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Lehrkräfte sind verzweifelt Schwindet das Interesse an Russisch-Unterricht?

Erwachsene können Russischkurse bundesweit unter anderem an Volkshochschulen belegen.

Erwachsene können Russischkurse bundesweit unter anderem an Volkshochschulen belegen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Russischlehrer in Deutschland sehen den Krieg in der Ukraine mit Sorge. Nicht wenige fragen sich, ob ihre Klassen angesichts des Kriegs in der Ukraine kleiner werden.  Während manche fürchten, die Zahl der Russischlernenden könnte sinken, steigt die Nachfrage mancher Orts.

Es sind Wortungetüme wie diese, die Schüler mitunter zum Verzweifeln bringen: "Dostoprimetschatelnosti". Das ist Russisch und heißt auf Deutsch "Sehenswürdigkeiten". Zehntausende Schüler in Deutschland lernen die russische Sprache. Noch. Nicht wenige Lehrer fragen sich, ob die Russisch-Klassen angesichts des Kriegs in der Ukraine nicht noch kleiner werden.

"Alle meine Teilnehmer verurteilen den schrecklichen Angriffskrieg auf die Ukraine. Sie kommen aber weiterhin in die Russischkurse, weil sie an der Sprache interessiert sind, an der Kultur, vor allem der Literatur", sagt Elke Saniter, Volkshochschullehrerin in Berlin. "Natürlich wird das Interesse an der russischen Sprache abnehmen, aber es wird sicher nicht verschwinden", ist ihre Kollegin Ekaterina Kharitonova überzeugt. "Ja, wir werden weniger Arbeit haben. Darüber kann ich mich nicht beschweren. Ich verstehe, warum das so ist."

Nicht nur in der Bundeshauptstadt dürfte das Interesse schwinden. Der Vorsitzende des Deutschen Russischlehrerverbands in Marburg, Wilhelm Lückel, geht auch davon aus, dass der Krieg sich künftig auf die Zahl der Russischlernenden in Schulen auswirken könnte. "Russisch wird sicherlich weiter zum Kanon der Fächer gehören. Die Politik der Russischen Föderation wird die Wahl aber natürlich negativ beeinflussen", sagt er. Russland führt seit Februar einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Frieden ist noch immer nicht in Sicht.

Berlin nimmt Sonderstellung ein

Öffentlichkeitsarbeit für die Sprache sei derzeit jedenfalls nicht gefragt. "Bei Kultusministerien ist eine gewisse Vorsicht gegenüber dem Fach zu beobachten", so Lückel. Sein Verband sei inoffiziell gebeten worden, vorerst keine Russisch-Olympiaden mehr durchzuführen. Die Zahl der Schüler, die an allgemeinbildenden Schulen Russisch als Fremdsprache lernen, ist in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin zurückgegangen. Im Schuljahr 2020/2021 waren es laut Statistischem Bundesamt noch rund 94.000 Schüler - ein Rückgang um 83 Prozent gegenüber 1992/1993, als erstmals bundesweite Daten vorlagen. Damals hatten noch rund 565.100 Schüler Russisch als Fremdsprache gelernt.

In der DDR wurde Russisch obligatorisch als erste Fremdsprache gelehrt. Noch heute wird die Sprache vor allem in Ostdeutschland einschließlich Berlin gelernt. 70 Prozent der Schüler mit Russisch als Fremdsprache gingen 2020/2021 dort zur Schule. Berlin nehme durch den relativ hohen Bevölkerungsanteil russischsprachiger Menschen eine Sonderstellung ein, sagt Lückel. Laut der Migrantenorganisation "Dialog" lebten bereits vor dem Krieg rund 250.000 Russischsprachige in Berlin. Nun kommen zahlreiche ukrainische Flüchtlinge hinzu, die ebenfalls Russisch sprechen.

In Waldorfschulen, wo Russisch teilweise bereits ab der ersten Klasse unterrichtet wird, habe die Sprache plötzlich eine viel stärkere Präsenz, berichtet Julian Scholl von der Landesarbeitsgemeinschaft der Waldorfschulen Berlin-Brandenburg. Die Schulen hätten relativ viele geflüchtete Kinder aus der Ukraine aufgenommen. "Deshalb gibt es jetzt viel mehr lebendiges Russisch im Schulumfeld und auf den Schulhöfen", so Scholl. Die Situation sei aber schwierig, auch wegen des inzwischen nicht mehr möglichen engen Austauschs mit Partnerschulen in Russland. "Russischlehrer sind verzweifelt", meint Scholl.

Flüchtlingshelfer unter den Teilnehmern

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Erwachsene können Russischkurse bundesweit unter anderem an Volkshochschulen belegen. Unter den Teilnehmern seien auch Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, bereits Russischvorkenntnisse haben und diese auffrischen wollen, oder auch Lernende mit persönlichen Kontakten zu russischsprachigen Menschen, berichtet Stephanie Vonscheidt, Leiterin des Servicezentrums der Berliner Volkshochschulen.

"Es besteht im Augenblick kein Wunsch, nach Russland zu fahren. Allerdings ist ihnen wichtig, Kontakt zu den Menschen zu halten, die dort unter der politischen Lage leiden", sagt Sprachlehrerin Elke Saniter über ihre Schüler. Manche Volkshochschulen in der Hauptstadt verzeichnen laut Vonscheidt sogar mehr Lernwillige als im Vorjahr. Im Stadtteil Pankow sei ein Zuwachs von 23 Prozent der Unterrichtseinheiten im Vergleich zu 2021 zu verzeichnen. In Friedrichshain-Kreuzberg sei das Beratungs-/Einstufungsangebot für Russisch im September noch besser angenommen worden als beispielsweise für Italienisch, Französisch, Türkisch oder Arabisch.

Quelle: ntv.de, Anja Sokolow, dpa

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