Tödliche Schüsse auf Dramé Polizist: "Hatten den Eindruck, dass der Einsatz gut gelaufen ist"
18.04.2024, 10:36 Uhr Artikel anhören
Laut der Staatsanwaltschaft war der Polizeieinsatz, bei dem der 16-jährige Mouhamed Dramé starb, rechtswidrig.
(Foto: IMAGO/Markus Matzel)
Im August 2022 stirbt der junge Flüchtling Mouhamed Dramé durch Schüsse eines Polizisten. Abgefeuert aus einer Maschinenpistole. Fünf Beamte stehen vor Gericht. Am elften Prozesstag äußern sich zwei der Angeklagten erstmals und verteidigen das Vorgehen.
Am 8. August 2022 löst der Flüchtling Mouhamed Dramé in der Dortmunder Nordstadt einen Polizeieinsatz aus. Der 16-Jährige, der aus dem Senegal stammt, wollte sich offensichtlich umbringen. Er hockte im Innenhof einer Wohngruppe, hielt ein Messer in der Hand und richtete es auf seinen Bauch. Dramé stirbt an diesem Tag, aber nicht durch das Messer, sondern durch Schüsse aus einer Maschinenpistole, abgefeuert von einem Polizisten. Für den tödlichen Einsatz stehen seit Ende Dezember fünf Polizistinnen und Polizisten vor dem Landgericht Dortmund. Laut Anklage soll der Einsatz unverhältnismäßig und damit rechtswidrig gewesen sein.
Am elften Prozesstag brechen zwei der Angeklagten ihr Schweigen: der Dienstgruppenleiter Thorsten H. und Markus B., der mit einem Taser auf Dramé geschossen hatte. Beide schildern selbst detailliert, wie der Einsatz aus ihrer Sicht gelaufen ist. Dabei fällt ein Satz, der bei vielen Anwesenden im großen Saal 130 im Dortmunder Landgericht für fassungsloses Staunen sorgt. H. sagt, dass es nach dem Einsatz einen kurzen Austausch gegeben habe, mit dem Ergebnis: "Wir hatten für uns den Eindruck, dass der Einsatz gut gelaufen war." Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Thomas Kelm, schob H. hinterher: "Natürlich nicht mit dem Endergebnis."
Lisa Grüter, Anwältin der Nebenklage, sagte später: So einen Satz zu hören, sei "schrecklich". Sie vertritt die Familie des Getöteten. Erneut waren Mouhameds Brüder Sidy und Lassana im Gericht anwesend und bekamen alles übersetzt. "Ich habe noch nicht mit den beiden gesprochen, aber das ist unmenschlich zu hören", erklärte die Anwältin weiter. Verständnis hätte sie dafür gehabt, wenn der Dienstgruppenleiter erklärt hätte, dass aus seiner Sicht alles rechtmäßig gewesen sei, oder dass er froh gewesen ist, dass seine Kollegen und er selbst nicht zu Schaden gekommen sind. "Aber wenn ein junger Mensch am Ende tot ist, dann ist es nicht gut gelaufen."
Thorsten H.: "Ich war erschrocken. Entsetzt."
Zum Zeitpunkt des Austausches und der Einschätzung der Polizisten war Dramé den Schilderungen zufolge noch auf dem Weg ins Krankenhaus, wo er wenig später verstarb. Richter Kelm wollte von H. wissen, was er gedacht habe, als er später vom Tod erfahren habe: "Ich war erschrocken. Entsetzt. Ich hab damit nicht gerechnet." Reue oder Mitleid erkannte Grüter in den Einlassungen der Angeklagten jedoch nicht: "Ich höre da Polizisten, die eine aus ihrer Sicht gerechtfertigte Diensthandlung beschreiben." Ebenfalls wunderte sich die Anwältin darüber, dass H. bei mehreren Schüssen aus der Maschinenpistole (sechs wurden abgefeuert, fünf trafen ihn) nicht damit gerechnet habe, dass Dramé stirbt oder sterben könnte.
Die Angeklagten Thorsten H. und Markus B. hatten zuvor den Hergang geschildert, hatten die Wahl der Mittel verteidigt. Weil der junge Senegalese nicht auf Kommunikationsversuche in verschiedenen Sprachen reagiert hatte und in einer auf seinen Zehenspitzen hockenden Position mit Messer vor dem Bauch verharrt hatte, ordnete H. schließlich den Einsatz von Pfefferspray an. Damit sollte Dramé, so schilderte es der 55-Jährige, "entwaffnet" werden. Als Reaktion hatten sich die Beamten erhofft, dass der Jugendliche das Messer fallen lässt und sich die Augen reibt. In diesem Moment hätte es zur Überwältigung kommen sollen. Auf Nachfrage des Richters erklärt der Dienstgruppenleiter, der bereits seit 1985 Polizist ist, dass er ein bis zwei Fälle mit Menschen in Suizid-Absicht pro Monat erlebe. Immer mal wieder kommt dabei auch Pfefferspray zum Einsatz, bislang immer erfolgreich, wie H. betont. Zweifel an der Einsatztaktik habe es im Team nicht gegeben.
Auf die Nachfrage, ob es nicht auch andere Möglichkeiten, etwa den Einsatz von Spezialkräften gegeben hätte, um die Lage aufzulösen, wehrt H. entschieden ab. Er beruft sich dabei auf die hockende Position von Dramé in der Nische im Innenhof. "Was soll ich statisch halten? Soll ich darauf warten, dass Herr Dramé sich das Messer in den Bauch rammt und dann stehen da 12 Polizisten rum?" Grüter fehlt das Verständnis für diese Einschätzung: "Mouhamed war total passiv. Er hat sich das Messer gegen den Bauch gehalten, aber sich nicht in irgendeiner Form aktiv selbst verletzt."
Dramé lief offenbar mit Messer in der Hand auf Polizisten los
Weil das Pfefferspray aber nicht wirkte, eskalierte die Situation. Dramé sprang auf und rannte, so schildern es die beiden Beamten, auf die Polizisten los. Daraufhin fielen erst die Schüsse aus dem Taser und schließlich die aus der Maschinenpistole. Beide Waffen seien, so erklärten H. und B., nur für die Eigensicherung zugeteilt gewesen. Das sei vorher klar so besprochen worden. B. sagte aus, dass er sich eigenständig für die Schüsse aus dem Taser entschieden habe, weil für ihn nicht erkennbar war, was der in Richtung seiner Kollegen loslaufende Dramé vorhabe. In der Hand hatte der Jugendliche, das sagen beide Polizisten, weiter das Messer gehalten. Nicht mehr auf sich selbst gerichtet, sondern in der Laufbewegung nach vorne.
Große Widersprüche in den Aussagen erkannte Anwältin Grüter nicht. Allerdings haderte sie damit, dass der Richter die ersten Aussagen der Polizisten unmittelbar nach dem Einsatz per Anordnung nun für unverwertbar erklärte. Zuvor hatte es Unstimmigkeiten zwischen Anklage und Verteidigung darüber gegeben. Im August 2022 waren die Beamten als Zeugen von den Kollegen des Polizeipräsidiums Recklinghausen befragt worden. Teile der Anklage fußen auf jenen Aussagen. Von einer Notwehrlage, wie sie sich nun aus Sicht der Polizisten darstellt, war damals offenbar keine Rede gewesen. Was den Einsatz rechtswidrig machen würde. Die Staatsanwaltschaft als Hauptankläger folgte der Einschätzung von Kelm, was für Grüter völlig überraschend kam. Die Anwältin hat einen Antrag gestellt, die Anordnung zu widerrufen. Das wird nun geprüft.
Ein paar Fragen blieben an diesem elften Prozesstag weiter offen: Hatte Dramé in dem Innenhof wirklich nur diesen Ausweg in Richtung der Polizisten? Oder wäre eine Flucht zum Zaun an der Seite möglich gewesen? Wusste Dramé überhaupt, dass er von Polizisten umgeben war? Ob die Beamten das klar kommuniziert hatten, konnte nicht geklärt werden. Einen eindeutigen Sichtkontakt mit dem jungen Mann konnte niemand bestätigen. Eine Antwort gab es indes darauf, warum die Bodycams ausgeschaltet waren, beziehungsweise, warum sie nicht eingeschaltet wurden. Dieser Unterschied war H. besonders wichtig. Er berief sich darauf, dass es per Gesetz nicht erlaubt sei, Bodycams bei Einsätzen mit suizidalen Personen einzuschalten. Erst, wenn es zu einem tätlichen Angriff kommt. Im Fall Dramé hatte sich die Lage demnach schlagartig geändert.
Beim nächsten Verhandlungstermin soll sich nach Aussage seines Anwalts auch der Schütze zum Geschehen äußern. Der 30-jährige Fabian S. ist wegen Totschlags angeklagt. Die 31 Jahre alte Jeannine Denise B., die 29 Jahre alte Pia Katharina B. und der 34-jährige Markus B. müssen sich wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt durch den ungerechtfertigten Einsatz von Pfefferspray und Tasern verantworten. Thorsten H. wird Anstiftung zu den gefährlichen Körperverletzungen im Amt vorgeworfen.
Quelle: ntv.de