Morde, falsche Pässe und Razzien Junger Drogenboss führt Ermittler an Nase herum
08.08.2023, 20:18 Uhr Artikel anhören
Sebastián Marset ist auf der Flucht - dies ist ein Screenshot seiner Videobotschaft.
(Foto: VIDEO OBTAINED via REUTERS)
Sebastián Marset gibt sich in Bolivien als Geschäftsmann aus, lebt mit seiner Familie in einer Villa, spielt Fußball. Er ist einer der berüchtigsten Drogenbosse Südamerikas. Seit Jahren führt er Ermittler und Behörden vor.
Fast hätten Einsatzkräfte in Bolivien Ende Juli eine jahrelange Jagd um die halbe Welt erfolgreich abgeschlossen. Doch die Ermittler verraten sich - und der Drogenboss Sebastián Marset entkommt ein weiteres Mal. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern gelingt ihm die Flucht vor der "Operation Löwe 23" - womöglich der größte konzertierte Einsatz seit der Jagd auf den berüchtigten kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar.
Einige Tage später, die Polizisten haben inzwischen mehrere seiner Komplizen festgenommen, veröffentlicht der 32-Jährige ein Video: Darin dankt er dem Chef der bolivianischen Anti-Drogen-Einheit dafür, ihn vorab vor der Razzia gewarnt zu haben. Dieser widerspricht vehement: "Ich lasse mir nicht 30 Jahre meiner Karriere von einem Drogenschmuggler beschmutzen", poltert Ismael Villca. Die Polizei habe sich "fehlerlos" verhalten. "Wir kriegen Marset", versichert auch Boliviens Innenminister Eduardo Del Castillo nach dem gescheiterten Zugriff.
Marset ist derzeit der meistgesuchte Drogenboss Südamerikas. Er führt das internationale Drogenkartell "Primer Cartel Uruguayo" (PCU) an, die bislang mindestens 16 Tonnen Kokain nach Europa geschmuggelt haben. Ganz zu schweigen von kontinentalen Lieferungen. Dem Uruguayer sind seit vergangenem Jahr Interpol, die Anti-Drogenbehörde DEA sowie Ermittlern aus vier südamerikanischen Ländern auf der Spur. Auslöser war der Mord an dem paraguayischen Staatsanwalt Marcelo Pecci, der gegen Marset und seine Komplizen ermittelte.
Die Tat löste Entsetzen auf dem gesamten Kontinent aus. Zwei Auftragskiller hatten ihr Vorhaben auf der kolumbianischen Privatinsel Barú nahe Cartagena ausgeführt, wo Pecci und seine Frau Claudia Aguilera ihre Flitterwochen verbrachten. Sie war schwanger, das Paar befand sich am Strand, als sie dabei zusah, wie die beiden Männer ihrem Mann eine Kugel in den Kopf und eine in den Rücken jagten. Sie und zwei weitere Verschwörer wurden später gefasst und zu 23 Jahren Haft verurteilt. Laut der Aussage von einem der Täter hatten die Auftraggeber insgesamt 370.000 Dollar für die Ausführung gezahlt.
Pecci hatte eine Schlüsselrolle in der größten Ermittlung gegen Kokainschmuggel und Geldwäsche in der Geschichte Paraguays. Die Ermittler bewerten den Mord an ihm auch deshalb als Racheaktion des Drogenbosses und seiner Verbündeten. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro nannte Marset danach ein "gesamtamerikanisches und weltweites Problem". Der siedelte daraufhin nach Bolivien über, wo er mit bolivianischem Pass unter falschem Namen mit seiner Familie lebte: getarnt als Geschäftsmann und Zweitligafußballer. Bis er Ende Juli schließlich Wind von der Razzia bekam.
Beste Kontakte
2250 Polizisten, Hausdurchsuchungen und Festnahmen sollten Marset in der Stadt Santa Cruz de la Sierra einkesseln. Der Plan war, den 32-Jährigen am Rande eines Zweitliga-Fußballspiels seiner Mannschaft "Los Leones El Torno", bei dem er selbst auflaufen sollte, festzunehmen, sagte Del Castillo. Am Tag davor hatte die Polizei das Anwesen mit Drohnen beobachtet, was den Drogenboss und seine Helfer womöglich vorwarnte. Die schnappten sich daraufhin einen der beobachtenden Polizisten als Geisel; die Operation war enttarnt.
Die Polizisten stürmten sein Anwesen, trafen ihn jedoch nicht an, sondern auf den Widerstand seiner Sicherheitsleute. Währenddessen floh Marset in einem weißen Geländewagen. Die Einsatzkräfte fanden in seinem Haus Schnellfeuer- und Handfeuerwaffen, Luxuskarossen und lebendige Tiere, darunter Affen und Ozelots. Sie beschlagnahmten Geld, Gegenstände und Immobilien im Wert von 8,8 Millionen US-Dollar.
Das Geld verdiente Marset mit Drogenschmuggel nach Europa sowie zwischen Paraguay, Uruguay, Brasilien und Bolivien, wo Santa Cruz im wohlhabenderen Teil des Landes ein wichtiger Durchgangspunkt für Lieferungen in Richtung Osten ist. Dort bekämpfen sich auch die brasilianischen Drogengangs Primeiro Comando da Capital aus São Paulo und das Comando Vermelho aus Rio de Janeiro.

Innenminister Eduardo del Castillo (Mitte) verkündet am 4. August die Festnahme von Erlan Ivar García López, Marsets rechte Hand.
(Foto: Ministerio de Gobierno Bolivia)
Marset hat beste Kontakte, die er sich über das vergangene Jahrzehnt aufgebaut hat. Im Jahr 2012 fliegt er Marihuana mit dem Onkel des früheren paraguayischen Präsidenten Horacio Cartes nach Uruguay. Ein Jahr später wird er für eine weitere Lieferung in Uruguay wegen Drogenschmuggels festgenommen und muss fünf Jahre ins Gefängnis. Am Rande der Hauptstadt Montevideo knüpft er laut Medienberichten Kontakte zu anderen Drogennetzwerken.
Nach seiner Entlassung zieht er nach Paraguay. Als er 2021 nach Dubai reist, wird er dort mit einem gefälschten paraguayischen Reisepass festgenommen. Doch er kommt schnell wieder frei, weil er es schafft, über das dortige Konsulat einen "sauberen" Pass aus seiner Heimat zu erhalten. Der Fall löst einen politischen Skandal in Uruguay aus, der die dortige Vizeaußenministerin Carolina Ache Ende 2022 den Job kostet. Ache hatte den Antrag durchgewinkt und behauptet, nicht gewusst zu haben, wer Marset war. Ende vergangenen Jahres jedoch wird bekannt, dass sie vom Vizeinnenminister gewarnt worden war: Marset sei "sehr wichtig und sehr gefährlich", hieß es in einer seiner Chatnachrichten an Ache.
Geiselnahme und Flucht
Im März 2022 beginnen in Paraguay die breit angelegten Ermittlungen des später ermordeten Staatsanwalts und seiner Mitarbeiter: Marset sei ein interkontinentaler Drogenschmuggler und Geldwäscher, der mit der einflussreichen Insfrán-Familie zusammenarbeite, lässt Pecci wissen. Die Insfrán-Familie ist bestens in Politik und der katholischen Kirche vernetzt. Deren Mitglieder flüchten nach Ermittlungsbeginn aus Paraguay, darunter etwa der sogenannte "Narco-Pastor" José Insfrán. Er soll sich ebenfalls in Bolivien befinden. Der mutmaßliche Kopf der Familie, Miguel Ángel Insfrán alias "Tío Rico", wird im Februar in Brasilien gefasst und an Paraguay ausgeliefert.
Marset selbst ist weiterhin auf der Flucht. Die Ermittler gehen seither weiter gegen sein Netzwerk vor, haben in Santa Cruz de la Sierra Dutzende weitere Durchsuchungen durchgeführt und Personen festgenommen, um Marset unter Druck zu setzen. So konnten sie auch den Ort identifizieren, an dem der Drogenboss seine Videonachricht aufnahm: Ein riesiges Anwesen mit einem in drei Monaten hochgezogenen Haupthaus nahe der Stadt. Doch dort sind er und seine Familie längst nicht mehr. Sie sind bereits weitergezogen.
Quelle: ntv.de