Panorama

Italiens berühmter Cold Case Spektakuläre Wendung im Mafia-Mord an Mattarella

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Der Politiker war auf dem Weg in die Kirche, als sein Mörder ihn durch die Scheibe des Fensters erschoss.

Der Politiker war auf dem Weg in die Kirche, als sein Mörder ihn durch die Scheibe des Fensters erschoss.

(Foto: picture alliance / ipa-agency)

Vor mehr als 45 Jahren wird der Politiker Piersanti Mattarella in Italien ermordet. Schnell gilt die Mafia als Auftraggeber, doch wer den Abzug drückte, ist bis heute ein Rätsel. Nun nehmen die Ermittler einen ehemaligen Polizisten fest. Er steht im Verdacht, wichtige Beweise verschleiert zu haben.

6. Januar, 1980, Dreikönigstag, Vormittag. Der Politiker Piersanti Mattarella sitzt im Auto vor seiner Wohnung. Er will mit seiner Frau, seiner Tochter und seiner Schwiegermutter in die Kirche fahren. Doch ein Mann nähert sich seiner Wagenseite, dann feuert er mehrmals durch das Fenster, direkt auf Mattarella. Wenige Minuten später stirbt dieser in den Armen seines Bruders Sergio.

Von dieser qualvollen Szene gibt es ein berühmtes Foto der Fotografin Letizia Battaglia. Denn der Tote ist seit März 1978 Präsident der Region Sizilien. Sein Bruder Sergio ist heute Italiens Staatsoberhaupt.

45 Jahre sind seit dem Attentat verstrichen. 1995 wurden die Mafiabosse Totò Riina, Michele Greco und Nino Madonia als Auftraggeber verurteilt. Der Mörder ist aber bis heute unbekannt. Nicht wegen schlampiger Ermittlungen, sondern weil diese immer wieder gezielt verhindert und in die falsche Richtung geführt wurden, wie der damalige Ermittler Pietro Grasso der Tageszeitung "La Repubblica" sagte.

Festnahme nach 45 Jahren

Nichtsdestotrotz gab man die Ermittlungen nie auf - offenbar mit Erfolg: Vergangenen Freitag wurde der ehemalige Polizist und heute 74-jährige Rentner Filippo Piritore in Haft genommen. Wegen seines Alters bedeutet dies, dass er unter Hausarrest gestellt wurde. Piritore, der es bis zum Präfekten gebracht hat, soll von Tag eins an bewusst falsche Fährten gelegt haben. Das nehmen Staatsanwalt Maurizio De Lucia und zwei Stellvertreter an. Allerdings haben sie keine handfesten Beweise, es gilt die Unschuldsvermutung.

Was dem ehemaligen Polizisten jedoch zum Verhängnis werden könnte, ist ein Handschuh, der damals in einem Auto gefunden wurde, in dem der Mörder nach seiner Tat geflüchtet sein soll. Dem Handschuh wurde damals wenig Aufmerksamkeit geschenkt, wahrscheinlich weil die technischen Analyseinstrumente, die eine DNA-Zuordnung ermöglicht hätten, noch fehlten. Als es schließlich Möglichkeiten für Analysen gab, war der Handschuh verschwunden.

Dafür gibt es Anmerkungen und Notizen von Piritore. In diesen heißt es, er habe dem Kollegen aus der Kriminalabteilung, Giuseppe Di Natale, den Handschuh mit der Anweisung übergeben, ihn Staatsanwalt Pietro Grasso auszuhändigen. Sowohl Di Natale wie Grasso bestritten diese Behauptung. Außerdem gibt es Ungereimtheiten: Wie die Tageszeitung "Corriere della Sera" schreibt, arbeitete Di Natale ausschließlich im Labor. Obendrein war er an jenem Tag krankgeschrieben. Und warum sollte der Handschuh überhaupt zuerst dem Staatsanwalt gegeben, anstatt gleich zur kriminaltechnischen Untersuchung weitergeleitet zu werden? Eine Frage, die sich auch der Staatsanwalt Grasso, heute in Rente, stellt. "Allein vom investigativen Standpunkt her hätte es dafür überhaupt keinen Grund gegeben."

Kampf gegen Mafia-Verfilzungen

Mattarella war ein angesehener, aber auch unbequemer Spitzenpolitiker der Christdemokratischen Partei Democrazia Cristiana (DC). Eine Partei, die auch Beziehungen zu der Mafia hatte, basierend auf dem Prinzip "eine Hand wäscht die andere": Die Cosa Nostra bekam die lukrativsten öffentlichen Aufträge und im Gegenzug sicherten die Mafiabosse der DC die nötigen Stimmen bei den Wahlen. Mattarella wollte diesen Verfilzungen ein Ende setzen. Die Mafia hätte also ein Interesse gehabt, den Mann aus der Welt zu schaffen. Mit ihm als Präsident der Region waren ihre Geschäfte in Gefahr.

Mattarella war aber nicht nur der Cosa Nostra ein Dorn im Auge. Auch ein Teil der DC haderte mit seinen ethischen Prinzipien, sowie mit seiner Befürwortung, dass sich die Partei nach links öffnen sollte. Das könnte der Grund sein, warum die Ermittler auch auf Personen aus der neofaschistischen Szene gestoßen sind.

Piritores Vorgesetzter war damals Bruno Contrada, ein schillernder Staatsdiener, der später selbst wegen externen Mitwirkens bei Cosa Nostra zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Contrada ermittelte im Fall Mattarella, pflegte aber gleichzeitig den Kontakt zu den Mafiabossen Greco und Riina. Wenige Monate nach dem Mord flog Contrada nach London. Er wollte Irma Chiazzese, die Witwe, treffen und ihr Fotos des Mafioso Salvatore Inzerillo zeigen. In diesem sollte sie den Mörder ihres Mannes wiedererkennen.

Mord aus Gefälligkeit?

Chiazzese verneinte dies jedoch. Sie saß bei dem Mord neben ihrem Mann. Sie war sich stattdessen sicher, den Täter in dem Neofaschisten Valerio Fioravanti zu erkennen. Dieser soll in jenen Tagen in Palermo gewesen sein. Die Aussage der Witwe wurde aber als unzureichend für einen Haftbefehl bewertet. In Italien wird der Name Fioravanti vor allem mit dem Attentat vom 2. August 1980 am Bahnhof von Bologna in Verbindung gebracht. Es starben 85 Menschen und Fioravanti bekam zusammen mit seiner Frau lebenslänglich.

Einer, der bis heute davon überzeugt ist, dass Mattarellas Mörder Fioravanti war, ist der ehemalige Staatsanwalt Leonardo Agueci, heute 75 Jahre alt. Für ihn bleibt es unbegreiflich, wie man die Aussage der Witwe als unzureichend behandeln konnte.

Aber warum sollte sich die Mafia eines externen Mörders bedienen? Es könnte sich um einen Austausch von Gefälligkeiten gehandelt, sagte Agueci im Interview mit dem "Corriere della Sera". Die Cosa Nostra könnte versprochen haben, dem Neofaschisten Pierluigi Concutelli bei der Flucht aus dem Gefängnis von Palermo zu helfen. Im Gegenzug sollte Mattarella aus dem Weg geschafft werden.

Und dann gibt es noch einen weiteren Grund. In einem Interview mit der Tageszeitung "La Stampa" erinnert der ehemalige Staatsanwalt Felice Casson an eine damalige Anweisung der CIA, laut der man Terrorgruppen, egal aus welchem Lager, für seine eigenen Interessen benutzen sollte, um einen Linksrutsch zu vermeiden. Und Mattarella galt damals als einer, der diesen Linksrutsch befeuerte.

Quelle: ntv.de

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