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Komplizierte Nachlässe Marcel Sonnenberg räumt das Erbe der Toten auf

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Hinter den Türen trifft Marcel Sonnenberg auf ganz unterschiedliche Leben.

Hinter den Türen trifft Marcel Sonnenberg auf ganz unterschiedliche Leben.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wenn beim Erben nicht alles glattgeht, wird oft Marcel Sonnenberg gerufen. Er löst als Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter Vermögen und Nachlässe auf. Dabei begegnen ihm die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens, vom überraschenden Millionenerbe bis zu Pornosammlungen.

Wenn Marcel Sonnenberg eine Wohnung betritt, vertraut er zuerst einmal seiner Nase. "Ich rieche dann erst einmal. Riecht es nur ein bisschen muffig und abgestanden, ist da was Schlimmeres", erzählt Sonnenberg ntv.de. Der Testamentsvollstrecker bekommt die Wohnungsschlüssel, nachdem die Polizei und der Verstorbene schon weg sind. Der Tod ist schon etwas her, aber auch die Küche oder der Müll können ganz schön stinken. Er macht dann erstmal alle Fenster auf. Danach fängt er an, zu suchen.

Sonnenberg ist Anwalt und arbeitet als Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger, Nachlassverwalter und Nachlassinsolvenzverwalter. Was diese Jobs gemeinsam haben, ist: Er wird gerufen, wenn jemand gestorben ist. "Als Testamentsvollstrecker setze ich den im Testament festgehaltenen Willen des Verstorbenen um, auch wenn die Erben bekannt sind", beschreibt der 52-jährige diesen Teil seiner Arbeit. Dann gründet er zum Beispiel eine Stiftung, verkauft Häuser oder verteilt finanzielles Erbe.

Seit dem Jahr 2000 ist der Rechtsanwalt überwiegend mit der Ermittlung und Verwaltung von Vermögen betraut.

Seit dem Jahr 2000 ist der Rechtsanwalt überwiegend mit der Ermittlung und Verwaltung von Vermögen betraut.

(Foto: Michael Philipp Bader)

Nachlassverwaltung und -pflege dagegen beginnt, wenn jemand stirbt und die Erben erst einmal unbekannt sind. "In Deutschland erbt man in dem Moment, in dem der Erblasser stirbt." Damit das Erbe nicht unbetreut ist, während die Erben ausfindig gemacht werden, springt Sonnenberg ein. Und auch wenn ein Erbe ausgeschlagen wird, etwa weil hohe Schulden zu befürchten sind, kümmert er sich um die Abwicklung eines Menschenlebens. Er lässt Wohnungen ausräumen, kündigt Versicherungen und zieht Bilanz.

Doch um zu wissen, was überhaupt aufzuräumen ist, muss er es erst einmal finden. Er öffnet zuerst Schränke und Türen und hofft, Ordner mit den Worten "Haus" oder "Bank" zu finden. Nur wenn er eine Kontonummer oder den Namen einer Bank findet, kann er Bankkonten auflösen, Häuser verkaufen und das Geld den Erben zukommen lassen. Durch die zunehmende Digitalisierung ist seine Arbeit schwieriger geworden. Er wird zwar legal zum Stellvertreter der Toten, doch in eine Banking-App auf dem Handy kann auch er nicht einbrechen. Deswegen hat Sonnenberg selbst auch einen klassischen Ordner, in dem steht, welche Konten und Anlagen er hat.

Keine Überraschungen für die Erben

Oft kümmert sich Sonnenberg auch um Nachlässe, die von den Erben ausgeschlagen wurden. Wer von einem Erbe erfährt, hat sechs Wochen Zeit, es abzulehnen. Das gilt dann allerdings nicht nur für finanzielles Vermögen, sondern auch für persönliche Gegenstände, Schmuck und Fotos. Wer sich trotzdem Zutritt zur Wohnung des Verstorbenen verschafft und etwas mitnimmt, begeht Hausfriedensbruch und Diebstahl. Nachprüfen lassen sich solche Fälle allerdings kaum. Trotzdem empfiehlt Sonnenberg im Zweifelsfall, ein Erbe auszuschlagen, wenn man nicht sicher weiß, dass wirklich ein Guthaben da ist. "Die Leute sagen dann immer, ich glaube, da ist Geld." Doch die Gefahr, Schulden zu erben, sei hoch. Im Fall des Verzichts tritt der Staat als Erbe ein. Er erbt alles Guthaben, allerdings keine Schulden.

Wer sicherstellen will, dass das Erbe in die richtigen Hände gelangt, sollte ein Testament aufsetzen. Dabei ist allerdings einiges zu beachten. Sonnenberg begegnen immer wieder Fälle, in denen schlecht gemachte Testamente Streit auslösen, manchmal sogar, obwohl es gut gemeint ist. "Zuerst einmal sollte man das gesamte Vermögen auflisten, sich mit den Erben an einen Tisch setzen und erklären, wie man sich das gedacht hat."

Damit könne man auch dafür sorgen, dass es keine Überraschungen gibt und die Erben sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Eltern eines behinderten Kindes möchten vielleicht jemanden mit der Vertretung seiner Interessen betrauen. Nichtbehinderte Geschwister könnten sich davon verletzt fühlen, obwohl die Eltern ihnen lediglich diese Verantwortung abnehmen wollen. Im Gespräch können Lösungen für solche Konflikte gefunden werden.

In einem anderen Fall, über den Sonnenberg in seinem gerade erschienenen Buch "Die Erben der Toten" schreibt, vermachte ein Mann sein Vermögen mittels einer Stiftung der Stadt. Der Verstorbene hatte nicht bedacht, dass dazu auch das Wohnhaus gehörte, in dem seine Frau noch lebte. Die Witwe bekam zwar den Pflichtanteil, musste aber aus dem Haus ausziehen. "Dann schrieb er noch in das Testament: Vielen Dank für die schönen Jahre, ich würde mich freuen, wenn du dein Vermögen auch noch der Stadt vermachen würdest. Er hatte die Konsequenzen einfach nicht bedacht."

Aufräumen und drüber reden

Auch das Testament hinten im Schrank zu verstecken, ist laut Sonnenberg keine gute Idee. Der letzte Wille sollte klar erkennbar und umsetzbar sein. Bemerkungen wie: "Ich vermache alles an meine Freunde vom Angelverein" oder "Paul bekommt 10 k" enthalten zu viel Spekulation und führen dazu, dass das Erbe nicht nach dem Wunsch des Erblassers verteilt werden könne. Auch Tiere sollte man nicht einfach ohne Absprache an jemanden vermachen.

Am schlimmsten findet Sonnenberg die Fälle, die von großer menschlicher Kälte zeugen. Wenn er die Wohnung von jemanden ausräumt, wo wirklich niemand mehr da ist, der sich kümmert oder erkundigt. "Dann denke ich, seid doch nett zu euren Mitmenschen, ruft mal an, macht den ersten Schritt." Auch Fälle, in denen Menschen lieber die Türe ihrer Nachbarn zukleben, als die Polizei zu rufen, wenn es anfängt zu stinken, jagen ihm einen Schauer über den Rücken. Gleichzeitig hat er selbst mehr Verständnis für die Menschen entwickelt. Wenn ihn zum Beispiel ein wütender Vermieter anruft, weil seine Miete nach dem Tod des Mieters nicht mehr bezahlt wird. "Dann versuche ich, mich in den Menschen hineinzuversetzen. Der hat vielleicht seit fünf Monaten keine Miete bekommen, der muss vielleicht noch einen Kredit abbezahlen oder Reparaturen stehen an. Dann sage ich: Geben sie mir etwas Zeit, wir bekommen das schon hin."

Und wenn jetzt wirklich jemand anruft und ein Erbe von einer entfernten Tante winkt? "Die meisten Menschen sind erst einmal misstrauisch. Lassen Sie sich Dokumente zuschicken und den Namen des zuständigen Amtsgerichts sagen." Und dann? "Seid dankbar!" Sonnenberg erlebt immer wieder, dass der Geldsegen schnell in Profitgier mündet. Dann wird das Bild über der Couch für ein Original gehalten und der Modeschmuck für ein Diamantcollier. Der Mann, der häufiger als viele glauben mögen, unbekannte Erben ausfindig macht, wünscht, dass sich die Menschen über das unerwartete Geld mehr freuen würden: "Es ist ein Geschenk, ein unerwartetes, für das man nichts tun musste". Stattdessen wird oft noch über den Erlös der Münzsammlung gestritten, obwohl diese heute größtenteils nur noch den Silberrestwert einbringt.

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Sonnenberg selbst ist durch seine Arbeit gelassener mit dem Tod geworden - und hat sich gut vorbereitet. "Überall ist von Longevity die Rede, aber die Leute vergessen, dass wir alle einmal sterben müssen." Für ihn bedeutet das: Viel Zeit mit Familie und Lieben verbringen, den eigenen Willen gut hinterlassen und aufräumen. "Man sollte sich überlegen, ob man wirklich möchte, dass jemand anderes all das Zeug durchgehen und loslassen muss." Er berichtet von unzähligen Kaffeeservices, die in Kellern verstauben und ausgedehnten Pornosammlungen, die er in fast jeder Wohnung findet. Deswegen ist er generell auch kein Fan von Sammlungen. "Das ist alles viel weniger wert, als man denkt und landet hinterher meist auf dem Müll."

Außerdem hat er einen Rat: "Seid transparent und redet mit euren Erben über euer Vermögen." Angelegenheiten organisieren, Altlasten loslassen, das Vermögen verschenken oder die Erben informieren; das spart Erbschaftsteuer, vermeidet Konflikte und teilt Freude. Wer Erinnerungsstücke und Fotos schon an die nächste Generation weitergegeben hat, vermeidet, dass hinterher jemand in die Wohnung einbrechen und etwas mitnehmen kann. Auch die Sorge, ausgenutzt zu werden, wenn die Erben wissen, wie viel zu erwarten ist, teilt er nicht. Wenn ihn jemand fragt, sagt er immer: "Gebt lieber mit warmer Hand."

Quelle: ntv.de

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