Panorama

Rom und seine Geheimnisse Italiens Polizei sucht den verschollenen Staatsanwalt Adinolfi

22.11.2025, 10:43 Uhr A. Affaticati 1Andrea Affaticati
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Die Polizei ist mit einem Großaufgebot an der Villa Osio im Einsatz. (Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Der Plan, unterirdisch Pilze anzubauen, könnte das jahrelange Geheimnis um das Verschwinden des italienischen Staatsanwaltes Paolo Adinolfi lüften. Ermittler graben in Rom, zutage kommen sollen entscheidende Beweise und kriminelle Verstrickungen - auch auf höchster Ebene.

Es ist eine Geschichte, die man erfinden müsste, gäbe es sie nicht schon: Es geht um einen verschwundenen Staatsanwalt, eine Villa aus den 30er Jahren, den Kassenwart der damals gefährlichsten kriminellen Organisation Roms, einen 25 Meter langen Tunnel unter der Villa und dem Park, einen Ermittler, der seit 30 Jahren keine Ruhe findet und - um den Anbau von Pilzen.

Es ist Samstag, der 2. Juli 1994, ein brütend heißer römischer Sommertag, als sich der Staatsanwalt Paolo Adinolfi von Frau und Kindern verabschiedet und auf den Weg zur Arbeit macht.

Adinolfi ist 52 Jahre alt, Staatsanwalt und dem Berufungsgericht zugeteilt; letzteres aber erst seit kurzem. Davor war er mehr als zehn Jahre lang in der Insolvenzabteilung. Eine nicht ganz ungefährliche Aufgabe, denn es ging nicht selten auch um Geldwäsche und andere unlautere Geschäfte. Außerdem hatte er den Ruf eines unbeugsam peniblen Beamten.

Es ist einer dieser nicht ungefährlichen Fälle, der ihn 1992 den Entschluss fassen lässt, den Antrag auf Versetzung zu stellen. Bei der Akte ging es um das Finanzunternehmen Fiscom, das auch in mutmaßlich kriminelle Geschäfte verwickelt zu sein schien. Adinolfi hatte bei Fiscom das Konkursverfahren angeordnet. Doch während er im Urlaub war, hatte ein Kollege eigenmächtig beschlossen, diesen Beschluss wieder aufzuheben. Adinolfi war darüber entrüstet und ließ sich versetzen.

Fatales Insiderwissen

Doch der Fiscom-Fall schien ihn trotzdem nicht loszulassen. So rief er wenige Tage vor seinem Verschwinden den Kollegen Carlo Nocerino in Mailand an, um ihm zu sagen, er habe interessante Hinweise im Fall der Ambra Versicherung, an dem Nocerino gerade arbeitete. Ambra gehörte zu Fiscom, daher wahrscheinlich Adinolfis Infos. "Ich sagte ihm, er solle sie mir doch schriftlich schicken" erinnert sich Nocerino, "doch er erwiderte, er wolle sie mir als einfacher Bürger und nicht als Richter geben, und deswegen würde er nach Mailand kommen."

Nocerino hatte im Fall Ambra mehrere Festnahmen angeordnet, darunter auch die von Enrico Nicoletti. Eine äußerst dubiöse Figur, der Adinolfi wiederum in der Causa Fiscom schon begegnet war. Außerdem war Nicoletti der Kassenwart der Banda della Magliana, einer kriminellen Organisation, die zwischen 1977 und 1983 an der Spitze des organisierten Verbrechens in Rom stand und gute Kontakte zu Politikern, Geheimdiensten, der Cosa Nostra sowie zu hochrangigen Vertretern des Vatikans pflegte. Der Roman "Romanzo Criminale" (vom Folio Verlag auf Deutsch publiziert) des ehemaligen Staatsanwalts und mittlerweile sehr geschätzten Schriftstellers Giancarlo De Cataldo gewährt dazu tiefe Einblicke.

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Dass es einen Zusammenhang zwischen der Bande und dem Verschwinden von Adinolfi geben könnte, hält der ehemalige Staatsanwalt Otello Lupacchini für gut möglich. Er ermittelte jahrelang gegen die Bande. Zwar stimmt es, dass zur Zeit von Adinolfis Verschwinden ein Großteil der Mitglieder im Gefängnis saß oder gestorben war. Das Geld, das sie in den Jahren zusammengeschaufelt und investiert hatten, wurde aber verwaltet und zwar von Nicoletti. Und da Adinolfi sicher über viel Insiderwissen verfügte, ist der Gedanke, er sei mundtot gemacht worden, nicht ganz abwegig.

Die Ermittlungen im Fall Adinolfi wurden zweimal aufgenommen und beide Male ziemlich schnell wieder ad acta gelegt. Das erste Mal schon ein Jahr nach dem Verschwinden, weil es nicht den kleinsten Hinweis oder Anhaltspunkt gab, der auf einen gewaltsamen Tod oder auf Suizid hinwies.

Der zugemauerte Tunnel unter der Villa

Die Ermittlungen nehmen jedoch wieder Fahrt auf, als Francesco Elmo aussagt. Elmo ist ein "pentito", ein Verurteilter, der mit den Ermittlern kooperiert, und kann mit Insiderwissen aus den Geheimdiensten dienen.

Er ist es, der dem damals ermittelnden Staatsanwalt Guglielmo Muntoni den Wink gibt, unter der Villa Osio zu graben, deren Besitzer der Kassenwart der Bande Nicoletti war. Er hatte sie in den 80er Jahren von einem Glaubensverband gekauft, der unter der Obhut des römischen Vikariats stand und vom damaligen Kardinalvikar Ugo Poletti geführt wurde. Elmo behauptete weiter, Adinolfi sei von Handlangern der Banda della Magliana auf Anweisung der Geheimdienste ermordet worden.

"Alle waren daran interessiert herauszufinden, was sich unter diesem Teil des Grundstücks befand", erzählte Muntoni jüngst der Tageszeitung "Corriere della Sera". "Und unseren Recherchen zufolge konnte dort sehr wohl ein Versteck sein." Doch dann stürzte ein Teil des Tunnels ein und die Grabungen wurden wegen fehlender finanzieller Ressourcen eingestellt.

Muntoni ist heute in Rente und Vorsitzender der Monitoring-Abteilung gegen Finanzkriminalität der Handelskammer. Der Fall Adinolfi in Verbindung mit dem Tunnel und der Magliana-Bande hat ihn nie wirklich losgelassen. Nicht zuletzt, weil es heißt, dass die Bande eine spezielle Vorliebe für unterirdische Einrichtungen hatte.

So entdeckte die Polizei 1981 ein Waffenarsenal im Tiefgeschoss des damaligen Gesundheitsministeriums. Enrico De Pedis, einer der Bosse der Banda della Magliana wurde wiederum in der Krypta der Basilica Sant'Apollinare begraben. Die Bewilligung kam von Kardinalvikar Ugo Poletti.

Auch Gebeine könnte man finden

Aber zurück zu Muntoni und seiner originellen Idee, die Grabungen wieder aufzunehmen. Offiziell geht es nämlich nicht mehr darum, herauszufinden, ob und wenn ja, was sich im unterirdischen Tunnel verbirgt, sondern um eine breitflächige Pilzkultur, die man dort anbauen möchte.

Das hört sich auch für den Schriftsteller De Cataldo skurril an. Im Interview mit der Tageszeitung "La Repubblica" sagte er, das sei nur ein Aufhänger für die Presse. "Muntoni ist ein sehr verdienter Staatsanwalt" hebt er hervor, "der schon seit langem behauptet, dass sich unter der Nicoletti-Villa eine zugemauerte Galerie befindet."

Eine Galerie, in der alles Mögliche versteckt sein könnte. "Wir vermuten Waffen, Juwelen, und auch Gebeine sind nicht ausgeschlossen", meint Muntoni. Bei letzteren könnte es sich um die sterblichen Überreste von Adinolfi handeln, oder die von Emanuela Orlandi, wie die Medien in den letzten Tagen mutmaßten. Orlandi war die 15-jährige Tochter eines Vatikanangestellten, die im Sommer 1983 spurlos verschwand.

Die Ausgrabungen wurden Ende voriger Woche wieder aufgenommen. Die Villa selber wurde Anfang der 2000er Jahre als Mafiabesitz konfisziert und später den Römern als Casa del Jazz, eine international bekannte Jazz-Location zurückgegeben. Doch mehr als die Musik sind es die mutmaßlichen Geheimnisse, die im Moment das Publikum dorthin ziehen. Und die Hoffnung, dass Paolo Adinolfis Schicksal endlich aufgeklärt wird.

Quelle: ntv.de

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