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Umstrittene Medikamentengaben Prozess gegen Kinderpsychiater Winterhoff beginnt

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Winterhoff bestreitet alle Vorwürfe.

Winterhoff bestreitet alle Vorwürfe.

(Foto: picture alliance / eventpress/mp)

Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff steht für eher autoritäre Erziehungsmethoden und findet dafür lange Unterstützung. Doch dann wird Kritik laut - an eigenartigen Diagnosen und umstrittenen Medikamentenverordnungen. Nun steht der Mediziner vor Gericht.

Jahrelang ist der Kinderpsychiater und Sachbuchautor Michael Winterhoff ein Star auf dem Büchermarkt und in Talkshows. Seine Thesen über angeblich zu wenig emotional und sozial entwickelte Kinder, die ihre Eltern tyrannisieren, treffen auf eine Gesellschaft, die vor allem funktionierende Kinder erwartet.

Doch 2021 kommen in Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung Kinder, Jugendliche und Eltern zu Wort, die von Winterhoff ärztlich behandelt wurden. Immer wieder diagnostizierte er demnach "frühkindlichen Narzissmus" und "Eltern-Kind-Symbiose". Beide Diagnosen sind in Fachkreisen umstritten.

Nun beginnt gegen Winterhoff ein Prozess vor dem Bonner Landgericht. Die Anklage lautet auf gefährliche Körperverletzung durch Beibringung von Gift. Der inzwischen 70-Jährige weist die Vorwürfe zurück.

Pipamperon für alle?

Hintergrund sind Winterhoffs medikamentöse Verordnungen im Rahmen von Behandlungen. Seine jungen Patientinnen und Patienten erhielten zum Teil über Jahre das Medikament Pipamperon, das sedierende Wirkung hat und schwere Nebenwirkungen auslösen kann. Laut Anklage soll Winterhoff die ruhigstellenden Neuroleptika 36 Kindern und Jugendlichen zur Dauerbehandlung verordnet haben. Der dazu erklärte Wirkmechanismus des Medikaments - es mache die Kinder emotional erreichbar - sei wissenschaftlich nicht nachvollziehbar, so die Staatsanwaltschaft. Bei vielen Patienten sollen Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Bewegungssteifheit und erhebliche Gewichtszunahmen aufgetreten sein.

Das Psychopharmakon Pipamperon beziehungsweise das entsprechende Nachahmerpräparat Dipiperon wird zur Behandlung von Schlafstörungen und Unruhezuständen eingesetzt. Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sollte es nach Herstellerangaben nur unter besonderer Berücksichtigung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses verordnet werden.

Die Staatsanwaltschaft schreibt dazu in der Anklage, für diese Verordnung habe "keine Indikation im Rahmen der Zulassung des Medikaments" bestanden, Winterhoff habe die von ihm diagnostizierten Krankheiten nicht gemäß den ärztlichen Leitlinien abgeklärt. Es geht um Fälle zwischen August 2004 und November 2021. Winterhoff betreute als Kinder- und Jugendpsychiater auch Patientinnen und Patienten in Einrichtungen der Jugendhilfe in ganz Deutschland. Der sedierende Effekt von Pipamperon habe dazu gedient, die Kinder "für die von ihm vertretenen und den Erziehungspersonen empfohlenen autoritären Erziehungsmethoden gefügig" zu machen, heißt es in der Anklageschrift.

Der Anklage zufolge habe Winterhoff die Sorgeberechtigten der Kinder weder umfassend über Nebenwirkungen noch über die Wirkung des Medikaments aufgeklärt. Dadurch hätten sie nicht selbstbestimmt über das Medikament entscheiden können. Den WDR- und SZ-Recherchen zufolge reagierte Winterhoff auf die Ablehnung der Medikamentierung durch Eltern oder Betreuungspersonen mit Versuchen, das Sorgerecht entziehen zu lassen.

Anwälte: Medikament nicht standardmäßig verschrieben

Winterhoffs Medienanwälte teilten vor Beginn des Verfahrens mit, ihr Mandant habe das Medikament nicht standardmäßig verschrieben, sondern nur nach entsprechender medizinischer Indikation. Dies gelte auch für längerfristige Behandlungen.

"Unser Mandant hat auch keine Nebenwirkungen, insbesondere Sedierungen, bewusst in Kauf genommen. Er hat die Dosierung stets mit dem Ziel gewählt, Nebenwirkungen zu vermeiden." Unabhängig davon sei es in keinem Fall nachweisbar, dass die Verordnung des Medikaments überhaupt zu einem Schaden geführt habe. Für den Angeklagten gilt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung.

Das Bonner Landgericht hat für den Prozess mit zahlreichen Zeugen und Sachverständigen rund 40 Verhandlungstage bis Ende Juli angesetzt. Die Staatsanwaltschaft Bonn hatte eigenen Angaben zufolge zunächst Hunderte Fälle ermittelt, aus Gründen der "Verfahrensverschlankung und -effizienz" werde nun aber in 36 Fällen Anklage erhoben. Ein solches Vorgehen sei bei so komplexen Sachverhalten üblich, zitiert die Süddeutsche Zeitung einen Gerichtssprecher. Bei den 36 Fällen sei die Beweislage am besten, die Folgen der Behandlungen seien am gravierendsten. Sieben Betroffene, die als Kinder und Jugendliche von Winterhoff behandelt wurden, sollen in dem Prozess als Nebenkläger auftreten.

Quelle: ntv.de

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