wir den Stress kaum überleben. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor, was für einen Stress Sie hätten, wenn Sie um das Leben, sagen wir mal, Ihres Vaters, kämpfen müssten? Weil Sie ihn davor bewahren wollen, in einem Unrechtsregime ermordet zu werden? So wie im Fall von Gazelle Sharmahd: Sie kämpfte wie eine Löwin dafür, dass ihr Vater, ein deutsch-amerikanischer Staatsbürger, der auf einer Reise in Dubai entführt und vier Jahre unter schlimmsten Bedingungen in einem iranischen Gefängnis gefangen gehalten wurde, freikommt. Vergebens. Jamshid, genannt Jimmy, Sharmad wurde umgebracht.
Gazelle und ihre MitstreiterInnen werfen der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung vor, zu wenig getan zu haben und vor allem, dass sie auf die Beileidsbekundungen, die nun auf Gazelle und ihre Familie hereinprasseln, verzichten können. Weder Annalena Baerbock noch Olaf Scholz noch Joe Biden hätten genug getan, um Jamshid Sharmahd aus seiner Lage zu retten. Denn - wenn Joe Biden schon nicht in der Lage war, einzugreifen, und der ist immerhin Mister Transatlantik-Beziehungen, wie soll das erst werden, wenn The Donald am Ruder ist? Immerhin wären die Zeiten der sogenannten, in diesem Fall nicht bewährten, "stillen Diplomatie" unter Trump vorbei ...
So tun als ob?
Während unsereins also droht, an der Aufgabe zu zerbrechen, den alten Eltern mit Demenz oder anderen Krankheiten noch ein paar schöne Jahre zu bereiten, haben andere gar nicht die Möglichkeit, überhaupt so alt zu werden. Weil sie umgebracht oder eingesperrt werden. Macht mich das froh, dass es mir und den meinen da besser geht? Natürlich nicht, nur demütig, denn das Leid Gazelles und ihrer Familie, hauptsächlich ihres Vaters, der mit einer Parkinsonerkrankung und ausgeschlagenen Zähnen in Einzelhaft vier Jahre vor sich hinvegetieren musste, ist mir gegenwärtig.
Ich werde jetzt nicht alle Kriegs- oder Terrorherde dieser grundsätzlich so schönen Welt aufzählen können in meiner kleinen Kolumne hier, ich kann nur nicht so tun, als ob nichts wäre. Oder als ob meine größte Sorge wäre, was ich heute Abend anziehe oder wie Hertha spielt, wann ich mir die nächste Me-Time gönne und endlich den Glow hole, der mir an jeder Ecke versprochen wird. Ich hätte gern, dass es so ist. Aber es ist so nicht.
Es fällt mir momentan schwerer, Small Talk zu betreiben. Soll ich sagen, mir geht’s gut, wenn ich doch weiß, dass Iran Israel mit Bomben flutet oder umgekehrt? Was soll ich mir denn bloß wünschen, ohne zu klingen wie eine Vierjährige?
Ich mach' mir trotz allem ein schönes Wochenende, denn ich sehe Freunde und Familie, werde mit Musik und Gänsen vollgestopft, und hoffe inständig, es geht Ihnen genauso!
Quelle: ntv.de