Politik

Gustav Gressel im Interview "Der Panzer-Ringtausch hilft nur Griechenland und der SPD"

Ein ukrainischer Soldat auf einem zerstörten russischen Panzer in der Region Charkiw.

Ein ukrainischer Soldat auf einem zerstörten russischen Panzer in der Region Charkiw.

(Foto: AP)

In einigen Monaten wird die Ukraine westliche Panzer sehr dringend brauchen, sagt Militärexperte Gustav Gressel. Der Ringtausch mit Griechenland, mit dem die Bundesregierung es vermeidet, direkt Panzer an die Ukraine zu liefern, ist aus seiner Sicht reine Materialverschwendung. Ihn gebe es nur, "um in der SPD Leute wie Ralf Stegner und Rolf Mützenich glücklich zu machen".

ntv.de: Außenministerin Annalena Baerbock hat vor Kurzem erklärt, es sei jetzt wichtig, die ukrainische Luftabwehr zu unterstützen. Das sei dringender als Panzerlieferungen. Hat sie mit dieser Aussage recht?

Gustav Gressel: Die ukrainische Armee hat bei ihrer Offensive recht viele russische Kampfpanzer erbeutet, das ist richtig. Mit denen kann sie noch ein bisschen fahren, das stimmt auch. Die Situation mit Kampfpanzern ist also kurzfristig okay, aber wir müssen weiterdenken.

Gustav Gressel ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR). Er ist Experte für Russland und Osteuropa, Militärstrategie und Raketenabwehr.

Gustav Gressel ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR). Er ist Experte für Russland und Osteuropa, Militärstrategie und Raketenabwehr.

Nur zu.

Dass dieser Krieg noch lange dauern würde, war nach den ersten zwei Kriegswochen schon deutlich zu sehen. Für die Ukraine ergibt sich daraus folgendes Problem: Für viele Systeme sowjetischer Bauart sind Ersatzteile und Munition knapp, denn es gibt für diese Typen nur sehr wenige Produktionsstätten außerhalb Russlands. Das gilt für Schützen- oder Kampfpanzer ebenso wie für Systeme der Flugabwehr. Manche Munitionsklassen lassen sich außerhalb Russlands überhaupt nicht herstellen.

Könnte man solche Produktionsmöglichkeiten schaffen?

Flugabwehrraketen mit all ihren komplexen inneren Komponenten nachzubauen ist nicht trivial. Es würde Jahre dauern. Wir haben ja keinerlei technische Dokumentation zu den Bauteilen. In dem Moment, wenn die letzte Rakete eines solchen Typs verschossen wurde, ist der Ofen aus, Ende Gelände. Dann muss ein westliches System her.

Heißt die Schlussfolgerung daraus: Die Ukraine muss sich in den kommenden Monaten in allen Waffengattungen auf westliche Systeme umstellen?

Das ist die Herausforderung. Bei manchen Geräten ist die Situation nicht so prekär, da bleibt etwas mehr Zeit. Aber mittelfristig trifft es alle Waffensysteme. Die Ukraine muss sich also im weiteren Verlauf dieses Krieges zwingend verwestlichen. Flugabwehr war da von Beginn an der dringendste Bedarfsposten, weil hier westliche Nachrüstungsmöglichkeiten überhaupt nicht gegeben sind.

Aber?

Aber das bedeutet nicht, dass wir bezogen auf andere Gattungen, etwa Panzer, nun noch nicht aktiv werden müssen. Schauen wir uns die Situation bei den Panzern an, da nutzt die Ukraine derzeit verschiedene Typen sowjetischer Bauart: Für den T-80 und den T-90 gibt es im Westen keine Ersatzteile. Für den T-72 bekommt die Ukraine noch Ersatzteile aus Polen und Tschechien. Der T-64 wiederum war der Standard-Panzer der ukrainischen Armee und wurde früher in Charkiw produziert. Das Werk haben die Russen schon im März zerstört, inklusive des Ersatzteillagers. Instandhaltung ist daher schwer möglich. Darum steht jetzt schon fest: In einigen Monaten wird die Ukraine westliche Panzer sehr dringend brauchen.

Und wenn man sie ihnen dann gibt?

Klar, dann wird der öffentliche Druck so groß sein, dass wir ohnehin liefern müssen. Dann machen wir es aber nicht auf die Art, die eigentlich geboten wäre, nämlich vorausschauend, strategisch, mit schon aufgebauter Logistik und bereits trainierten Soldaten, sondern dann wird kurzfristig irgendwas zusammengemurkst, um die Ukraine vor dem Untergang zu retten. Das könnte man anders machen, nämlich vorausschauend. Aber nicht mit diesem Kanzler.

Olaf Scholz ist das Problem?

Für diese Antwort muss ich etwas ausholen: Vom ersten Tag dieses Krieges an waren gepanzerte Verbände ein ganz wichtiges Moment der ukrainischen Verteidigung. Ohne mechanisierte Reserven wäre Kiew eingekesselt worden, vermutlich auch gefallen. Diese Geräte sind nun aber stark beansprucht worden. Netto verliert die Ukraine pro Monat 75 Kampfpanzer.

Wie sieht es bei den Schützenpanzern aus?

Auch da sind die Verluste sehr hoch. Hinzu kommt aber ein weiteres Problem: Die Schützenpanzer sowjetischer Bauart sind kaum überlebensfähig. Kassiert ein BMP-1 einen feindlichen Treffer, dann brennt er in der Regel mit der gesamten Besatzung aus. Dasselbe gilt für mehrere andere sowjetische Panzertypen.

Dadurch kommen die hohen Verluste auf beiden Seiten zustande?

Genau, und das führt zu einem Problem, denn die Ausbildung einer erfahrenen Panzer-Crew dauert länger als die Produktion eines Kampfpanzers. Die Soldaten im Panzer sind also die knappere Ressource. Um sie besser zu schützen, muss die Ukraine dringend auf westliche Panzer umsatteln. Was aber tut die Bundesregierung? Sie plant, die deutschen Marder, die Rheinmetall instandgesetzt hat, im Ringtausch mit Griechenland zu verschwenden.

Dafür bekommt die Ukraine von den Griechen genau den BMP-1, also ihren alten Standard-Panzer. Das Argument dabei: Mit diesem Panzer sind die ukrainischen Soldaten vertraut und können sofort losfahren.

Das stimmt zwar, aber es spricht dennoch einiges dagegen: Erstens sind diese Panzer aus Griechenland in einem schlechten Zustand, mache davon nur noch gut als Ersatzteillager. Zweitens ist der BMP-1 das weitaus schlechtere System als der "Marder".

Inwiefern?

Wenn wir beide vergleichen: Erstens, der "Marder" hat eine gut funktionierende Bewaffnung. Die Kanone des BMP-1 dagegen trifft auf 50 bis 100 Meter, bei Wind keinen Schritt weiter, sie ist dem "Marder" weit unterlegen. Zweitens, der "Marder" hat gute Optiken, durch die ich etwas sehen kann. Beim BMP-1 sehe ich nichts. Drittens, der "Marder" ist überlebensfähig und hält ein paar Treffer aus. Der BMP-1 dagegen, das hatten wir schon angerissen, explodiert beim ersten Treffer und brennt aus. Oft fahren die ukrainischen Soldaten nicht im Panzer, sondern außen auf ihm sitzend ins Gefecht.

Diese Videos, wo Soldaten auf den Panzern sitzen, kursieren im Netz, die Situation wirkt dadurch fast "locker".

Das Gegenteil ist der Fall: Die Soldaten sitzen auf dem Panzer, weil die Chance zu überleben draußen höher ist. Viertens, der "Marder" ist schneller und hat fünftens ein größeres Volumen, es passen also mehr Soldaten hinein. Zusammengefasst: Dieser Ringtausch ist reine Materialverschwendung.

Wozu wird er dann durchgeführt?

Um in der SPD Leute wie Ralf Stegner und Rolf Mützenich glücklich zu machen.

Ihr Ernst?

Absolut. Die "Marder", die Rheinmetall instand gesetzt hat und die dort jetzt auf dem Hof bereitstehen, möchte die SPD so schnell wie möglich an irgendjemanden loswerden. Denn dann muss man nicht mehr über eine Lieferung an die Ukraine diskutieren. Ein Ringtausch von "Marder" gegen BMP-1 hat nichts mit Unterstützung der Ukraine zu tun. Dieser Ringtausch hilft Griechenland und hilft der SPD, ansonsten hilft er niemandem.

Würden Sie stattdessen sagen, dass er schadet?

Da der "Marder" nicht nur bei Rheinmetall, sondern auch in der Bundeswehr noch vorhanden ist, wäre er auch eine Zukunftsperspektive für die Ukraine. Instandhaltung und Nachschub wären möglich und gesichert. Diese Perspektive wird der Ukraine durch den Ringtausch genommen.

Wenn wir auf die Situation bei den Kampfpanzern schauen: Da plädieren Sie dafür, dass die Ukraine auf den deutschen "Leopard 2" umsattelt. Warum alles aus Deutschland? Bieten sich nicht auch der Leclerc aus Frankreich oder der britische Challenger an?

Die Produktion des französischen Leclerc und des britischen Challenger ist jeweils eingestellt, die werden also nicht mehr gebaut. Ersatzteile kann ich deshalb nur aus alten Fahrzeugen ausbauen. Das wäre ein starker Nachteil gegenüber dem "Leopard 2". Mit diesem Panzer kann ich der Ukraine auch eine Perspektive für die Zukunft geben, da er noch hergestellt wird und in Europa auch die Infrastruktur für die Wartung vorhanden ist.

Können Sie das kurz erläutern?

Der "Leopard" ist relativ weit verbreitet, er findet sich in insgesamt 13 europäischen Ländern, darunter Norwegen, Griechenland, Polen, Portugal, Schweden, Spanien, Dänemark und Finnland. Wenn jedes der Länder nur eine geringe Zahl an Panzern abgibt, würde man damit schon eine kritische Masse zusammenbekommen. Ein großer Vorteil dieses Panzertyps: Es gibt in Europa noch drei Produktionsstraßen - in Deutschland, Spanien und Griechenland. Dadurch wäre man mit der Lieferung von Ersatzteilen sehr schnell.

Was müsste passieren für die Umrüstung und wann?

Eine solche Umstellung auf westliche Systeme braucht Zeit und gute Zusammenarbeit. Da muss ich einen "Leopard 2"-Gipfel einberufen und sehr gut koordinieren. Mit ausreichend Planung bekomme ich dann einige schnell verfügbare Fahrzeuge, auf denen die Ukrainer schon einmal trainieren können. Dann baue ich die Logistikkette für Ersatzteile auf - das alles braucht Monate.

Man sollte aus Ihrer Sicht also jetzt starten, damit die ukrainischen Truppen irgendwann 2023 dann wirklich auf den "Leopard" umsteigen könnten?

Am Flugabwehrsystem IRIS-T SLM wird sehr gut sichtbar, wie wichtig es ist, vorauszuplanen: Die Entscheidung, es zu liefern, fiel im Mai. Das erste System wurde im Oktober geliefert, die nächsten bekommt die Ukraine erst im kommenden Jahr. Bei aller Kritik, die ich Scholz entgegenhalte, hat er in diesem Fall schnell entschieden und richtig. Die Ukraine muss eine konstante Gefahr für hoch fliegende russische Kampfjets darstellen und dafür ist die IRIS-T perfekt. Die Flugkörper und Ersatzteile werden in Deutschland produziert, da wird keine Munitionsknappheit aufkommen und das ist enorm wichtig. Da gebührt der Bundesregierung, so ungeschickt sie sich bei den Panzern anstellt, ein wirkliches Lob.

Mit Gustav Gressel sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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