Panorama

Fall Mouhamed Dramé Prozess um Polizeischüsse endet mit Freisprüchen

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Dramé war erst kurz vorher nach Dortmund gekommen.

Dramé war erst kurz vorher nach Dortmund gekommen.

(Foto: dpa)

Seit einem Jahr sitzen fünf Polizeibeamte wegen eines tödlichen Einsatzes vor Gericht. Schwer wogen die ursprünglichen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Am Ende gibt es Freisprüche für alle.

Einer der größten Prozesse gegen Polizisten in der deutschen Geschichte ist mit Freisprüchen für alle Angeklagten zu Ende gegangen. Nach beinahe einem Jahr wurden am Dortmunder Landgericht im Verfahren um den am 8. August 2022 von fünf Polizeikugeln getöteten 16-jährige Senegalesen Mouhamed Lamine Dramé die Urteile gesprochen.

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hatten in Dortmund gleich fünf Polizisten wegen eines Tötungsdelikts vor Gericht gestanden. Der Prozess hatte besonders anfangs große Welle geschlagen. Doch durch seine schiere Länge mit über 30 Verhandlungstagen war er den Sommer über in den Hintergrund gerückt. Erst in den vergangenen Wochen hatte er letztmals Fahrt aufgenommen und war zumindest kurzzeitig wieder ins öffentliche Interesse außerhalb Dortmunds gerückt.

Vor dem Landgericht hatten sich bereits Stunden vor dem Urteil die Lager geteilt. Auf der einen Seite hatte der Solidaritätskreis Mouhamed Lamine Dramé ein Zelt aufgebaut und wohl ein letztes Mal Sticker und Plakate mit dem Bild Dramés und der Forderung "Justice For Mouhamed" ausgelegt. Auf der gegenüberliegenden Seite und vor den Treppen zum Eingang beobachten zahlreiche Polizisten das Geschehen. Hinter dem Gericht, am Besuchereingang, kam es zu kleineren Auseinandersetzungen um die besten Plätze im Saal 130 des Dortmunder Landgerichts. Die Unterstützer Dramés reklamierten die Plätze für sich, die Angehörigen der angeklagten Polizisten standen weiter hinten in der Warteschlange.

Verhängnisvoller Tag

Justice For Mouhamed, Gerechtigkeit für Mouhamed, darum war es in den Schlussplädoyers der beteiligten Parteien gegangen. Alle sahen diese Gerechtigkeit mit den von ihnen gelieferten Begründungen für ihre Strafforderungen oder der Abwesenheit eben jener Forderung wiederhergestellt. Einzig die seit Januar dank Spendengeldern in Dortmund weilenden Brüder von Dramé, der 24-jährige Lassana und der 37-jährige Sidy, schwiegen dazu. Für sie waren die Plädoyers kaum zu ertragen. Immer wieder senkten sie ihre Köpfe, vergossen Tränen.

Am 8. August 2022 hatte der gerade erst nach Dortmund gekommene Mouhamed Lamine Dramé an einer Kirchenwand in einer Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt gehockt. Der aus dem Senegal geflüchtete unbegleitete Minderjährige hatte dabei ein Messer gegen sich gerichtet. Weil er tags zuvor bereits aufgrund suizidaler Tendenzen in einer Jugendklinik behandelt worden war, setzten Mitarbeiter der Einrichtung einen Notruf ab.

Wenige Minuten später standen gleich zwölf Polizisten um ihn herum. Auch sie konnten Dramé das Messer nicht abnehmen, setzten Pfefferspray und Taser ein. Schließlich fielen die Schüsse, der 16-Jährige lag tödlich getroffen auf der Erde. Diesen Ablauf sah das Gericht als erwiesen an.

Unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft

Die Schüsse waren das Ende eines fehlerhaften Plans, urteilte das Landgericht Dortmund. Angeklagt waren: ein Dienstgruppenleiter und je zwei Polizisten und zwei Polizistinnen. Dienstgruppenleiter H. habe die Planung für den tödlichen Dreiklang aus Pfefferspray, Taser und Maschinenpistole ohne genaue Kenntnis des Einsatzortes getroffen, hatte die Staatsanwaltschaft erklärt und eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten sowie eine Geldauflage in Höhe von 5000 Euro gefordert. Die vier Polizisten hätten diesen Plan nur ausgeführt, für sie forderte die Staatsanwaltschaft Freispruch.

Drei der Beamten hätten sich in einer erdachten Notwehrlage, einem Erlaubnistatbestandsirrtum befunden. Der Argumentation der Staatsanwaltschaft folgend, konnte es somit zu keiner Verurteilung wegen vorsätzlichen Handelns kommen. Die vierte Person war mit ihrem Pfefferspray-Einsatz nur den Anweisungen des Dienstgruppenleiters gefolgt. Das Landgericht sah weder beim Schützen noch beim Einsatzleiter eine Straftat.

Nachdem auch die Rassismusvorwürfe gegen die fünf Angeklagten in den Hintergrund gerückt waren, kamen diese gegen Ende des Prozesses noch einmal hoch. Unter der Lupe der minutiösen Aufarbeitung hatte sich kein offener Rassismus gezeigt, hatte auch die Anwältin der Nebenklage, Lisa Grüter, erklärt. Sie stellte aber die Frage in den Raum, ob der "weiße Leon" aus dem finanziell besser gestellten Süden Dortmunds in einer ähnlichen Situation ebenfalls erschossen worden wäre. Dagegen hatte sich die Verteidigung vehement gewehrt. Mit ihrer Argumentation und den ständigen Anspielungen auf das angeblich erdachte Alter Dramés - er sei vielleicht längst volljährig gewesen-, konnten sie aber nicht alle Beobachter überzeugen.

Doch die Frage nach einem möglichen strukturellen Rassismus bei der Polizei hatte am Ende keine Rolle gespielt. "Am Ende bleibt die Tatsache, dass Mouhamed nicht mehr am Leben ist", hatte eine der Angeklagten in der vergangenen Woche im Saal 130 des Dortmunder Landgerichts in ihren letzten Worten nach den Plädoyers gesagt. "Das hat keiner von uns gewollt. Das kann man nicht mehr rückgängig machen. Es tut mir unfassbar leid für alle Beteiligten."

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine Überprüfung durch den Bundesgerichtshof in Karlsruhe, die sogenannte Revision, ist auf Antrag möglich.

Quelle: ntv.de

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